Land
Krupps Katastrophe
Capri/Ruhrgebiets-Krimi mit Rezepten
Ulrich Land
Krupps Katastrophe
Capri/Ruhrgebiets-Krimi mit Rezepten
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© 2013 Oktober Verlag, Münster
Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung des
Verlagshauses Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster
www.oktoberverlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Satz: Britta Gerloff
Umschlag: Thorsten Hartmann
unter Verwendung von Fotos von anouchka/istockphoto.com und
mymrin/istockphoto.com
Rezepte: Ulrich Land
Herstellung: Monsenstein und Vannerdat
ISBN: 978-3-941895-88-1
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
»Wer arbeitet, macht Fehler. Wer viel arbeitet, macht viele Fehler. Nur wer die Hände in den Schoß legt, macht gar keine Fehler.«
Friedrich Alfred Krupp
Wenn ich’s dir doch sage! Ich weiß auch nicht, wie das alles zustande kam. Jedenfalls nicht genau. Das geb ich von vornerein zu. – Aber dabei war ich! Augenzeuge von der ersten Sekunde an. Sicher, ich hätt mir auch was Schönres vorstellen können, aber war nun mal mein Auftrag. Und das Ganze war im Übrigen ja alles andre als eine Allerweltsgeschichte. Besiegelt durch eine Meldung immerhin des Deutschen Allgemeinen Telegraphenbureaus! Ich weiß den Wortlaut nicht genau, weil mich persönlich, war ja klar, mich hat natürlich keiner bedacht, mich erreichte kein Telegramm, den ganzen Tag nicht. Aber dass eins überall in der Weltgeschichte rumgefunkt wurde und landesweit sämtliche Nachrichtenagenturen, Tratschbörsen und Redaktionsstuben erreichte, das ist so sicher wie das Amen in der Villa Hügel. Also ich nehme mal an, der Text hat in etwa so gelautet: »22. november 1902 – stop – friedrich alfred krupp, 48-jährig, soeben verstorben – stop – nach auskunft seiner ärzte an den folgen eines plötzlichen gehirnschlags – stop.«
Was weiß ich, so oder so ähnlich.
Und damit, dachte ich, wäre die Geschichte zu Ende und ich raus aus der Nummer. Aber weit gefehlt.
Fahrenhorst sein Name. Julius Fahrenhorst. Seines Zeichens Detektiv und Fotograf, damals noch jung an Jahren. Er erlebte das Jahresende 1902 völlig mittellos, nicht ein einziges Tröpfchen Champagner konnte er an Silvester die Kehle hinabrinnen lassen, kein aufwändiges Mahl mit erlesenen Köstlichkeiten war ihm vergönnt, nicht einmal ein warmes Linsensüppchen, noch befand er sich in vornehmer oder doch zum wenigsten ausgelassener Gesellschaft. Vielmehr hatte er sich mit einem Kanten hartes Brot in die Dachkemenate zurückgezogen, in den einzigen noch einigermaßen intakten Raum des Häuschens seiner Großeltern, Gott hab sie selig. »Intakt« indes grenzt an Hochstapelei. Der einzige Raum, der noch leidlich funktionstüchtig war! Sieht man mal ab von den angekohlten Sparren, die in der hinteren rechten Ecke die Zimmerdecke vertraten. In dieser angeschlagenen Dachkammer also saß Fahrenhorst, nach Art des armen Poeten in Decken gehüllt, den Rücken so nah am Kanonenöfchen als irgend möglich, und versuchte seine Erinnerungen an die letzten paar Wochen auf einen seidenen Faden zu fädeln.
Also pass auf: Es gibt im Grunde drei Theorien. Die erste, die offizielle Lesart, die Friedrich Alfred Krupp einen betrüblichen, aber alles andre als unüblichen Schicksalsschlag attestiert und einen plötzlichen, auf alle Fälle jedoch natürlichen Tod glauben machen will. Was den Herrschaften, versteht sich, keiner abnimmt. Ich jedenfalls nicht. Ist kaum was Unwahrscheinlicheres denkbar, wenn man Krupp, die Vorgeschichte und die Umstände seines Todes auch nur ansatzweise kennt. Dann die zweite These: Suizid. Ein Gerücht, das – scheint’s – nicht aus der Welt zu bringen ist. Zumal als bekannt wurde, dass Krupps Ärzte in wissenschaftlich durch nichts zu rechtfertigender Großzügigkeit von einer Autopsie seiner Leiche absahen und ruckzuck den Sarg zunagelten. Und eben die dritte Variante – aber die nur unterm Siegel der Verschwiegenheit!
