Dr. Dunstaple war zu dieser Zeit der zivile Wundarzt von Krishnapur. Doch irgendwie hatte er es eingerichtet, sich mit seiner Familie für die kühle Jahreszeit nach Kalkutta abzusetzen, während er Krishnapurs Zivilisten den süßen Gnaden von Dr. McNab überließ, der gerade den Posten des Regimentsarztes übernommen hatte und dafür bekannt war, einige der extremsten, alarmierend direkten Methoden der zivilisierten Medizin überhaupt zu vertreten.
Seinen Sohn Harry hatte der Doktor allerdings in Krishnapur zurückgelassen. Dank der Hilfe eines Freundes aus Fort William* war der junge Harry als Ensign bei einem der in Krishnapur (oder vielmehr in dem fünf Meilen entfernten Captainganj) stationierten Eingeborenenregimenter der Infanterie untergebracht worden, wo seine Eltern ihn im Auge behalten und aufpassen konnten, dass er sich nicht verschuldete. Harry, der inzwischen Leutnant war, blieb sogar recht gern zurück, als seine Familie, einschließlich der zwölfjährigen kleinen Fanny, fortging, um sich in Kalkutta zu vergnügen; als »Militär« neigte er dieser Tage dazu, mit Herablassung auf Zivilisten zu blicken, und Kalkutta war zweifelsohne voll von diesen Gesellen.
Umgekehrt war es Mrs. Dunstaple nicht unrecht, dass ihr Sohn in Krishnapur zurückblieb, auch wenn das bedeutete, ihn nicht an ihrer Seite zu haben. Harry war in einem empfindlichen Alter, und in Kalkutta wimmelte es von ehrgeizigen Müttern, die nur darauf aus waren, junge Offiziere wie Harry dem Charme ihrer Töchter auszusetzen. Ach, Mrs. Dunstaple wusste nur allzu gut, dass Indien voller junger Leutnants war, die ihre Karrieren gleich am Anfang durch desaströse Ehen ruiniert hatten. Doch diese Überlegung, was Harry betraf, hinderte sie nicht daran, auf Gelegenheiten zu hoffen, um Louises Charme geeigneten jungen Männern vorzuführen. Im Osten verfliegen die roten Wangen eines Mädchens so schnell, so unglaublich schnell (obwohl dies, streng genommen, auf Louise nicht zutraf, da ihre Schönheit von der blassen Sorte war).
Die Saison war außerordentlich erfolgreich gewesen, und nicht nur für Louise (die sich allerdings in Sachen Anträge als schwer zufriedenzustellen entpuppt hatte). Es hatte viele glänzende Bälle und ungewöhnlich zahlreiche Hochzeiten und andere Vergnügungen gegeben. Überdies war der Turf, in den letzten Jahren im Niedergang begriffen, wunderbar wiederaufgelebt. Natürlich sah man wohl beim Planters’ Handicap dieselben Tiere laufen wie beim Merchants’ Plate oder beim Bengal Club Cup, aber die Saison zeichnete sich durch bemerkenswerte Pferde aus, denn es war die Ära von Legerdemain, Mercury und der großen Stute Beeswing. Aber die kühle Jahreszeit neigte sich dem Ende zu, als Fleury und seine Schwester Miriam eintrafen, und in den Gesellschaftszimmern von Kalkutta sehnte man sich nach neuen Gesichtern wie den ihren (all die alten Gesichter waren mittlerweile so vertraut, dass man sie kaum noch sehen konnte). Im Übrigen war bekannt, dass ihr Vater ein Direktor der Company * war, mit allem, was das im Indien der Handelskompanie an gesellschaftlichem Ansehen bedeutete. Es ging auch das Gerücht, der junge Fleury sei kaum eine halbe Stunde in Indien gewesen, als Lord Canning* ihm schon eine Zigarre angeboten habe. Kein Wunder, dass die Nachricht von seiner Ankunft im Haus der Dunstaples in Alipore für einige Aufregung sorgte.
Ungeachtet der sehr unterschiedlichen Ränge, die sie jetzt in der Gesellschaft einnahmen, waren Dr. Dunstaple und Fleurys Vater vierzig Jahre zuvor miteinander in die Schule gegangen und tauschten, nach all dieser Zeit, immer noch ein oder zwei Mal im Jahr derbe kleine Briefe über Sportfreuden aus, wie Schuljungen. Der Doktor hatte guten Grund, sich über diese Freundschaft zu freuen, denn es war Sir Herbert Fleury zu danken, dass dem jungen Harry eine Kadettenstelle in Addiscombe, an der Militärschule der Ostindien-Kompanie, gewährt worden war; es lag bei den Direktoren, die Kadettenstellen zu vergeben.
