1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Ich begeisterte mich für eine neue Gruppe, die Incredible String Band, weshalb wir mit „Painting Box“ einen ihrer Songs einstudierten. Wir spielten außerdem auch Instrumentalstücke von John Renbourne. Wenn Brian sich verabschiedet hatte, spielte ich noch stundenlang weiter, bis ich etwa „Angie“, eine wunderschöne instrumentale Nummer, die der Folk-Sänger Bert Jansch performte, spielen konnte. Ich spielte so lange, bis sich enorme Furchen von den Gitarrensaiten auf meinen Fingerspitzen entwickelten, weil ich wollte, dass meine Version wie seine klang.
Bald hatten wir ein ganzes Set von Songs beisammen, die wir gemeinsam spielen konnten – und bevor ich mich versah, war ein neues Duo geboren. Von nun an war ich die eine Hälfte von Stewart & Harrison. Wir spielten Gigs und fuhren mitunter bis zu 75 Kilometer in Brians Auto, um zu den Auftrittsorten zu gelangen. Es war unglaublich. Wir parkten und stiegen aus – und alle hatten einen anderen Akzent.
Eddie und Finbar Furey trafen 1968 in Sunderland ein, um dort zu spielen. Nach der Show lud Brian sie zu einem Drink ein. Ich hatte schon so viel von Brian über sie gehört, weshalb ich es kaum erwarten konnte, sie kennenzulernen und ihren Anekdoten zu lauschen. Wir blieben fast die ganze Nacht wach, tranken Whiskey, sangen, spielten und lachten. Ich war 15 und hatte selbst schon einige Abenteuer erlebt, aber das hier war anders. Es war fast so, als wären zwei Zauberer eingetroffen. Als Eddie seine Stiefel auszog und buchstäblich Hunderte Pfundnoten herauspurzelten, war ich total baff. Ich war von der ersten Minute an gefesselt von ihnen. Sie waren einfach ein phantastisches, herumvagabundierendes Folk-Duo, das wunderbare Songs schrieb und performte. Finbar war bereits als Champion im irischen Dudelsack ausgezeichnet worden. Darüber hinaus war er ein Singer-Songwriter, beherrschte das fünfsaitige Banjo und spielte Gitarre. Eddie sang, spielte Gitarre und hatte eine wunderschöne Stimme: Ich konnte ihm stundenlang zuhören.
Ich trieb mich auch mit den Fureys eine Zeitlang herum und begleitete sie bis nach Peebles oben in Schottland. Wir lebten gemeinsam in einem verlassenen Eisenbahnschuppen. Eines Abends tranken wir in einem Pub zusammen Whiskey und diese Jungs waren geeichte Trinker. Es kam schließlich zu einem Handgemenge, weil sie Iren waren und sich zu laut in einem schottischen Pub aufgeführt hatten. Ich bekam gar nicht mit, was da vor sich ging, als sie mir plötzlich zuriefen: „Unter den Tisch mit dir, Junge!“
Während sich die Keilerei entfaltete, ging ich unter dem Tisch in Deckung. Ein paar Minuten später wurde ich wieder hervorgezogen und wir machten uns auf den Weg zurück zu unserem Schuppen. Sie riefen: „Beeil dich! Wir müssen die Türen vernageln!“ Wir liefen zum Schuppen und begannen, wie wild Bretter vor die Türen zu nageln, um zu verhindern, dass etwaige Verfolger die Scheiße aus uns herausprügeln konnten. Es war gleichzeitig beängstigend und aufregend. Ich fuhr schließlich erleuchtet zurück nach Sunderland.
Alle Leute um mich herum waren viel älter als ich. Sie waren Erwachsene und ich war bloß ein Junge. Mein Kopf explodierte förmlich aufgrund des Wunsches, zu einem umherschweifenden Folk-Vagabunden-Duo zu gehören, und ich wusste, dass ich etwas unternehmen musste, damit ich dies für den Rest meines Lebens tun könnte.
Auftritt: Dick Bradshaw. Er war ein Lehrer an meiner Schule und seine Finger waren braun vom Nikotin und seine Haare länger als die aller Schüler. Er war ein toller Jazz- und Blues-Pianist und wir wurden enge Freunde. Er unterhielt sich mit mir wie mit einem Erwachsenen.
Eines Tages erzählte er mir, dass er Songs schrieb, was etwas war, worüber ich bis dahin nicht einmal nachgedacht hatte. Und so fragte ich ihn: „Könnte ich auch einen Song schreiben?“ Er versicherte mir, dass ich das könnte und spielte mir ein paar von seinen am Piano vor.
