Nur die allgemeinen Grundsätze und Ansichten, welche das Handeln von einem höheren Standpunkt aus leiten, können die Frucht einer klaren und tiefen Einsicht sein, und an ihnen liegt sozusagen die Meinung über den vorliegenden individuellen Fall gewissermaßen vor Anker. Aber das Halten an diesen Resultaten eines früheren Nachdenkens gegen den Strom der Meinungen und Erscheinungen, welchen die Gegenwart herbeiführt, ist eben die Schwierigkeit. Zwischen dem individuellen Fall und dem Grundsatz ist oft ein weiter Raum, der sich nicht immer an einer sichtbaren Kette von Schlüssen durchziehen läßt, und wo ein gewisser Glaube an sich selbst notwendig ist und ein gewisser Skeptizismus wohltätig. Hier hilft oft nichts anderes als ein gesetzgebender Grundsatz, der, außer das Denken selbst gestellt, dasselbe beherrscht; es ist der Grundsatz, bei allen zweifelhaften Fällen bei seiner ersten Meinung zu beharren und nicht eher zu weichen, bis eine klare Überzeugung dazu zwingt. Man muß stark sein in dem Glauben an die bessere Wahrheit wohlgeprüfter Grundsätze, und bei der Lebhaftigkeit der augenblicklichen Erscheinungen nicht vergessen, daß ihre Wahrheit von einem geringeren Gepräge ist. Durch dieses Vorrecht, welches wir in zweifelhaften Fällen unserer früheren Überzeugung geben, durch dieses [77] Beharren bei derselben gewinnt das Handeln diejenige Stätigkeit und Folge, die man Charakter nennt.
Wie sehr das Gleichgewicht des Gemütes die Charakterstärke befördert, ist leicht einzusehen, daher auch Menschen von großer Seelenstärke meistens viel Charakter haben.
Die Charakterstärke führt uns zu einer Abart derselben, dem Eigensinn.
Sehr schwer ist es oft, im konkreten Falle zu sagen, wo die eine aufhört und der andere anfängt, dagegen scheint es nicht schwer, den Unterschied im Begriffe festzustellen.
Eigensinn ist kein Fehler des Verstandes; wir bezeichnen damit das Widerstreben gegen bessere Einsicht, und dieses kann nicht ohne Widerspruch in den Verstand als das Vermögen der Einsicht gesetzt werden. Der Eigensinn ist ein Fehler des Gemütes. Die Unbeugsamkeit des Willens, diese Reizbarkeit gegen fremde Einrede haben ihren Grund nur in einer besonderen Art von Selbstsucht, welche höher als alles andere das Vergnügen stellt, über sich und andere nur mit eigener Geistestätigkeit zu gebieten. Wir würden es eine Art von Eitelkeit nennen, wenn es nicht allerdings etwas Besseres wäre; der Eitelkeit genügt der Schein, der Eigensinn aber beruht auf dem Vergnügen an der Sache.
Wir sagen also: die Charakterstärke wird zum Eigensinn, sobald das Widerstreben gegen fremde Einsicht nicht aus besserer Überzeugung, nicht aus Vertrauen auf einen höheren Grundsatz, sondern aus einem widerstrebenden Gefühl entsteht. Wenn diese Definition uns auch, wie wir schon eingeräumt haben, praktisch wenig hilft, so wird sie doch verhindern, den Eigensinn für eine bloße Steigerung der Charakterstärke zu halten, während er etwas wesentlich Verschiedenes davon ist, was derselben zwar zur Seite liegt und mit ihr grenzt, aber so wenig ihre Steigerung ist, daß es sogar sehr eigensinnige Menschen gibt, die wegen Mangel an Verstand wenig Charakterstärke haben.
Nachdem wir in diesen Virtuositäten eines ausgezeichneten Führers im Kriege diejenigen Eigenschaften kennengelernt haben, in welchen Gemüt und Verstand zusammen wirken, kommen wir jetzt zu einer Eigentümlichkeit der kriegerischen Tätigkeit, welche vielleicht als die stärkste betrachtet werden kann, wenn es auch nicht die wichtigste ist, und die ohne Beziehung auf die Gemütskräfte bloß das Geistesvermögen in Anspruch nimmt. Es ist die Beziehung, in welcher der Krieg zu Gegend und Boden steht.
Diese Beziehung ist erstens ganz unausgesetzt vorhanden, so daß man sich einen kriegerischen Akt unserer gebildeten Heere gar nicht anders als in einem bestimmten Raum vorgehend denken kann; sie ist zweitens von der entscheidendsten Wichtigkeit, weil sie die Wirkungen aller Kräfte modifiziert, zuweilen total verändert; drittens führt sie auf der einen [78] Seite oft zu den kleinsten Zügen der Örtlichkeit, während sie auf der andern die weitesten Räume umfaßt.
