Zieht der Vagus vom oberen Nervenknoten nach unten, verdickt er sich nochmals und bildet den unteren Nervenknoten, das Ganglion inferius, das auch Ganglion nodosum (für lat. „knotig“) genannt wird. Dieses Ganglion beherbergt die Zellkörper der Neuronen, die an der Übermittlung von Informationen aus den inneren Organen beteiligt sind.
Dann wird der Nerv wieder dünner und tritt sofort in eine durch eine bindegewebige Verdickung gebildete Hülle (die man als „Gefäß-Nerven-Strang des Halses“ zusammenfassen kann; Anm. d. Übers.) ein. Zusammen mit der inneren Halsschlagader und der inneren Halsvene wird der Vagus auf seinem Weg zum Hals zusätzlich durch weiches Gewebe geschützt.
Innerhalb dieser Bindegewebshülle bildet der Vagus einen weiteren Ast, den Rachennerv. Dieser besitzt Neuronen aus dem Vagus, führt aber auch einige Neuronen des IX. und XI. Hirnnerv (N. glossopharyngeus für Zungen-Rachennerv und N. accessorius für den sogenannten zusätzlichen Nerv). *Sobald diese Neuronen aufeinandertreffen, ziehen sie durch die Körpermitte zum oberen Teil des Halses, dem Rachen (Pharynx). Dort überträgt der Vagus motorische Signale an zahlreiche Muskeln, die am Schluckreflex beteiligt sind, sorgt für das Öffnen und Schließen des oberen Teils der Luftröhre und erhält den Würgereflex aufrecht.
Beim Absteigen des Vagusnervs im Gefäß-Nerven-Strang an den Seiten des Halses entspringt ein dritter Ast des Nervs, der obere Kehlkopfnerv, und zwar ziemlich direkt nach dem Rachennerv; er sendet motorische Signale zu den Kehlkopfmuskeln oberhalb der Stimmbänder, insbesondere zu den Muskeln, die die Stimmlage steuern.
In weiteren Verlauf des Vagus nach unten entspringen die zervikalen, die im Halsbereich befindlichen Herzäste, das sind zwei der drei Äste, die das Herz innervieren. Der dritte Ast, der thorakale, im Brustraum befindliche Herzast bildet sich kurz nach dem Verlassen des Gefäß-Nerven-Strangs im Bereich des Thorax, des Brustraums. Diese Äste vermischen sich mit den Nerven des sympathischen Nervensystems und bilden den sogenannten Plexus cardiacus, das „Herzgeflecht“ (ein Plexus, Plural Plexi, ist eine Verflechtung von Nervenfasern verschiedener Äste und verschiedenen Ursprungs, die zu einer bestimmten Stelle ziehen). Wir haben zwei kardiale Plexi, einen vor der Aorta, der Hauptschlagader, das sogenannte oberflächliche „Herzgeflecht“, und einen hinter dem Aortenbogen, das tiefe „Herzgeflecht.“ (Die Aorta ist die Hauptschlagader, das Blutgefäß, durch das Blut vom Herzen aus in den übrigen Körper transportiert wird.)
Manche Fasern der „Herzgeflechte“ ziehen zum sinoatrialen, dem SA- oder Sinus-Knoten des Herzens, seinem primären Taktgeber, während andere zum atrioventrikulären, dem AV-Knoten ziehen, der zum Erregungsleitsystem des Herzens gehört. Die Funktion dieser Nerven in Bezug auf das Herz wird im nächsten Kapitel besprochen. Vorläufig ist es nur wichtig, sich zu merken, dass diese Fasern die Geschwindigkeit der elektrischen Aktivität steuern, von der die Pumpfunktion des Herzens angetrieben wird.
Nach dem Austritt am Ende des Gefäß-Nerven-Strangs zieht der Nerv hinter der ersten und zweiten Rippe und vor den größeren Blutgefäßen, die vom Herzen ausgehen, hinunter in den Thorax, den Brustraum.
Der linke Vagusnerv verläuft vor dem Aortenbogen und gibt dann seinen vierten Ast ab – den linken sogenannten „rückläufigen Kehlkopfnerv“ (Nervus laryngeus recurrens). Auf der anderen Körperseite nimmt der rechte Vagusnerv einen ähnlichen Weg; er verläuft jedoch vor der rechten Schlüsselbeinarterie (Arteria subclavia) und gibt dann seinen vierten Ast ab, den rechten rückläufigen Kehlkopfnerv.
