4.: Der Weg zur Hölle ist mit guten Ablehnungsbriefen gepflastert
Ich war recht einsam und entwickelte bald höchst unangenehme Eigentümlichkeiten, die mich während der ganzen Schulzeit unbeliebt machten. Ich nahm die Gewohnheiten an, die man oft bei sich selbst überlassenen Kindern findet, mir Geschichten auszudenken und mich mit imaginären Personen zu unterhalten. Ich glaube, dass meine literarischen Versuche von Anfang an von dem Gefühl begleitet waren, von allen anderen Menschen getrennt und nicht genügend anerkannt zu sein. Ich wusste, dass es mir leicht fiel, mich gewandt auszudrücken und dass ich die Fähigkeit hatte, mich mit unerfreulichen Dingen auseinander zu setzen. Ich schuf mir meine eigene Welt, in der ich mich für die Enttäuschungen im Alltag entschädigen konnte.
George Orwell, »Warum ich schreibe«

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20. Januar 1988
Brian Warner
3450 Banks Rd. # 207
Margate, FL 33063
John Glazer, Redakteur
Night Terrors Magazine
1007 Union Street
Schenectady, NY 12308
Sehr geehrter John Glazer,
anbei erhalten Sie meine bislang unveröffentlichte Geschichte „Bleibt alles in der Familie“. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt biete ich sie nur Ihrer Zeitschrift an. Ich würde mich freuen, wenn Sie über eine Veröffentlichung der oben erwähnten Geschichte nachdenken würden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf Ihre Antwort.
Hochachtungsvoll,
Brian Warner
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BLEIBT ALLES IN DER FAMILIE
Von Brian Warner
Er hoffte, dass das Tonband immer noch funktionierte. Es war eines dieser kleinen tragbaren Geräte, wie sie häufig in Schulen oder Büchereien verwendet werden. Teddy fiel nicht einmal die Ironie an seiner Handlung auf – es war Angie gewesen, die ihm das Tonband gekauft hatte. Er wischte die Haarbüschel und das Blut aus der Ecke und stieß einen Seufzer aus. „Zur Strafe wird mir Mutter wahrscheinlich das Fernsehgucken verbieten“, überlegte er, als er sich die Bescherung ansah, die er angerichtet hatte.
„Hol sie der Teufel! Soll sie alle der Teufel holen. Warum hatte sie das Peg bloß angetan? Warum?“ Hasserfüllt trat er gegen den Leichnam, der neben ihm lag. Ihre glasigen Augen starrten mit einem Ausdruck leerer Faszination zurück. „Du Miststück. Du hast Peg umgebracht.“
Der tote Blick seiner Schwester konnte ihm keine Antwort mehr geben. (Er fragte sich warum.) Ihr Gesicht wirkte, als würde es von einem Schatten verdunkelt. Er zog ihren Kopf an ihrem verklebten Haar hoch und stellte fest, dass dieser Eindruck durch das Blut an ihrer Wange hervorgerufen wurde. Er sah auch, dass aus dem Loch in ihrem Schädel keine Flüssigkeit mehr quoll; das Blut war zu einem gallertartigen Pfropfen geronnen.
Mutter würde bald nach Hause kommen. Er musste schnell ein Grab ausheben.
Teddy stand auf und ging in sein Schlafzimmer. Aus Pegs Körper war das letzte bisschen Luft entwichen, und so lag sie nutzlos auf dem Boden. In ihrem blutleeren Brustkorb steckte ein Küchenmesser, und sie starrte mit ihrem immergleichen Gesichtsausdruck – einem Mund, der sich zu einem „O“ formte – an die Decke. Sie sah aus, als würde sie schreien.
Er nahm Pegs Kopf in die Hand und schaute mit feuchten Augen auf die in sich zusammengesunkene Plastikhülle, die fast genauso groß war wie ein menschlicher Körper. Er musste weinen, als er ihr sanft über den Kopf streichelte – und jede einzelne Träne drückte tausendfach den sehnlichen Wunsch aus, sie möge ihm zurückgebracht werden. Es erfüllte ihn mit Genugtuung, dass Angie tot war – sie hatte jeden einzelnen dieser tödlichen Schläge verdient. Als Teddy seiner Puppe über das künstliche Haar strich, bemerkte er den Gestank, den der tote Körper seiner Schwester mehrere Meter entfernt verströmte. Er wusste, dass es Urin war – er hatte gehört, wie sich ihre Harnblase geöffnet hatte, als er ihr den letzten tödlichen Schlag verabreichte. Dann hatte er ihr erst recht noch einen Schlag versetzt – sie hatte Peg umgebracht. Er hatte jedes Recht, das zu tun.
