"Quatsch!"
"Hör zu, ich..."
Kurt unterbrach Wladimir ziemlich abrupt. "Weißt du was? Tu mir einfach einen Gefallen und gehe mir heute nicht auf die Nerven, Wlad!"
Wladimir Krylenko hob beschwichtigend die Hände. "Ist ja schon gut, Kurt!"
*
Bei dem Empfang für Chris Barrington herrschte großes Gedränge. Die Bedienungsroboter waren um ihren Job nicht zu beneiden. Mit traumwandlerischer Sicherheit balancierten sie die Tabletts mit den Sektgläsern zwischen den dicht gedrängten Menschentrauben hindurch.
Stimmengewirr und ausgelassene Gespräche erfüllten den Raum.
Vom optischen Bild her überwogen eindeutig die Uniform-Kombinationen der Raumgarde. Vom Rekruten bis zum Kommandeur fand sich hier alles. Das wissenschaftliche Personal der Garde-Universität war natürlich ebenfalls reich vertreten.
Kurt ließ suchend den Blick schweifen.
Er hoffte Chris Barrington irgendwo zu finden. Vielleicht ergab sich ja sogar eine Gelegenheit, ihn anzusprechen und noch etwas eingehender nach seinen Ansichten in Bezug auf die verpassten Chancen einer effektiven Nutzung des X-Space-Effekts zu befragen.
Ein dunkler Haarschopf tauchte im Gedränge plötzlich vor ihm auf. Etwas Sekt spritzte aus einem Glas.
Ein paar Tropfen davon spürte Kurt an der Wange.
Zwei dunkelbraune Augen sahen ihn an. Kurt musste unwillkürlich schlucken.
"Jetzt sagen Sie bloß, dass es Zufall ist, dass Sie mich angerempelt haben!", stieß die junge Frau in gespieltem Zorn hervor.
"Teresita", flüsterte Kurt. "Tut mir leid, ich wollte Sie nicht bekleckern!"
Die junge Frau seufzte hörbar.
"Sie sollten wirklich noch ein bisschen an Ihren Methoden feilen, Frauen anzusprechen."
"Ich übe ständig", erwiderte Kurt.
"Das glaube ich gerne!"
"Allerdings ist es wirklich Zufall, dass wir hier aufeinander treffen."
"Sicher!"
"Ehrlich!"
"Ach, Kurt..."
Kurt ließ erneut den Blick schweifen.
Teresita strich sich eine verirrte Haarsträhne von der Wange und trank ihr Glas aus. "Scheint fast so, als wäre es tatsächlich Zufall, dass wir uns hier getroffen haben. Sie scheinen jemand ganz anderen zu suchen..."
Kurt sah sie an. "Ja... ich meine natürlich nein!"
"Ich hoffe, Sie können sich da irgendwann mal entscheiden!"
"Ich suche Chris Barrington."
"An Ihrer Stelle hätte ich mir eine weniger peinliche Ausrede einfallen lassen, Kurt!"
"So war das nicht gemeint!"
"Ich wette, die Person namens Chris, die Sie suchen, heißt eigentlich Christine, ist bartlos und und bringt höchstens ein Drittel von Barringtons Gewicht auf die Waage!"
"Nein, das ist Unsinn!"
Sie hob die Augenbrauen. "Schade, ich dachte, wir hätten vielleicht Gelegenheit, uns ein bisschen zu unterhalten. Aber wenn Sie schon anderweitig engagiert sind..."
"Das ist nicht der Fall, Teresita!"
"Ich nehme an, wir sehen uns irgendwann mal wieder." In ihren Augen blitzte es angriffslustig. "Zufällig natürlich." Mit diesen Worten war sie auch schon zwischen den Gästen verschwunden.
"Teresita!", rief Kurt und wusste gleich, dass es vergeblich war. Einige Gardisten drehten sich nach ihm um. Die zierliche Dunkelhaarige wurde von den breitschultrigen Gardisten verdeckt. Für einen Moment sah er ihren Kopf zwischen zwei Gardisten-Schultern auftauchen, dann war sie gänzlich verschwunden.
"Na klasse!", knurrte Kurt.
Es gab Tage, an denen man besser nicht das Bett verließ, weil einfach alles schief lief. Und dieser Tag schien sich genau in diese Richtung zu entwickeln. Die erste Frau seit Laura, die mir wirklich gefällt und dann so eine Pleite!, ging es ihm ärgerlich durch den Kopf. Der Gedanke an Laura Domrath, die ihn verlassen hatte, als er in die Raumgarde eintrat, versetzte ihm einen kleinen Stich. Selbst jetzt noch. Er hatte sie wirklich geliebt. Kurt wischte die Erinnerung aus seinem Bewusstsein. Schade, dass es mit Teresita jetzt wahrscheinlich schon zu Ende ist, bevor es richtig beginnen konnte, dachte er.
