„Klar, stimmt“, sagte er. „Ich bin Ian Curtis.“
„Oh, okay“, sagte ich darauf. „Nun, dann hast du den Job.“
Ich war so was von erleichtert, endlich einen Anruf von jemandem zu bekommen, der kein Spinner oder irrwitziger Hippie war, ganz abgesehen davon, dass dies jemand war, den ich bereits gekannt hatte – das waren auch schon die beiden Kriterien, die ich in Betracht zog, als ich Ian Curtis zusagte.
„Na, gut“, meinte er. „Und was passiert jetzt?“
Wir vereinbarten eine Probe in einem Raum über einem Pub in Weaste, dem Grey Mare, der außerdem als Hauptquartier einer Organisation mit dem Namen Royal Antediluvian Order of Buffaloes fungierte. Das waren so eine Art Freimaurer für Angehörige der Arbeiter- und Mittelklasse. Am einen Ende des Raums stand eine große Truhe mit Büffelhäuten, die sie sich bei ihren Zeremonien umlegten. Trotzdem war es ein ziemlich guter Proberaum – und er wurde sogar noch besser, als sich herausstellte, dass Ian seine eigene Lautsprecheranlage hatte.
Zu diesem Zeitpunkt hatten wir auch entschieden, Terry – nach seinem gescheiterten Versuch als Drummer – eine Chance als zweiten Gitarristen zu geben. Ich hatte einen Gitarrenverstärker von Zenith erstanden, aber er klang abscheulich. Dieses beschissene Transistor-Ding hatte nämlich einen echt dünnen, sauberen Sound. Schließlich wollte ich Punk spielen. Damit klangen wir aber mehr wie Mark Knopfler. Ich drehte ihn immer mehr auf, aber egal, wie hart ich ihn rannahm, er klang immer noch sauberer und tat einem richtig in den Ohren weh. Unverständlicherweise habe ich mir auf E-Bay gerade noch einmal einen gekauft. Keine Ahnung wieso. Vielleicht aus Nostalgie?
Ians Verstärkeranlage war ebenso Mist. Es klang schrecklich und verzerrt, aber dafür waren die Lautsprecher in Ordnung. Wir organisierten einen neuen Verstärker für den Gesang und Terry übernahm Ians alten für seine Gitarre. Allerdings spielte er absichtlich leise, damit man ihn nicht hören konnte.
Der nächste Schritt bestand darin, einen Drummer zu finden, um die klassische Punk-Besetzung – Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug – zu vervollkommnen. Wie sich bald herausstellte, meldete sich auch diesmal eine Reihe von Knallköpfen, Wahnsinnigen und Arschlöchern. Es zeigte sich, dass Drummer in dieser Hinsicht sogar noch schlimmer sind als Sänger, und wir probierten es mit ziemlich vielen aus. Ein paar waren ganz gute Schlagzeuger, aber dafür totale Nervensägen. Ich erinnere mich da an einen Typen, der zu denken schien, dass er uns vorspielen ließ – ob wir denn gut genug für ihn wären. Wieder ein anderer, ein angehender Sportlehrer, schien eigentlich ganz vielversprechend zu sein, aber irgendwie hatten wir dennoch das Gefühl, dass er nicht dazupassen würde. Blöd war nur, dass wir ihm schon zugesagt hatten. Hooky und ich fuhren also nach Middleton, um uns mit ihm zu treffen und die Sache zu klären. Als wir auf dem Weg zu ihm waren – wir fühlten uns einigermaßen schlecht deswegen –, besorgten wir eine Schachtel Pralinen, quasi als Trost. Wir kamen schließlich beim College, wo er studierte, an, spazierten hinein und fanden ihn vor, wie er gerade mit seinen Mitstudenten herumalberte – sie verdroschen sich gegenseitig mit nassen Handtüchern, das Übliche eben.
Wir riefen ihn zu uns, setzten uns hin und sagten ihm, dass wir schlechte Nachrichten für ihn hätten. Da wir nicht die Eier hatten, ihm zu erklären, warum wir ihn nicht wollten, teilten wir ihm mit, dass wir die Band überhaupt bleiben lassen würden. Wir entschuldigten uns dafür, dass wir falsche Erwartungen in ihm geweckt hätten, und überreichten ihm die doppellagige Box mit Pralinen als Zeichen unserer Anerkennung. Er war – gelinde gesagt – ein wenig perplex, aber damals schien es uns die richtige Geste zu sein. Wir waren eigentlich ziemlich nette Leute, weshalb wir uns auch schlecht wegen der Sache fühlten, besonders weil wir zuvor noch nie jemanden gefeuert hatten.
