So begann meine Ruhelosigkeit zuzunehmen, obwohl ich die Leute, mit denen ich arbeitete, sehr, sehr gern hatte, insbesondere einen Animator namens Graham Garside. Außerdem gab es da noch einen mürrischen alten Typen namens Keith. Man begrüßte ihn und er schaute einen nur an. Antwort gab es keine. Eines Tages sagte er zu mir: „Schau dich nur an, du halbes Hemd. Eines Tages wirst du aufwachen, aufstehen und eine Wampe haben. Merk dir meine Worte!“ Das war so ein entsetzlicher Kommentar, dass er mich schon wieder zum Lachen brachte, aber er sollte Recht behalten: Genau so ist es nämlich gekommen. Wir machten ihm seinen Tee und er mochte ihn richtig stark. Wir nahmen ein widerliches Paar alter Socken, fischten ein paar alte Teebeutel aus dem Abfalleimer, stopften sie in die Socken und sagten: „Hättest du gerne Tee, Keith?“ Dann pressten wir das Sockengebräu in eine Tasse und gaben sie ihm.
Abseits der Arbeit investierte ich meine Zeit – und mein Geld – in Musik und meinen Motorroller. Ansonsten gab es in Salford damals auch nicht sonderlich viel zu tun. Es war eine ziemlich abgeschottete Gemeinschaft und man fuhr nicht oft weg. Ab und zu ging es vielleicht mit ein paar anderen Scooter-Jungs nach Blackpool oder Southport. Als ich 17 war, verschlug es uns sogar einmal bis runter nach Brighton. Die Polizei hielt mich an, weil ich keine Zulassungsplakette hatte. Mein lieber Großvater – Gott hab ihn selig – hatte mir 175 Pfund geliehen, damit ich mir meinen Lambretta-Flitzer hatte kaufen können. Das war damals eine schöne Stange Geld. Ich war richtig stolz auf meinen fahrbaren Untersatz – und auch stolz darauf, dass ich meinem Großvater mit meinem Gehalt sein Geld zurückzahlen konnte. Außerdem hatte er mir auch zehn Pfund gegeben, damit ich mir eine solche Plakette kaufen könne, was ich aber nicht tat. Stattdessen kaufte ich mir eine Schallplatte, nämlich Argos von Wishbone Ash. Ich hatte zwar noch nie von ihnen gehört, aber einfach mal auf gut Glück zugegriffen. Als ich mir die LP zuhause dann anhörte, gefiel sie mir nicht die Bohne, jedoch wollte man mir im Laden, wohin ich die Scheibe zurückgebracht hatte, mein Geld nicht zurückerstatten. So hatte ich das Geld für die Zulassungsplakette für ein Album verbraten, das mir nicht einmal gefiel, und, um alles noch schlimmer zu machen, wurde ich nun auf einem Roller mit L-Platten, die mich als Inhaber eines provisorischen Führerscheins auswiesen, von der Polizei aufgehalten. Außerdem saß noch ein Mädchen bei mir auf dem Sozius. Keine Zulassungsplakette – das hieß auch, dass ich nicht versichert war. So fasste ich eine empfindliche Strafe aus. Ich glaube zwar, dass ich einen Helm trug, aber das war bei dem ganzen Szenario auch schon das einzig Legale und die Gesetzeshüter gaben sich nicht sonderlich nachsichtig.
Ein paar Jahre später legte sich auch Peter Hook einen Motorroller zu und wir hingen mit anderen Gleichgesinnten ab. Wir flitzten durch Salford und Umgebung. Der geringste Vorwand genügte der Polizei, um uns anzuhalten. Sie versuchten dann, Informationen über hiesige Kriminelle aus uns herauszuquetschen, aber selbst wenn wir etwas wussten, verpfiffen wir nie wen.