Er drängte sich weiter durch die Gäste im Foyer, schnappte hier und da Gesprächsfetzen auf.
Die markante, unverwechselbare Stimme Chris Barringtons hörte er nicht aus dem Gewirr heraus.
Aber irgendwo musste er doch sein...
Schließlich erreiche Kurt das Buffet, nahm sich ein paar Häppchen. Synthetischer Kavier, hergestellt in den hydroponischen Anlagen auf Blue Star und garantiert quecksilberfrei -—im Gegensatz zu den Konkurrenzprodukten von der Erde.
Plötzlich blieb Kurt buchstäblich der Bissen im Halse stecken.
Da war er.
Chris Barrington— nur wenige Schritte von ihm entfernt.
Der schwergewichtige Mann löste sich gerade aus einem illustren Gesprächskreis, zu dem unter anderem Generalmajor Angham und Master Sergeant Karalaitis zählten. Die Männer waren in ein angeregtes Gespräch vertieft, von dem Kurt nur Bruchstücke mitbekam, da in einer Gruppe von Gardisten plötzlich lautes Gelächter ausbrach.
"Sie entschuldigen mich, ich brauche jetzt etwas zwischen den Zähnen", sagte Barrington schließlich. Er klopfte sich mit der flachen Hand auf den recht voluminösen Bauch und grinste verschmitzt. "Ob Sie es glauben oder nicht, ich bin heute noch nicht einmal zum Frühstücken gekommen!"
Barrington wandte sich dem Buffet zu, nahm sich ein paar Häppchen und probierte mal hier und mal dort. Dabei näherte er sich Kurt Farmoon zusehends.
Als Barrington vor ihm stand, wagte Kurt es endlich, den Gastredner der Garde-Universität anzusprechen.
"Entschuldigen Sie", sagte er und brachte anschließend ein paar Sätze heraus, die kaum mehr als sprachliche Bruchstücke darstellten. Gestammel, aus dem beim besten Willen niemand schlau werden konnte. Selbst ein Genie wie Barrington nicht. Kurt verwünschte sich insgeheim für seine Nervosität.
Barrington kaute auf einem Stück Toast herum und musterte Kurt stirnrunzelnd.
Kurt schluckte.
"Das, was Sie vorhin über den "X-Space"-Effekt gesagt haben, hat mich sehr beschäftigt", erklärte Kurt schließlich.
Barrington war überrascht.
Er hob die Augenbrauen.
"Eigentlich sollte es nur eine kleine Randbemerkung sein", meinte er. "Das Thema meines Vortrags lautete ja nicht etwa 'Die verpassten Möglichkeiten des "X-Space"-Effekts'. Aber ich gebe zu, dass dieses Thema mich immer schon fasziniert hat!"
Kurt nickte.
"Kann ich gut verstehen", meinte er.
"So?"
"Naja -—Sie, als einer der Siedler, die mit der GALAXIS nach Epoh gelangten."
Barrington lächelte.
"Behandeln Sie mich besser nicht wie ein Denkmal, das kann ich nämlich nicht leiden. Aber ich verstehe, was Sie meinen", behauptete er, griff nach einem weiteren Toast mit synthetischem Blue Star-Kaviar und nahm einen großen Bissen davon. Das Buffet schien ihm zuzusagen.
"Ich bin der Überzeugung, dass man diesen Effekt weiter hätte erforschen sollen", sagte Kurt.
Barrington hob das Kinn. Er kaute etwas schneller und schluckte den Bissen hinunter. "Im Prinzip bin ich ganz Ihrer Meinung, Mister..."
"Farmoon. Kurt Farmoon, Schütze des 14. Zuges der Raumgarde."
Barrington kam nun in sein Element. Es schien ihm überhaupt nicht unangenehm zu sein, auf den "X-Space"-Effekt angesprochen zu werden. Ganz im Gegenteil. Chris Barrington freute sich offenbar darüber, dass jemand an seinen Ansichten zu dieser Sache interessiert war.
"Solange der "X-Space"-Effekt genutzt wurde, gab es Probleme damit", gestand er. "In so fern habe ich sogar Verständnis dafür, dass sich kein Mensch mehr damit befassen wollte, als es durch die Alienwandler-Technik endlich eine Alternative gab."
"Aber Sie meinen doch auch, dass es sich gelohnt hätte, diesem Phänomen etwas gründlicher auf die Spur zu kommen und vielleicht sogar Anwendungsmöglichkeiten zu entdecken, die uns bis heute verborgen geblieben sind."
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