Nun hatten wir aber immer noch keinen Drummer, eine Situation, die rasch zur Zwangslage wurde, als uns schließlich unser erster Gig – als Vorgruppe der Buzzcocks am 29. Mai 1977 im Electric Circus – angeboten wurde. Wir hatten uns mit ihnen angefreundet und wandten uns an sie, wenn wir Rat brauchten. Immerhin hatten wir keine Ahnung in Bezug auf Verstärker, Gitarren und all die anderen Dinge, über die man Bescheid wissen sollte, wenn man in einer Band spielte. Manchmal fuhren wir mit ihnen auch in Terrys Auto durch die Gegend. Das war eine echte Scheißkarre, ein Vauxhall Viva. Die Sitze waren nicht verstellbar, es gab keine Zentralverriegelung, keine Getränkehalter. Eines Tages saßen also die Buzzcocks auf der Rückbank, Terry hinterm Steuer und ich war Beifahrer. Im Türfach bewahrte Terry jede Menge Schleifpapier auf. Der Wagen war nämlich seine Bastelkarre, die er gerade auf Vordermann bringen wollte. Sogar während er damit herumfuhr. Jedes Mal, wenn wir bei einer Ampel anhielten, kurbelte er das Fenster runter, schnappte sich eine Lage Schleifpapier, lehnte sich hinaus und begann die Karosserie abzuschmirgeln. Die Rostlaube war so im Eimer, dass der Motor bei jeder zweiten Ampel absoff. Der einzige Weg, das Auto wieder in Gang zu bekommen, war, mit einem Gummischlauch Benzin aus dem Tank anzusaugen, während gleichzeitig jemand die Zündung betätigte. Dann musste man den Treibstoff in den Vergaser blasen. Gott, wie uns die Buzzcocks hochleben ließen, wann immer solche Sachen passierten. Sie nannten Terry „Benzinsauger“, aber Terry nannte Pete Shelley ja auch „Abgelaufene-Butter-Atem“. Keiner von beiden wusste jedoch über seinen jeweiligen Spitznamen Bescheid. Die Buzzcocks konnten aber selbst auch ziemlich schräg drauf sein. Einmal zog Pete Shelley dieses abartige, schuppenförmige Ding, das an ein altes Cornflake erinnerte, aus seiner Geldtasche hervor und hielt es mir unter die Nase. Ich fragte ihn: „Was zum Geier ist das denn?“ Er antwortete: „Ich fiel unlängst hin und schürfte mir den Ellbogen auf. Das ist der Schorf.“ Egal, Richard Boon, ihr Manager, unterstützte uns sehr und hatte uns diesen Gig im Electric Circus verschafft, worüber wir sehr aufgeregt waren. Leider hatten wir eben zu diesem Zeitpunkt weder einen Namen noch einen Drummer. Nachdem sie uns schon geholfen hatten, unseren ersten Gig an Land zu ziehen, versuchten die Buzzcocks nun auch, uns mit dem Namen unserer Band behilflich zu sein, und auch uns selbst waren schon ein paar eingefallen, die wir nun diskutierten. Hooky etwa hatte The Out of Town Torpedoes vorgeschlagen. Auch The Slaves of Venus stand als Name im Raum. Stellt euch nur vor, wir hätten uns für einen davon entschieden.
Wir brauchten aber dringend einen Namen. Richard Boon schlug uns daraufhin Stiff Kittens vor, was uns anfänglich gut gefiel, weil es ein brauchbarer Punk-Name war. Aber wir waren uns unsicher, wie lange so ein Name gut klingen würde. Außerdem, wenn ich ehrlich bin, trug auch der Umstand, dass er von außen kam, dazu bei, dass wir uns letztendlich dagegen entschieden. Der Name, den wir uns selbst ausdachten und mit dem wir alle einverstanden waren, lautete schließlich Warsaw. Wir fanden nämlich, dass unsere Musik eine kühle, strenge Atmosphäre ausstrahlte – und die Stadt Warschau, auf Englich Warsaw, schien uns ein kühler, strenger Ort zu sein. Natürlich war noch nie jemand von uns je dort gewesen. Und so wurde Warsaw der Name, der nicht mehr sein sollte als ein Platzhalter. Fürs Erste musste das jedenfalls reichen.
Damals beabsichtigten wir noch nicht, unmittelbar einen bleibenden, tiefschürfenden Eindruck auf die Welt zu machen, sondern einfach nur, unseren ersten Gig zu spielen, Live-Erfahrung zu sammeln und herauszufinden, wie es sich anfühlte, vor einem Publikum aufzutreten. Es wäre einfach nur unser erster Schritt, ein unspektakulärer erster Schritt auf dem Weg, der uns bevorstand. Außerdem stellte sich heraus, dass es bereits eine Band namens Warsaw Pakt gab, weshalb wir ohnehin bald mal unseren Namen würden ändern müssen, aber fürs Erste waren wir jetzt Warsaw. Ich weiß aber noch, dass diese Entscheidung zu spät fiel, um auf den Konzertplakaten noch berücksichtigt zu werden, denn da wurden wir als Stiff Kittens angekündigt.
Читать дальше