Im Lauf ihres Briefwechsels hatte der ältere Fleury oft seinen Sohn, George, erwähnt, mitten unter den Sumpfhühnern, den Fasanen und den Füchsen … George studierte in Oxford und sollte zu gegebener Zeit vielleicht nach Indien kommen. Aber die Jahre vergingen, ohne ein Zeichen vom jungen Fleury. Auch in den Briefen seines Vaters wurde er nicht mehr erwähnt. Irgendeine häusliche Tragödie ahnend, hatte der Doktor seine Briefe taktvoll aufs Sauspießen und Ortolane beschränkt. Weitere zwei oder drei Jahre waren vergangen, und nun, plötzlich, als der Doktor es nicht mehr erwartete, war der junge Fleury wieder aufgetaucht unter den Füchsen. Wie es schien, kam er nach Indien, um das Grab seiner Mutter zu besuchen (zwanzig Jahre zuvor, während Sir Herbert persönlich in Indien weilte, war seine junge Frau gestorben und hatte ihn mit zwei kleinen Kindern zurückgelassen); gleichzeitig hatte das Direktorium ihn beauftragt, ein Büchlein abzufassen, in dem er beschreiben sollte, welche Fortschritte die Zivilisation unter der Herrschaft der Company in Indien gemacht hatte. Aber das waren nur die vorgeschobenen Gründe seines Besuchs … der wahre Grund, warum der junge Fleury nach Indien kam, war das Bedürfnis, seine jüngst verwitwete Schwester Miriam, deren Ehemann, Captain Lang, vor Sewastopol getötet worden war, ein wenig abzulenken.
Nun waren George Fleury und seine Schwester in Kalkutta eingetroffen, und Mrs. Dunstaple hatte gehört, dass er ziemlichen Eindruck machte. Sogar seine Kleidung, nach der allerneusten Mode, wie es hieß, war Stadtgespräch. Anscheinend hatte man ihn etwas tragen sehen, was definitiv die erste »Tweedside«-Loungingjacke war, die in der Präsidentschaft Bengalen in Erscheinung trat; dieses Kleidungsstück, waghalsig untailliert, hing gerade herunter wie ein Kartoffelsack und erregte den Neid jedes Beau auf der Chowringhee Road. Auf Geheiß seiner Frau setzte sich der Doktor unverzüglich hin und schrieb eine warmherzige Einladung an Fleury und Miriam, den Dunstaples bei einem Familienpicknick, das sie im Botanischen Garten einzunehmen planten, Gesellschaft zu leisten. Aber selbst als er den Brief versiegelte, kam Dr. Dunstaple nicht umhin, sich zu fragen, ob Fleury sich wirklich als das erweisen würde, was seine Frau erwartete. Tatsache war, dass Harry während seiner Zeit in Addiscombe einmal ein paar Tage bei den Fleurys auf dem Land gewesen war und seinem Vater später davon erzählt hatte. Im Lauf seines Aufenthalts hatte Harry den jungen George nur selten zu Gesicht bekommen, aber eines Abends, als er zu Bett ging, angenehm müde, nachdem er den ganzen Tag mit dem älteren Fleury auf der Jagd gewesen war, hatte er der schwirrenden, mondhellen Nacht sein Fenster geöffnet und, sehr schwach, die Klänge einer Geige gehört. Er war sicher, es müsse George gewesen sein. Am nächsten Morgen hatte er die besagte Geige, ein paar taufeuchte Notenblätter auf einem Musikpult sowie einen hohen, mittelalterlichen Kandelaber entdeckt … und das alles in einer »zerfallenen« Pagode am Ende des Rosengartens.
Dem Doktor kam dies wie ein Beweis der häuslichen Tragödie vor, die er für seinen Freund befürchtet hatte. Vielleicht war George verrückt? Jedenfalls schien es beunruhigend, dass er nicht mit Harry auf die Jagd gegangen war. Und dann, Geige spielen für die Eulen, die aus dem Sternenhimmel stoßen, nun ja, das schien auch nicht ganz normal.
Am nächsten Morgen spähten die Ladies diskret aus einem der oberen Fenster, als eine ziemlich verdreckte gharry * vor dem Haus der Dunstaples in Alipore hielt. Sogar Louise spähte hinaus, obwohl sie leugnete, an der Art von Kreatur, die da herauskommen mochte, auch nur im Geringsten interessiert zu sein. Wenn sie zufällig am Fenster stand, dann nur, weil Fanny auch dort stand und sie versuchte, Fannys Haar zu kämmen.
»O Liebes, lass dich nur nicht blicken, was würde er denn denken!«, stöhnte Mrs. Dunstaple. »Sei vorsichtig.« Aber sie selbst starrte begieriger hinaus als alle anderen.
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