1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Es mag vielleicht eine Überraschung für euch sein, aber das erste Musikstück, das mich richtig aus den Schuhen warf, jenes, das mich vielleicht am meisten beeinflusste, den Weg zu wählen, den ich gegangen bin, war keiner der Songs, die ich in der Disco unten im Jugendclub beziehungsweise oben bei den Rockfans hörte. Es lief auch nicht in einer unserer Musiksessions mit dem Schallplattenspieler des Geografielehrers und auch nicht im Radio. Ich war im Kino, als ich es zum ersten Mal hörte.
Ich hatte gerade den Spaghetti-Western Zwei glorreiche Halunken gesehen. Oder gehört. Ich war von klein auf ein visueller Typ gewesen und liebte es, wie dieser Film rüberkam: Er war auf eine besondere Weise gefilmt worden, mit kolossalen Großaufnahmen. Ich liebte es auch, dass nicht ganz klar war, wer nun gut und wer böse war, weil, nun ja, jeder böse war. Da gab es keinen Helden – nur Halunken. Bis dahin hatte es nur abgeschmackte John-Wayne-Filme gegeben, in denen man die Bösewichte an der Farbe ihrer Hüte erkennen konnte. Dann tauchte plötzlich Sergio Leone auf und machte subversive Filme, die alle Regeln brachen. Sie waren düsterer als alles Dagewesene. Man konnte den Schweiß und den Schmutz sehen, ja, beinahe die sengende Sonne spüren. Die Dialoge waren eher spärlich und über weite Strecken wurde geschwiegen. Leones Western waren auch auf seltsame Weise komisch. Aber was mich wirklich begeisterte, war die Filmmusik von Ennio Morricone. Dieses einfache, gepfiffene Thema, dieser scharfe Gitarrensound, diese Coyoten-Schreie, die Echo-Effekte, die großen Abstände zwischen den Noten – dies alles passte perfekt zu den kargen Drehorten des Films. Es war einfach unglaublich atmosphärisch, und ich liebte das. Ich kam aus dem Kino und machte mich umgehend auf die Jagd nach dem Soundtrack-Album. Natürlich gab es damals kein Internet, weshalb es eine Weile dauerte, es aufzutreiben, aber als ich es schließlich – so vermute ich – im HMV in Manchester fand, hörte ich es mir wieder und wieder an. Ich besorgte mir außerdem die Soundtracks zu Für eine Handvoll Dollar beziehungsweise Für ein paar Dollar mehr. Es handelte sich dabei um eine einzige LP, deren beiden Seiten jeweils einen Film abdeckten. Ich konnte gar nicht genug kriegen von dieser unglaublichen Musik. Es war, als wäre bei mir ein Schalter umgelegt worden. Zuerst war ich noch nicht sonderlich von Musik angetan gewesen – und auf einmal war ich massiv daran interessiert.
Es sollte sich herausstellen, dass Hooky ebenso musikbegeistert war. Üblicherweise hielten wir uns bei mir oder bei ihm zuhause auf, um Platten zu hören. Auch Grestys Haus war ein beliebter Treffpunkt, da sein Dad beim Süßwarenhersteller Cadbury’s angestellt war und wir bei ihm Kuchen in rauen Mengen naschen konnten. Wir fingen außerdem an, gemeinsam auf meinem Scooter in den Jugendclub zu fahren – ich am Steuer und Hooky hinten. Ich weiß noch, wie wir einmal versuchten, Mädchen, die vor dem Club standen und darauf hofften, eingelassen zu werden, zu beeindrucken. Hooky kletterte wie immer auf den Sozius. Ich ließ wie sonst auch den Motor aufheulen – wir hatten vor, wie Peter Fonda und Dennis Hopper in Easy Rider den grünen Hügel vor dem Club hinaufzujagen. Aber das Hinterrad begann sich zu drehen und der Scooter schoss unter uns hindurch, und wir landeten schließlich in einer großen Schlammpfütze. Genau vor diesen Mädchen. Autsch.
Ich schäme mich dafür, dass ein paar von uns auch hin und wieder nach Manchester fuhren, um Ladendiebstähle zu begehen, und zwar in erster Linie aus Langeweile und hauptsächlich wegen der Jeans. Wir konnten uns weder Levi’s noch Wranglers leisten, wollten aber dennoch cool aussehen, wenn wir im Jugendclub einliefen. Deshalb klauten wir sie gelegentlich. Die Herausforderung an sich spielte ebenso eine Rolle. Lange sollte das aber nicht anhalten. Einmal beteiligte ich mich bei einem Wettkampf, bei dem es darum ging, Kugelschreiber mitgehen zu lassen, und wurde prompt von einem Typen erwischt, der meinte, dass er die Geschäftsführung verständigen würde, wenn ich den Stift nicht zurücklegte. Danach klaute ich nie wieder. Meine Mutter hätte mich wohl gekillt. Die möglichen Konsequenzen wären das Risiko nicht wert gewesen.