Ungefähr zu dieser Zeit begannen wir, zu Konzerten zu gehen. Die treibende Kraft dahinter war in erster Linie Terry Mason, ein weiterer Freund aus der letzten Bankreihe in der Schule, der sowohl in der Story von Joy Division als auch in jener von New Order eine gewisse Rolle spielen sollte. Terry war wie wir alle ein Sonderling. Er war in Ordnung, ein ziemlich harmloser Charakter und in nichts besonders herausragend. Deshalb versuchten wir stets, ihn auf irgendeine Weise einzubinden, in der Hoffnung, vielleicht auf etwas zu stoßen, in dem er vielleicht doch einigermaßen gut war. Wir versuchten es etwa in den ganz frühen Tagen von Joy Division mit ihm als Schlagzeuger. Seine Mum hatte ihm ein Schlagzeug gekauft, aber leider war es so ziemlich das schlechteste auf dem ganzen Planeten – die Stützen waren so dünn wie Stricknadeln und das Ding bewegte sich von ihm weg, während er darauf spielte. Als er sich da so auf seinem Hocker nach vorn streckte, um die Trommeln zu erreichen, wirkte er mehr wie ein Wasserskifahrer als wie ein Drummer. Es war der Sache natürlich auch nicht besonders zuträglich, dass er ein richtig schlechter Schlagzeuger war – sogar im Kontext einer Punkband. Er hatte überhaupt kein Rhythmusgefühl und machte einfach nur einen fürchterlichen Radau. Terry sah wie eine Mischung aus dem Gestapo-Typen aus Jäger des verlorenen Schatzes und Alan Carr, dem Comedian, aus. Ich hielt ihn für einen witzigen Kerl. Obwohl seine Scherze ziemlich abstoßend waren, musste man einfach lachen. Damals war er jedoch in Bezug auf Konzerte ziemlich gut informiert, hauptsächlich weil er im Gegensatz zu uns die Musikpresse verfolgte. Er merkte sich Shows vor, die wir uns seiner Meinung nach nicht entgehen lassen sollten, und üblicherweise lag er damit goldrichtig.
Mitunter stellten sich die Konzert-Locations als Örtlichkeiten heraus, in die man ohne Studentenausweis nicht eingelassen wurde. Dann durften wir oft auch nicht rein, weil wir für Skinheads gehalten wurden – obwohl wir ja eigentlich Suedeheads waren. Die Studentenvertretung in der Oxford Street wies uns ab, weil wir nicht wie Hippies aussahen. Mit der Zeit frustrierte uns das, weil Bands damals nur an Unis und Colleges auftraten. Anscheinend wurden wir als Abschaum eingestuft und, nun ja, das waren wir wohl auch.
Eine Location, die uns reinließ, war die Lesser Free Trade Hall. Einer der ersten Gigs, an die ich mich erinnere, war ein Konzert von Lou Reed, der 1974 dort spielte. Ich war ein großer Fan von ihm und liebte seine Solo-Sachen. Ich war schon auf Transformer, seine Live-LP, Rock and Roll Animal und Berlin gestanden, bevor ich von Velvet Underground gehört hatte. Ich denke, dass es die Tour zu Sally Can’t Dance war, und ich hatte mich schon sehr darauf gefreut, ihn live sehen zu können. Seine Band kam auf die Bühne und begann mit „Sweet Jane“. Ich dachte mir in diesem Moment, wie toll es erst sein würde, wenn Lou gleich selbst auf die Bühne käme. Dann fing plötzlich dieser Zwerg mit blond gefärbten Haaren zu singen an. Das konnte doch nicht Lou Reed sein? Aber er war es.
Er war total von Sinnen – außer Rand und Band. Er zerschlug ein Mikrophon nach dem anderen. Aber es war ein fantastisches Konzert und das Publikum hatte auch so richtig Bock. Ich glaube, dass das auf eine gewisse Weise mein erster Punk-Gig war, nur wusste ich das da noch nicht. Die Band beendete ihr Set mit einer stürmischen Version von „Goodnight Ladies“ und machte sich dann vom Acker. Jeder erwartete noch eine Zugabe, aber die Bühne blieb leer und das Publikum wurde langsam unruhig. Ich stand neben einem Kerl, der wie ein Klon von Rod Stewart aussah. Er traf und durchschlug mit einer Bierflasche aus fast 500 Metern und unglaublicher Genauigkeit die Basstrommel auf der Bühne. Das war es dann. Pandämonium. Leute stürmten die Bühne und prügelten sich mit Roadies und Sicherheitskräften. Lou Reed sollte nie mehr nach Manchester zurückkehren – und alles nur wegen eines Typen mit zwielichtiger Haarpracht und unfassbarer Wurfgenauigkeit.
Hooky fuhr auf Deep Purple ab. Ich war nicht so überzeugt von ihnen, aber letztlich besorgten wir uns Konzertkarten, um eines ihrer Konzerte zu besuchen. Ich hatte einen schlimmen Zahnabszess und musste erst überredet werden. Es ist nie eine gute Idee, mit einem Zahnabszess auf ein Konzert zu gehen, aber noch schlimmer ist es, wenn eine Band spielt, die einem nichts gibt. Bei einem Song steigerte sich der Sänger in immer noch höhere Tonlagen – es war wohl „Child In Time“ – und mein Zahn pulsierte vor sich hin, als würde seine Stimme mir buchstäblich auf die Nerven gehen. Agonie. Im Publikum befanden sich zudem ziemlich viele Schwachköpfe. Ein nerviges Erlebnis.
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