Auf diese Weise ist es, daß die Beziehung, welche der Krieg zu Gegend und Boden hat, seiner Tätigkeit eine hohe Eigentümlichkeit gibt. Wenn wir an die andern menschlichen Tätigkeiten denken, die eine Beziehung zu jenem Gegenstande haben, an Garten- und Landbau, an Häuser- und Wasserbauten, an Bergbau, an Jägerei und Forstbetrieb, so sind alle auf sehr mäßige Räume beschränkt, welche sie bald mit genügender Genauigkeit erforschen können. Der Führer im Kriege aber muß das Werk seiner Tätigkeit einem mitwirkenden Raume übergeben, den seine Augen nicht überblicken, den der regste Eifer nicht immer erforschen kann, und mit dem er bei dem beständigen Wechsel auch selten in eigentliche Bekanntschaft kommt. Zwar ist der Gegner im allgemeinen in demselben Fall; aber erstlich ist die gemeinschaftliche Schwierigkeit doch immer eine solche, und es wird der, welcher ihrer durch Talent und Übung Herr wird, einen großen Vorteil auf seiner Seite haben, zweitens findet diese Gleichheit der Schwierigkeit nur im allgemeinen statt, keineswegs in dem einzelnen Fall, wo gewöhnlich einer der beiden Kämpfenden (der Verteidiger) viel mehr von der Örtlichkeit weiß als der andere.
Diese höchst eigentümliche Schwierigkeit muß eine eigentümliche Geistesanlage besiegen, welche, mit einem zu beschränkten Ausdruck der Ortssinn genannt wird. Es ist das Vermögen, sich von jeder Gegend schnell eine richtige geometrische Vorstellung zu machen und als Folge davon sich in ihr jedesmal leicht zurechtzufinden. Offenbar ist dies ein Akt der Phantasie. Zwar geschieht das Auffassen dabei teils durch das körperliche Auge, teils durch den Verstand, der mit seinen aus Wissenschaft und Erfahrung geschöpften Einsichten das Fehlende ergänzt und aus den Bruchstücken des körperlichen Blicks ein Ganzes macht; aber daß dies Ganze nun lebhaft vor die Seele trete, ein Bild, eine innerlich gezeichnete Karte werde, daß dies Bild bleibend sei, die einzelnen Züge nicht immer wieder auseinanderfallen, das vermag nur die Geisteskraft zu bewirken, die wir Phantasie nennen. Wenn ein genialer Dichter oder Maler sich verletzt fühlt, daß wir seiner Göttin eine solche Wirksamkeit zumuten, wenn er die Achseln zuckt, daß ein findiger Jägerbursche darum eine ausgezeichnete Phantasie haben sollte, so wollen wir gern einräumen, daß nur von einer sehr beschränkten Anwendung, von einem wahren Sklavendienst derselben die Rede ist. Aber wie weniges dies auch sei, es muß doch von dieser Naturkraft entnommen werden, denn wenn sie ganz abgeht, dann wird es schwer werden, sich die Dinge in ihrem Formenzusammenhange bis zur Anschauung deutlich vorzustellen. Daß ein gutes Gedächtnis dabei sehr zu Hilfe komme, räumen wir gern ein; ob aber das Gedächtnis dann als eine eigene Seelenkraft anzunehmen ist, oder ob es eben in jenem Vorstellungsvermögen liegt, das Gedächtnis für diese Dinge besser zu fixieren, müssen wir um [79] so mehr unausgemacht lassen, als es überhaupt schwer scheint, diese beiden Seelenkräfte in manchen Beziehungen getrennt zu denken.
Daß Übung und Verstandeseinsicht dabei sehr viel tun, ist nicht zu leugnen. Puységur, der berühmte Generalquartiermeister des berühmten Luxemburg, sagt, daß er sich anfangs in diesem Punkt wenig zugetraut, weil er bemerkt, daß wenn er die Parole weit zu holen gehabt, er jedesmal den Weg verfehlt habe.
Es ist natürlich, daß auch die Anwendungen dieses Talents sich nach oben hin erweitern. Müssen der Husar und Jäger bei Führung einer Patrouille in Weg und Steg sich leicht finden, und bedarf es dafür immer nur weniger Kennzeichen, einer beschränkten Auffassungs- und Vorstellungsgabe, so muß der Feldherr sich bis zu den allgemeinen geographischen Gegenständen einer Provinz und eines Landes erheben, den Zug der Straßen, Ströme und Gebirge immer lebhaft vor Augen haben, ohne darum den beschränkten Ortssinn entbehren zu können. Zwar sind ihm für die allgemeinen Gegenstände Nachrichten aller Art, Karten, Bücher, Memoiren, und für die Einzelheiten der Beistand seiner Umgebungen eine große Hilfe, aber gewiß ist es dennoch, daß ein großes Talent in schneller und klarer Auffassung der Gegend seinem ganzen Handeln einen leichteren und festeren Schritt verleiht, ihn vor einer gewissen inneren Unbehilflichkeit schützt und weniger abhängig von andern macht.
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