Abgesehen von Girls und Klamotten drehte sich in meinen mittleren Teenagerjahren aber alles um Musik. Es war, als wäre eine Box geöffnet worden, aus der nun dieses sehr starke Licht entwich. Hooky und ich waren geradezu fanatisch. Ich weiß nicht, ob es damit zu tun hatte, dass uns in der Schule alles langweilte. Oder ob der Grund darin lag, dass es zu dieser speziellen Zeit gerade besonders viel gute Musik gab. Egal, unsere Faszination grenzte schon an Besessenheit.
Ein großes Ereignis während meiner Schulzeit war der Tod von Jimi Hendrix im Jahr 1970. Ich mochte Gitarrenmusik, konnte aber in Jimis Material nur wenige Melodien finden. Mein Banknachbar war ein eher stiller Typ. Ich sagte zu ihm: „Du magst doch Jimi Hendrix, oder? Er ist gerade gestorben, ja?“ Er antwortete: „Ja, das stimmt.“ Ich meinte darauf: „Ich habe versucht, mich in sein Zeug einzuhören, aber ich finde keine Melodien. Was ist so besonders an ihm?“ Er drehte sich zu mir um und sah mir in die Augen. Dann sagte er ganz ruhig: „Ich mag ihn einfach. Okay?“ Ich hielt das für eine sonderbare Reaktion und sie machte mich nur noch neugieriger. Polydor hatte nach seinem Tod eine EP mit „Voodoo Chile“, „All Along the Watchtower“ und „Hey Joe“ veröffentlicht. Ich legte die Scheibe auf den Plattenteller, hörte zu und die ersten paar Male kam es mir wie Krach vor. Zuerst konnte ich mir einfach keinen Reim darauf machen, was die Leute darin hörten. Doch dann, ganz plötzlich und mit einem Schlag, erschloss es sich mir. Es hatte ein Weilchen gedauert. Ich bin dem Jungen, der mir damals in der Schule keine Erklärung geben wollte, heute dankbar, weil ich mich stattdessen selbst dahinterklemmte, bis es schließlich „klick“ bei mir machte.
Die frühen Fleetwood Mac, vor allem Peter Greens Songwriting und sein Gitarrenspiel, mochte ich ebenfalls. Weniger das bluesige Zeug. Es verwirrte mich immer, wenn britische Bands sich endlos über den Blues ausließen. Ich mochte keine Nummern, die nach Blues klangen – ich mochte es, wenn sie nach einer Band aus England klangen und nicht versuchten, eine Blues-Combo aus Amerika zu sein. So wie ein Album der Rolling Stones mit einem achteckigen Plattencover. Es hieß Through the Past, Darkly und es waren alle Hits darauf vertreten: „Jumping Jack Flash“, „Street Fighting Man“ – ich liebte das Zeug. Vor allem „2000 Light Years From Home“ war ein großartiger Track, weil es sich nicht nach einer Bluesband anhörte, sondern einfach wie die Rolling Stones. Selbstverständlich gab und gibt es einige großartige, authentische amerikanische Bluesmusiker, aber der Kram, den ich mochte, war kein Blues, nein, es waren Bands, die den Blues als Zutat verwendeten, aber wo letztlich etwas total anderes dabei herauskam. Sie filterten ihn durch ihre eigenen Erfahrungen und ihre ihnen vertraute Umgebung. Das gefiel mir am besten und das tut es immer noch.
Meine eigene Musik ist mit Sicherheit das Produkt meiner Erfahrungen. Und als ich mich dem späten Teenageralter näherte, machte ich diese Erfahrungen Länge mal Breite.
Auch nachdem wir in die Wohnung auf der anderen Seite des Flusses in Greengate gezogen waren, verbrachte ich die meiste Zeit in der Alfred Street. Sie hatte eine magnetische Anziehungskraft auf mich. Ich besuchte dort ständig meine Großeltern und hing mit meinen Freunden ab. Meine Kindheit war definitiv nicht unglücklich. In vielerlei Hinsicht war es eine schwierige Zeit, vor allem im Vergleich zu anderen, aber ich war auf keinen Fall unglücklich.
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