Wir setzen uns selbst unter Stress, indem wir stark verarbeitete Nahrungsmittel zu uns nehmen (die uns von einer mehr auf hohe Erträge und Zweckmäßigkeit als auf den Nährwert ausgerichteten Landwirtschaft beschert wurden), während wir mehr Zeit im Haus, abseits der Natur verbringen, uns um unsere Angehörigen sorgen und dabei vergessen, uns um uns selbst zu kümmern. Gleichzeitig erwarten wir von Ärzten und Therapeuten, dass sie mit dem aufreibenden Tempo der Veränderungen in unserem Leben Schritt halten.
Für diese Probleme gibt es eine Lösung: Übernehmen Sie die Verantwortung für Ihre eigene Gesundheit wieder selbst.
Anstatt sich in dieser Hinsicht nur auf Ihre Ärzte zu verlassen, übernehmen Sie selbst die Kontrolle und lassen sich von ihnen Ihre eigenen Überlegungen bestätigen. Forschen Sie selbst nach, lernen Sie, mit Ihren Stressfaktoren umzugehen, und finden Sie heraus, welche Auslöser bei Ihnen zu einem Stresszustand führen. Ihr Hausarzt ist eine Wissensquelle, die Sie nutzen können und sollten, doch wenn Sie einem System die alleinige Verantwortung übertragen, dessen Möglichkeiten immer geringer werden und das Hunderte und Tausende von Patienten betreuen muss, dann ist Ihre eigene Gesundheit unweigerlich zum Scheitern verurteilt.
Mithilfe dieses Buchs erlangen Sie die Fähigkeit, die Verantwortung für Ihre Gesundheit wieder selbst zu übernehmen. Sie lernen die übersehenen grundlegenden Ursachen vieler Krankheitszustände kennen, die schulmedizinisch leider noch nicht als die wahren Gründe einer schlechten Gesundheit anerkannt werden. Tatsächlich gibt es jedoch in der funktionellen Medizin bereits Laboruntersuchungen, die diese Schwachpunkte aufdecken können. Ich gebe Ihnen tägliche, wöchentliche und monatliche Instrumentarien zur Funktionsverbesserung Ihres Vagusnervs und des parasympathischen Nervensystems an die Hand, damit Sie sich von Ihren alltäglichen Stressfaktoren besser erholen können.
Dieses Buch ist in drei Teile gegliedert:
Teil 1 konzentriert sich auf die wissenschaftlichen Grundlagen, insbesondere auf die Anatomie, die Neuroanatomie, die Biochemie und die spezifischen Funktionen des Vagusnervs und der Systeme, die er steuert. Wenn Sie eher der praktische Typ sind, können sie diesen Abschnitt einfach nur überfliegen. Dennoch ist er wichtig und Sie sollten ihn lesen, wenn Sie ein vertieftes Verständnis für die Besonderheiten des Vagusnervs und seiner Aufgaben gewinnen möchten.
Teil 2 befasst sich mit der Funktionsstörung des Vagus – den Anzeichen, Symptomen und zugrunde liegenden Ursachen – sowie damit, wie Sie seine Funktion mit einem Instrumentarium bestimmen, das Sie täglich nutzen können. Dies ist ein wichtiges Kapitel für all jene, die unter verschiedenen gesundheitlichen Problemen leiden und gerne ein wenig tiefer schürfen und herausfinden möchten, warum diese Probleme hauptsächlich auftreten können.
Teil 3 ist der Verbesserung und Optimierung der Vagusfunktion gewidmet. Ich erläutere bestimmte Strategien und Programme, die meine Kollegen und Patienten nutzen, wenn sie an der Funktionsverbesserung dieses Nervs arbeiten, um wieder gesund zu werden und um die ihren gesundheitlichen Problemen zugrunde liegenden Ursachen zu überwinden.
Wenn Sie bereit sind, die Verantwortung für Ihre Gesundheit wieder in Ihre eigenen Hände zu nehmen, dann schnallen Sie sich gut an. Wir starten unverzüglich!
TEIL 1
KAPITEL 1
WAS IST DER VAGUSNERV?
Wenn das Gehirn des Menschen so einfach wäre,
dass wir es verstehen könnten, dann wären wir so
dumm, dass wir es doch nicht verstehen würden.
Emerson W. Pugh
Die Anatomen waren überfragt. Wie konnte ein einzelner Nerv, der vom Hirnstamm ausgeht, so lang sein und so viele verschiedene Organe miteinander verbinden? Welche Wirkungen könnte dieser Nerv möglicherweise haben? Was würde bei einer so breiten Palette potenzieller Funktionen passieren, wenn er verletzt oder durchtrennt würde?