Vorsichtig legte er Pegs Kopf auf den Teppich. Er beugte sich zu ihr hinunter, küsste ihre Wangen und wischte das klebrige Zeug von ihren Plastiklippen. Mutter hatte ihm zuvor verboten, Peg zu berühren oder schmutzige Dinge mit ihrem Mund anzustellen, aber er konnte sich nicht beherrschen. Er liebte sie viel zu sehr, um sie in Ruhe lassen zu können. Wenn Mutter herausgefunden hätte, was für schmutzige Dinge er mit ihr machte, dann hätte sie ihm Peg wieder weggenommen, so wie sie es schon einmal getan hatte – und dann hätte er wieder nach ihr suchen müssen. Als sich Teddy dem Körper seiner Schwester zuwandte, hielt er eine Minute inne, um ihre Nacktheit zu bestaunen. Von seiner Kammer aus hatte er immer beobachtet, wie sie sich anzog, aber er hatte ihr Dreieck noch nie aus der Nähe gesehen. Der dunkle Haarbüschel zwischen ihren Beinen faszinierte ihn – Peg hatte so etwas nicht. Er berührte ihre Oberschenkel und schreckte wieder vor ihr zurück, als sei ihr Körper noch warm. War er aber nicht. Tatsächlich begann sie langsam kalt zu werden. Seit seiner Tat waren vier Stunden vergangen.
„Ich hasse dich!“ Das war alles, was er ihren Kadaveraugen mitzuteilen hatte.
Wieder berührte er ihre Oberschenkel, aber diesmal zog er seine Hände nicht weg. Sanft fuhr er mit seinen Fingerspitzen ihre Hüfte entlang und bewegte sie auf ihren Schritt zu. Mit der anderen Hand zog er ihre muskulösen Beine auseinander. Dazwischen breitete sich eine Urinlache von der Größe eines Pfannkuchens aus. Neugierig steckte er seinen Finger in ihre Genitalien. Sie war viel weicher als Peg, und – Moment mal – obwohl ihr Körper kalt und farblos war, fühlte sie sich von innen warm an. Ihre makabre, sexuelle, nahezu göttliche Ausstrahlung erregte ihn.
Er musste aufhören – Mutter würde böse mit ihm sein, wenn er etwas Schmutziges mit ihr anstellte. Sie hasste alles Schmutzige; Vater hatte das bereits auf denkbar unangenehme Weise erfahren müssen. Das Einzige, was sie wirklich gerne tat, war Nähen und sich Family Feud im Fernsehen anzuschauen. Sie mochte diesen Richard Dawson.
Aber sie war so biegsam, so glitschig. Pegs Haut war innen hart und wächsern – er besaß sie schon seit zehn Jahren (mit achtzehn hatte er sie per Mailorder von einem schweinischen Magazin bezogen). Angie war damals erst fünf, und nun war sie zu einer schönen, jungen Frau herangereift. Er hasste sie gar nicht mal so sehr, aber sie hätte Peg nicht töten sollen. Er hatte sie nur beim Duschen beobachtet. Das war nichts Neues. Aber sie hätte es Mutter erzählt, Mutter wollte solchen Schmutz in ihrem Haus nicht dulden. Das war auch der Grund, warum er Peg verstecken musste. Mutter war so altmodisch; er hatte viel vor Mutter zu verbergen.
Er ging in die Garage, holte einen Spaten und fing an, im Garten ein Loch zu graben. Er musste fertig werden, bevor sie nach Hause kam.
Die Erde war weich, und es dauerte kaum mehr als eine halbe Stunde, bis er das Grab ausgehoben hatte.
Jede Minute war kostbar, und so ging er wieder ins Haus und machte schnell alles sauber. Er schnappte sich ein Handtuch und ging in Angies Zimmer. Er nahm sie an ihren beiden Armen und zog sie ungefähr einen halben Meter von der Stelle weg – der Teppich hatte die Pfütze in sich aufgesogen, und so blieb ein dunkler Fleck übrig. Gewissenhaft wischte er alles weg und warf das Handtuch in ihre Kammer.
Als er sie durch das Wohnzimmer zog, kam ihm eine Idee. Es war der beste Einfall, den er je gehabt hatte. Wenn Mutter genauso schmutzige Sachen gemocht hätte wie er, wäre sie auch stolz auf seine Idee gewesen.
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