Eine freundliche junge Frau fragt mich nach meinen Wünschen, lächelt mich an. Herr Giese komme etwas später. Ob sie mir eine Zettel geben dürfe, damit ich mein Anliegen notieren könne? Und gleich habe ich das gute Gefühl, dass mein Gegenüber mir genau zuhört und ganz sicher meine Wünsche erfüllen wird. Den Menschen, die neben mir stehen und in ein freundliches Gespräch verwickelt werden, mag es ebenso ergehen wie mir.
Mein Blick fällt auf einen gelben Zettel mit einer Unterschriftenliste mit der Skizze der Karl-Apotheke. Sieht aus wie ein „Tortenstück“, denke ich und mir fällt ein, dass ich an diesem Gebäude schon als Kind an der Hand meiner Mutter auf dem Weg zur damaligen „Hauptpost“ vorbeiging und dass hier auch eine öffentliche Toilette war und ich mich wunderte, ob diese nun zur Tankstelle oder zur Apotheke gehörte oder zu beiden.
„Die Karl-Apotheke darf nicht sterben!“ steht auf dem Zettel. „Oberbürgermeister Frank Mentrup ist nicht bereit, uns einen, die Zukunft sichernden, Mietvertrag zu geben. Das bedeutet nichts anderes, als die abzusehende und gewollte Schließung der Karl-Apotheke. Das bedeutet den Verlust einer gewachsenen Karlsruher Institution, den Verlust von über 20 Arbeitsplätzen und den Verlust einer für viele Karlsruher Bürger wichtigen Anlaufstelle, nicht nur für gesundheitliche Fragen und Sorgen.“
Das alles berührt mich, besonders der Satz am Ende: „Der Stephanplatz wird dann wohl ein Teil seiner Identität verlieren. Die Stadt kennt ihre Schätze nicht.“
Plötzlich kann ich Kurt Kramers Unmut verstehen und dieses Gefühl der Ohnmacht, wie es wohl die Karlsruher vor Jahren empfunden haben, als eine Versicherung trotz der Proteste der Karlsruher das historische Weltzienhaus eines Weinbrenner-Schülers abreißen wollte.
Damals waren die Karlsruher erfolgreich mit ihren Protesten und ihren Sieg verdankten sie dem Journalisten Josef Werner, der wie ein Löwe für den Erhalt des Hauses gekämpft hatte. Aber die Profitgier der Immobilienhaie und Spekulanten ist heute noch mächtiger als damals, als der Chef der Lokalredaktion der Badischen Neuesten Nachrichten mit seinem Engagement zum Beispiel auch das Kaufhaus Karstadt mit seiner Jugendstil-Fassade retten konnte. Wer geht heute noch auf die Barrikaden, um die Karl-Apotheke zu retten?
Über ١٧.٠٠٠ Unterschriften hat Christian Giese schon für den Erhalt seiner geliebten Apotheke gesammelt. Unermüd-lich appelliert er an das Gewissen und den Sachverstand der Stadtväter, ein Stück Karlsruhe zu retten, das so viele Bürger liebgewonnen haben. Der Stuttgarter Hauptbahnhof fällt mir ein und die vielen engagierten Bürger, die auch heute noch gegen einen Abriss protestieren, wo längst schon die Würfel gefallen sind. Zehntausende lassen sich nicht entmutigen, und ich?
Rasch unterschreibe ich die vor mir liegende Liste und verlasse die Apotheke. Ich weiß, dass es eine Lösung geben wird, und als ich kurz darauf Christian Giese kennenlerne, bestärkt mich das in meiner Überzeugung. Er wird es schaffen, er muss es schaffen. Ein Leben lang hat er nicht vergessen, was seine Mutter, die selbst Apothekerin war, ihm als jungen Mann ans Herz gelegt hat, als er in den Familienbetrieb eintrat:
„Schau dir die Menschen an, die zu uns kommen. Sie haben den Krieg erlebt, einen Arm oder ein Bein verloren. Sie sind oft mürrisch, enttäuscht oder hoffnungslos. Sprich die Menschen an, versuch, sie hochzuheben, heiterer zu machen.“
Der Apotheker Christian Giese erzählt von den anfänglichen Zweifeln an sich und seiner Berufung: „Ich wusste doch nicht, ob ich für den Beruf überhaupt geeignet war, ich habe doch selber nicht viel gesprochen. Aber plötzlich ging mir auf, dass wenn man den anderen Menschen, der ja irgendwo ein Bedürfnis nach Zuwendung und Liebe hat, zum Reden bringt, wenn man ihm freundlich zuhört, dann wertet man ihn auf und hebt ihn hoch.“
Geben ist seliger denn Nehmen. Auch das ist eine Erfahrung, die Christian Giese in seinem Leben gemacht hat. Was ihm die Ausgeglichenheit schenkt? Er lächelt: „Ich nehme mir jeden Sonntag Zeit, um irgendwohin in die Umgebung zu fahren und da, wo es karge Böden gibt, die nicht mit Chemie gedüngt wurden, Wiesenblumen zu pflücken, Kräuter und Gräser. Immer achte ich dann darauf, dass es sich dabei um Pflanzen handelt, die im nächsten Jahr wieder blühen werden. Das macht mich ruhig und ausgeglichen und freut auch meine Kunden.“
Und was wird aus der Apotheke? Gibt es keine Möglichkeit, das Gebäude mit der Gropius-Architektur aus dem Jahre 1928 zu retten, es unter Denkmalschutz zu stellen oder die Stadtväter für seinen Erhalt zu gewinnen?
„Die Stadt hat mich aufgefordert, zu unterschreiben, dass mein Mietverhältnis am 31.12.2018 endet.“
Christian Giese hält einen Augenblick inne. Dann sieht er mich ruhig an und sagt: „Ich unterschreibe nicht!“
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