Welche Aufgaben hat der Vagusnerv?
Der Vagusnerv (VN) hat seinen Ursprung im Stammhirn – im Wesentlichen in der Region des Gehirns, die die überwiegende Mehrheit der automatisch ablaufenden Funktionen des Körpers wahrnimmt, verarbeitet und steuert. Im Großen und Ganzen müssen wir uns diese Funktionen nicht bewusst machen, damit sie ablaufen können. Sie werden daher als autonom bezeichnet und werden von unserem autonomen Nervensystem gesteuert.
Woher hat der Vagus seinen Namen?
Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort vagari ab, das „umherschweifend“ und in begrenztem Umfang „unbestimmt, vage“ bedeutet. Da er sich bei der ersten Untersuchung als so weitläufig und unspezifisch erwies, wollten die Anatomen und Forscher eine beschreibende Bezeichnung, die genau das ausdrückte. Als sie bei dem Begriff Vagus landeten, gaben sie diesem Nerv daher den Namen „der Umherschweifende“.
Dies sind einige der vom autonomen Nervensystem gesteuerten Funktionen:
• Herzschlag
• Blinzeln der Augenlider
• Atemfrequenz und -tiefe
• Verengung und Erweiterung der Blutgefäße
• Entgiftung der Leber und der Nieren
• Verdauung
• Öffnen und Schließen der Schweißdrüsen
• Speichel- und Tränenbildung
• Pupillenerweiterung und -verengung
• Sexuelle Erregung
• Miktion (Blasenentleerung)
Im Hirnstamm befinden sich verschiedene Gruppen von Nervenzellkörpern, die Nuklei (Kerne) genannt werden. Hier nehmen Nervenzellen Informationen aus anderen Körperzellen auf. Diese Kerngebiete haben verschiedene Funktionen und werden mit Namen bezeichnet, die vom Lateinischen abgeleitet sind. Kerngebiete sind wie ein Router bei einer Internet-Netzwerk-Verbindung zu Hause. Manche Informationen gelangen über die Kabelverbindung oder die Telefonleitung in den Router, werden dort verarbeitet, und andere Informationen werden dann über den Router an Ihren Computer, den Fernseher oder jedes andere elektronische Gerät gesendet, das mit Ihrem Netzwerk verbunden ist.
Es gibt zwei Hauptarten von Neuronen (Nervenzellen) und sie senden Informationen in eine von zwei Richtungen. Die eine Art sind afferente Neuronen, die Informationen darüber erhalten, was in und um den Körper herum geschieht. Afferente Neuronen leiten Information aus dem Körper zum Gehirn, das sind die sogenannten afferenten Informationen. Die andere Art sind die sogenannten efferenten Neuronen, die Informationen mit regulatorischer oder motorischer Wirkung (sogenannte efferente Informationen) an verschiedene Organe und Strukturen im Körper leiten; efferente Informationen werden also vom Gehirn an den Körper übermittelt.
Der Vagusnerv ist mit vier verschiedenen Kerngebieten im Stammhirn verbunden. Ganze 80 Prozent der von ihm übertragenen Informationen sind afferent, das heißt, die häufigste Richtung, in der Informationen im Vagus fließen, ist die von den Organen des Körpers zum Gehirn. Die restlichen 20 Prozent der Neuronen im Vagusnerv leiten ein efferentes Signal aus dem Gehirn in den Körper und führen zu spezifischen Funktionen, die in jeder Zelle und jedem Organ stattfinden. Es ist eine interessante Erfahrung, dass die meisten Medizin studenten von der Tatsache überrascht sind, dass nur 20 Prozent der Vagus funktion efferent sind, da er so viele efferente Auswirkungen auf die Organe hat – stellen Sie sich nur die Mengen an Informationen vor, die dieser Nerv an das Gehirn zurückmeldet, mehr als viermal so viele wie er vom Gehirn aus weiterleitet.
Wie die Drähte Ihrer Netzwerkverbindung zu Hause, so schicken die Bündel von Neuronen in Ihren Nerven mittels elektrischer Signale Informationen entlang ihrer Bahnen, die, am Ziel angekommen, ein chemisches Signal, einen sogenannten Neurotransmitter, freisetzen. Diese Neurotransmitter binden an den dafür bestimmten Rezeptoren der Zielzellen und führen eine Wirkung in den Zellen am Ende der Verbindung herbei. Der Neurotransmitter, den der Vagusnerv hauptsächlich nutzt, ist Acetylcholin (kurz: ACh), das eine erhebliche entzündungshemmende Wirkung im Körper hat.
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