"Ich spreche von der Übernahme der Technologie, die wir durch die Titans und die Hinterlassenschaften der Alienwandler kennenlernten. Die Raumfahrt des weit in die Galaxis reichenden Imperiums der Kelradan basiert ebenfalls auf den Hinterlassenschaften der Alienwandler, von denen wir inzwischen wissen, dass es sich um amöbenhafte Gestaltwandler handelt, die sich selbst Nugrou nennen und einst ein gewaltiges intergalakisches Imperium besiedelten. Die Nugrou-Raumerflotte Terras fliegt mit Sternensog oder Transitionstriebwerken, wobei die Frage eher philosophischer Natur ist, ob nicht der Antrieb durch den "X-Space"-Effekt eine primitive Vorstufe der von den Titans und Alienwandler übernommenen Transitionstriebwerke handelt. Ich bin da, wie ich schon anfangs äußerte, eher skeptisch und denke, dass man beides nicht einen Topf werfen sollte."
Kurt Farmoon saß wie erstarrt da.
Er hörte mit glühenden Ohren Chris Barringtons Worten zu.
Selbst die dunkelhaarige Assistentin des Hochenergietechnik-Professors war in diesem Moment nicht mehr von Bedeutung.
Kurt konnte gar nicht genau sagen, was diese Faszination eigentlich ausgelöst hatte. Sicher war Chris Barrington eine beeindruckende Persönlichkeit, aber andererseits referierte er über die Dinge, die man letztlich auch in jeder Datenbank nachlesen konnte.
Bis auf eine Kleinigkeit.
Die Sache mit dem "X-Space"-Effekt...
Ich bin skeptisch, hatte Kurt die Worte Barringtons im Ohr. Barrington neigt offenbar eher der These zu, dass es sich bei dem "X-Space"-Effekt-Triebwerken um eine völlig eigene Antriebsgattung handelte, die mit dem Transitionseffekt vielleicht eng verwandt, aber keineswegs identisch ist!, ging es ihm durch den Kopf. Was wäre gewesen, wenn man diesen Weg in der Raumtechnik weiter verfolgt und zu einem befriedigenderen Abschluß gebracht hätte?
Eine Idee, die Kurt Farmoon faszinierte.
Natürlich lag es auf der Hand, dass die alten Triebwerke, die auf dem "X-Space"-Effekt beruhten, in dem Augenblick keine Chance mehr hatten, in dem etwas Besseres, Ungefährlicheres zur Verfügung stand. Eine Technologie, nach der man nur zu greifen brauchte und die man schon benutzen konnte, noch ehe man sie auch nur annähernd verstanden hatte. Bei vielen Hinterlassenschaften der Nugrou-Technik war das bis heute der Fall. Ein Raumschiff wie die NOVA GALACTICA barg noch immer ungelöste Geheimnisse und auf so manchem Kolonialplaneten waren rätselhafte Hinterlassenschaften der Alienwandler gefunden worden, deren Funktionsweise sich den Menschen bis heute nicht vollständig erschlossen hatte.
Barrington referierte weiter über die Möglichkeiten der modernen, Tirifotium-basierten Raumtechnik im Vergleich zu den noch sehr eingeschränkten Möglichkeiten, die man seinerzeit an Bord der GALAXIS gehabt hatte. Als er kurz schilderte, welche technischen Umstände zum ungewollten Raumsprung der GALAXIS zum Loc 7112-System und der anschließenden Notlandung auf dem fünften, "Epoh" genannten, Planeten geführt hatten, bekam die Stimme des schwergewichtigen Mannes einen fast wehmütigen Tonfall. Etwas, was man bei einem Menschen, der sich überwiegend mit nüchternen Fakten und glasklaren technischen Daten befasste, kaum erwartete. Als verwunderlich sah Kurt das allerdings auch nicht an. Schließlich war Barrington ja selbst einer der ersten Siedler von Epoh gewesen.
"Aber zurück in die Gegenwart! Die Gegenwart von Sternensog und Tirifotium - zumindest in der Raumtechnik!", wies Barrington sich selbst zurecht. "Die alten Zeiten sind vorüber und das ist auch gut so. Denken wir nur an die Schrecken der Titans-Invasion. Niemand von uns, der auch nur einigermaßen klar bei Verstand ist, möchte so etwas noch einmal durchmachen."
Kurt Farmoon vernahm neben sich eine flüsternde Stimme.
Wladimir Krylenko sprach zu ihm.
Er konnte sich offenbar eines Kommentars zu Barringtons Ausführungen einfach nicht enthalten.