Also jedenfalls: Irgendwiewas musste Krupps Frau ein paar Wochen vorher, was weiß ich, zwei Monate vor seinem Tod vielleicht, irgendwas musste sie derart verunsichert haben, dass sie mich anheuerte, um für sie auf Capri mal nach dem Rechten zu sehen. Spesen extra, versteht sich. Das roch nach einem fetten Braten! Wie du dir vorstellen kannst, überlegte ich nicht lange, packte spornstreichs meine sieben Sachen, schnappte mir die bleischweren Holzkoffer mit Kamera, Stativ, Fotoplatten und was nicht allem und machte mich auf die Socken.
Was den historischen Wahrheitsgehalt seiner Erkenntnisse anlangt, so sind diese weder in jedem Detail plausibel noch gar zwingend logisch, und den Maßstäben objektiver Überprüfbarkeit genügen sie schon gar nicht. Ja, wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass in weiten Teilen ein hohes Maß an Spekulation am Werke war. An Stellen, wo Lücken in der Nachvollziehbarkeit der Tragödie klafften und sich weder durch schlüssige Aussagenverknüpfung noch durch direkte Links zwischen den Beteiligten schließen ließen, da verlegte Fahrenhorst sich offenbar ohne weiteres Federlesen und mit dem Gestus des virtuosen Ränkeschmieds aufs Flechten abenteuerlicher Assoziationsstränge. Wobei er sich dabei augenscheinlich weder um die schlüssige Verifizierung der Indizien scherte, wie gesagt, noch um die Basics der Political Correctness.
Das Schiff steuerte mit der für italienische Verhältnisse gradezu fantastisch geringfügigen Verspätung von 44 Minuten den Hafen an. »Marina Grande«. Schon der Name: ein wunderbarer Empfang! Ich hatte mich grade vom Anblick des mit jeder Seemeile tiefer sinkenden Vesuvs im Nordosten getrennt und umgedreht. Blickrichtung volle Kraft voraus: Faszinierend, wie dieses Eiland mit seiner eigenwilligen Mischung aus schroffen Steilküsten und weichen Hügeln als Sahnehäubchen oben drauf näher und näher kam! Und diese winzigen, bunten Häuschen, die den Hafen säumten! Über die geschlängelten Wege da musste man raufkommen zur legendären Piazzetta, wo Künstler, Denker, Schreiber, wo die Hautevolee – oder was sich dafür hält – die mehr oder minder dicken Portemonnaies auf den Ladentischen umstülpen, um sich schließlich ein Capreser Kleinod an den Hut stecken zu können. Aber da oben auf der Piazzetta wär ich noch längst nicht drüben in der schwülen Grotte, von der mir mein Informant, dessen Identität hier nichts zur Sache tut, überschäumend vorgeschwärmt hatte. Ohne dass ich mit einem einzigen Schein gewunken hätte, sprudelte er los wie angestochen und zwitscherte hinter vorgehaltener Hand ein Loblied auf das goldbrokatbesetzte, bordeauxrotsamtige Interieur jener Grotte – oder sollte ich besser sagen: Lasterhöhle? –, die, wie ich heute weiß, Krupp zum Verhängnis werden sollte.
Aber erst mal hatte mich kurz vor der Hafeneinfahrt noch der Blick nach Westen erwischt: tatsächlich diese viel besungene fantastische Sonne, die tiefrot ins Meer taucht und das Wasser in Blut verwandelt!
Bis ich meine Kisten, Kästen, Koffer zusammengerafft und von Bord geschleppt hatte – so eine photographische Ausrüstung hat’s eben in sich; und eins war ja klar: dass ich nach dieser Anreise im Schweiße meiner Füße und meiner Achselhöhlen auf jeden Fall eine vollständige frische Garderobe brauchte, wenn ich Krupp meine Aufwartung machen wollte, mithin war der Koffer auch nicht grade ein Fliegengewicht –, also jedenfalls bis ich mich nach vorn zur Gangway durchgeschlagen hatte und die klapprigen Stiegen runtergepoltert war, da war weit und breit kein Träger mehr zu sehn. Keiner jedenfalls, der nicht bereits von irgendeinem Stiesel oder einer affigen Stöckelschrulle in Dienst gestellt worden war und sich mit andrer Leute Riesenkoffer abzuplacken hatte. Geschweige denn, dass irgendwo ein Mulitreiber zu finden gewesen wäre. Was blieb mir andres, als mich auf Schusters Rappen auf den beschwerlichen und – egal wie groß oder wie klein die Insel auch immer sein mag – viel zu langen Weg zu machen!
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