Beide rückläufigen Kehlkopfnerven nehmen den gleichen Weg, nur auf der jeweils anderen Körperseite. Diese beiden sind die einzigen Äste des Vagus, die wieder zurück zum Hals laufen (daher der Name; Anm. d. Übers.). Sie transportieren motorische Signale aus dem Hirnstamm zu jedem Kehlkopfmuskel unterhalb der Stimmbänder, die für die – auf deren Anspannung und Entspannung beruhende – Stimmbildung wichtig sind. Es wird noch ausführlich davon die Rede sein, wie wir diese speziellen Äste nutzen können, um eine suboptimale Funktion des Vagus zu verbessern.
Sind die beiden Vagusnerven auf Höhe der Hauptschlagader (Aorta) angekommen, sendet jeder von ihnen Äste zum nächsten paarigen Organ, der Lunge. Der linke Vagus schickt einen Lungenast zum vorderen Lungenplexus und der rechte Vagus schickt einen Lungenast zum hinteren Lungenplexus. Diese Nervenäste vermischen sich mit sympathischen Neuronen, organisieren sich neu und ziehen dann zu jeder Seite, um die Lunge zu innervieren, das heißt zu den Bronchien und den größeren Lungenästen, um sie je nach Bedarf des Körpers und der Situation zu öffnen und zu schließen.
Ein Organ des Brustraums, das vom Vagus innerviert und besonders oft übersehen oder vergessen wird, ist die Thymusdrüse. Der Thymus ist ein äußerst wichtiges Organ des Immunsystems. Er liegt im Mediastinum, dem Mittelfellraum der Brusthöhle, vor dem Herzen, aber hinter dem Brustbein. Ein Vagusast zieht zu diesem Organ und sendet Signale zum und vom Thymus. Der Thymus wird schon früh in unserer Entwicklung angelegt und ist der wesentliche Ort für das „Training“ und das Wachstum unserer weißen Blutkörperchen, der Leukozyten. Dass dieses Organ so leicht vergessen wird, liegt daran, dass es mit der Zeit schrumpft und durch Fettgewebe ersetzt wird. Dieser Prozess beginnt während der Pubertät und kann jahrelang bis in das frühe Erwachsenenalter hinein andauern. Ich stelle mir den Thymus gerne als „Schule“ für neue Immunzellen vor – genauso wie die „Schule“ älter wird und verfällt, büßt auch das Training, das die weißen Blutkörperchen durchlaufen, an Qualität ein. In späteren Kapiteln wird von der Rolle des Thymus noch ausführlicher die Rede sein.
Der letzte Abschnitt, den der Vagus innerviert, sind die Organe des Abdomens, die Bauchorgane. Sie sind wichtig für die Verdauung, steuern das Immunsystem und gewährleisten, dass das Blut, das zu den anderen Zellen fließt, keine Toxine enthält, die die Zellgesundheit negativ beeinflussen können.
Der erste Vagus-Ast im Bauchraum zieht zum Magen. Wenn unser Körper im Zustand des Ruhens und Verdauens ist, stimuliert der Vagus die Funktion der Magenmuskulatur. So erhalten die sogenannten Parietalzellen des Magens Signale zur Bildung und Ausschüttung von Salzsäure (HCl), die Hauptzellen des Magens werden zur Bildung und Ausschüttung der Verdauungsenzyme Pepsin und Gastrin angeregt und die glatten Muskelzellen des Magens sorgen für die muskuläre Durchmischung und den Weitertransport der Nahrung in den nächsten Abschnitt des Verdauungstrakts, den Dünndarm.
Ist der Vagusnerv geschädigt und sendet diese wichtigen Signale nicht an die Zellen des Magens, kommt es zu Problemen wie einer Hypochlorhydrie (geringer Magensäurespiegel), die eine wichtige Ursache vieler gesundheitlicher Beschwerden ist. Ein ausreichend niedriger pH-Wert (hoher Säuregrad) ist für die Aktivierung der Verdauungsenzyme und zur Aufspaltung der Nahrung erforderlich. (Der pH-Wert wird in Zahlen von 1-14 ausgedrückt; 7 bedeutet neutral, alles <7 ist sauer – je niedriger, desto saurer –, alles >7 ist basisch – je höher, desto basischer; Anm. d. Übers.) Der optimale pH-Wert des Magens sollte bei etwa 3,0 liegen; alles über 5,0 ist nicht stark (sauer) genug, um Pepsin und Gastrin zu aktivieren. Bei einem niedrigen Magensäurespiegel kann die Nahrung also nicht optimal aufgespalten werden. Ein höherer pH-Wert im Magen kann unerwünschten Bakterien, Viren und Parasiten den Weg in den Darm ermöglichen, wo sie sich verheerend auf den Verdauungstrakt auswirken.
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