"Die alten Zeiten hatten auch ihr Gutes", meinte er.
Kurt sah ihn fragend an, hob die Augenbrauen dabei.
"Pssst!"
"Ist doch wahr!", verteidigte sich Wladimir. "Die konnten damals noch als erste hinaus in die Milchstraße geschleudert werden und damit zur Legende werden...."
"Beruhige dich, Wladimir. Das Universum ist groß genug!", mischte sich Nick Gonglor ein.
"Haltet die Klappe!", sagte Kurt etwas gereizt.
Nichts gegen Albereien unter Kameraden, aber im Moment interessierten ihn die Ausführungen Chris Barringtons einfach mehr, so dass er für nichts anderes ein Ohr hatte.
Die Mescaleros waren still.
Das Problem war nur, dass Kurt um einige Dezibel zu laut gesprochen hatte.
Ein Teil des Publikums drehte sich in seine Richtung.
Auch der Blick des Redners glitt suchend über das Publikum und blieb schließlich bei Kurt Farmoon stehen.
Barrington fixierte Kurt regelrecht.
Verdammt, was verrät mich?, durchzuckte es ihn siedend heiß. Mein roter Kopf vielleicht?
Jimmys Bellen löste die Situation auf.
Ein kurz aufbrandendes Gelächter war die Folge.
Unbeirrt und mit einem nachsichtigen Lächeln um die Mundwinkel setzte Chris Barrington seine Ausführungen fort.
Barrington schilderte eindrucksvoll, wie sich die Menschheit nach und nach die Alienwandler-Technik erobert und sie teilweise auch bereits weiterentwickelt hatte. Schließlich schloss er mit den Worten: "Es ist beruhigend zu wissen, dass wir doch mehr sind, als eine Spezies von Papageien, denen man vielleicht beibringen kann, wie man über ein Communicator Phone kommuniziert oder die Spracheingabe eines Kristallsensors füttert, die aber niemals in der Lage sein werden, die zugrunde liegende Technik zu verstehen, geschweige denn weiter zu entwickeln. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit."
Beifall brandete auf. Das Auditorium war begeistert.
Kurt saß vollkommen regungslos da.
Der Blick war nach innen gerichtet.
Gedanken schwirrten ihm im Kopf herum. Und die Gedanken hatten alle mit dem "X-Space"-Effekt zu tun. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, diesen Zweig der Triebwerkstechnologie so sträflich zu vernachlässigen. Seit Jahren hat sich niemand mehr mit diesem Effekt und seinen Grundlagen beschäftigt, dachte Kurt. Aber wen wundert das? Das ist eben die Gefahr, die in dem technologischen Geschenk liegt, als die man die Hinterlassenschaften der Alienwandler bezeichnen könnte.
Manchmal war es einfach so, dass ein bestimmtes Ereignis die Aufmerksamkeit von Forschung und Wissenschaft in eine ganz bestimmte Richtung lenkte. Ein Krieg, eine Katastrophe, eine Entdeckung oder der Kontakt mit der Technik einer fremden, technologisch weit überlegenen Spezies. Die Wirkung war dieselbe.
Aber manchmal, so glaubte Kurt Farmoon, konnte es sich lohnen, genau zu überprüfen, ob diese niemals zu Ende gegangenen Wege wirklich Sackgassen gewesen wären—oder vielleicht eine bessere Alternative.
Chris Barrington verließ das Rednerpult, nachdem er sich durch eine angedeutete Verbeugung artig für den Beifall bedankt hatte.
Er setzte sich auf seinen Platz. Jimmy wandte ihm den Kopf zu. Was der Robothund zu sagen hatte, ging im Applaus unter. Professor Ravanelli ging noch einmal ans Pult. Der gegenwärtige Dekan der Garde-Universität räusperte sich, es wurde wieder ruhig. "Ich möchte noch darauf hinweisen, dass im Anschluss an diese Veranstaltung im Foyer ein Empfang zu Ehren unseres Gastes stattfinden wird", erklärte er. "Sie sind natürlich herzlich dazu eingeladen."
"Auf so etwas kann ich verzichten", meinte Wladimir Krylenko. "Auf synthetischen Kaviar habe ich wirklich keinen Bock!"
"Ich schon", sagte Kurt entschieden.
Wladimir runzelte die Stirn.
"Hey, was ist eigentlich mit dir los?"
"Nichts."
"Stress wegen der Dunkelhaarigen?"
"Welcher Dunkelhaarigen?"
Wladimir runzelte die Stirn. "Mir scheint, du bist wohl ziemlich durch den Wind, was?"
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