Dies führte zu meiner allerersten Aufnahme – der ersten von mittlerweile etlichen Tausend –, und zwar mit unserem Duo Stewart & Harrison. Wir begaben uns in ein kleines Tonstudio, das wir nur für ein paar Stunden gemietet hatten. Als Schalldämpfung waren Eierkartons an die Wände getackert und das Studio gehörte einemTyp namens Ken McKenzie, der auf mich wie ein Zauberer an den Reglern wirkte. Uns standen nur zwei Spuren zur Verfügung, weshalb wir keine Overdubs aufnehmen konnten, live spielen und alles auf einmal einfangen mussten.
Wir sangen zwei Songs, die Dick geschrieben hatte: „Girl“ und „Green, She Said“. Außerdem nahmen wir noch einen traditionellen Song, das besagte „A Blacksmith Courted Me“, sowie meine allererste Eigenkomposition mit dem Titel „Deep December“ auf. Bei meiner Nummer hatte mir ein malender Bohème namens Eric Scott alias Eric the Artist, mit dem ich mich angefreundet hatte, als Co-Songwriter assistiert.
Da wir in Folk-Clubs auftraten, beschlossen wir, unsere EP in Vinyl pressen zu lassen, um sie bei unseren Gigs zu verkaufen. Es war ein großer Moment für mich, als die Boxen mit den EPs aus dem Presswerk bei uns eintrafen. Es war nur schwer zu glauben, dass wir tatsächlich eine Schallplatte gemacht hatten. Ein Traum war wahr geworden. Uns ging es wie vielen Indie-Bands heutzutage, aber damals war das absolut bahnbrechend. Niemand, den ich bis dahin kennengelernt hatte, hatte ein echtes Album aufgenommen. Ich ging immer noch zur Schule, als das Paket mit unseren Schallplatten eintraf. Sie sahen genauso aus wie die, die man im Plattenladen kaufen konnte. Unsere Scheibe erschien auf Ken McKenzies eigenem kleinen Label, Multirecord. Auf dem Label in der Mitte der Platte standen in schwarzen Buchstaben auf knallgelbem Hintergrund neben MULTIRECORD auch noch die Songtitel
1. GIRL (Dick Bradshaw)
2. GREEN, SHE SAID (Dick Bradshaw)
sowie unsere Namen
STEWART & HARRISON
Produced by Ken McKenzie.
Und als wir die Platte abspielten, war das ein unglaublicher Augenblick: Wie sich diese Wörter vor uns auf dem Plattenteller drehten und schließlich unsere Stimmen erklangen! War denn das alles überhaupt möglich?
* * *
Ich war noch immer keine 16 Jahre alt, als ich mit Eric the Artist zusammenzog. Er mochte es, Musik um sich zu haben, während er malte, und bat mich sogar, bei einer seiner Ausstellungen zu spielen. Für diesen Anlass dekorierte er sogar meine Gitarre.
Ich weiß nicht, wieso mir mein Dad erlaubte, aus dem Haus unserer Familie auszuziehen, um von nun an bei einem langhaarigen verrückten Künstler zu leben. Die Kunstszene von Sunderland war nicht besonders groß. Eigentlich war Eric sogar der einzige echte Künstler, der von seinen Bildern auch leben konnte. Ich konnte das gar nicht richtig einordnen.
Es war mein erster Kontakt mit dem, was man sich unter einem Künstlerleben vorstellt. Er lebte in eher ärmlichen Verhältnissen, war aber ein ausgezeichneter Maler. Ich erhielt einen Einblick in eine Parallelwelt, von der ich gewusst hatte, dass sie existierte, die ich aber noch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Ich schlief auf dem Fußboden inmitten von Leinwänden und Farbdosen – meine Gitarre, meine winzige, karierte Decke und ich. Eric wiederum schlief im Nebenraum mit seiner Freundin Ann. Sie hatten ein Bett, allerdings war es auch Erics Wohnung und ich war noch jung, weshalb es mir eigentlich egal war.
Das Leben als Künstler war schon eine tolle Sache, doch hatten wir nur wenig zu essen. Wir ernährten uns von Lebkuchen und starkem schwarzen Kaffee. Das war alles, was wir aßen, es sei denn Eric verscherbelte ein Bild. Dann gingen wir ins Pub und gaben die Kohle für Bier und Fritten aus.
Hausaufgaben stellten kein Problem dar, da ich beschlossen hatte, nie wieder zur Schule zu gehen. Ich war ja jetzt ein Künstler. Cool, oder? Mein Dad wollte mich dazu überreden, mich am Monkwearmouth College einzuschreiben. Da war ich eine Woche lang oder so. Ich hatte nur die Musik im Kopf.
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