Wenigstens die Signatur der Anzüge müsste zu orten sein – und wenn deren Energiestatus auf Null steht, müsste das Material sofort auffallen!, dachte Nirat-Son. Es sei denn, sie sind gar nicht mehr hier und jemand hat sie – gefangen genommen!
Dieser Planet barg ohne Zweifel unbekannte Gefahren, die offenbar auch der ersten qriidischen Expedition zum Verhängnis geworden waren.
Ob die schnabellosen Eingeborenen etwas damit zu tun hatten, war in Nirat-Sons Augen sehr unwahrscheinlich, da ihr technischer Standard nach allem, was man darüber wusste, von einem primitiven Niveau geprägt war.
Vielleicht suche ich einfach nach der falschen Sache!, ging des Nirat-Son durch den Kopf, während er die Einstellungen seines Ortungsgerätes veränderte.
Und dann wurde er fündig.
Er fand kalkhaltiges, organisches Material.
Der Schrecken fuhr dem Tanjaj in die Krallenarme.
Knochen!
Er ging ein paar Schritte, bis er einen Hügel erreichte. Eine kleine Schneeverwehung hatte sich gebildet.
Mit den in widerstandsfähigen Thermohandschuhen steckenden Pranken, die die kälteunempfindlichen Krallen freiließen, wenn man sie ausfuhr, begann der Qriid zu graben und wurde schnell fündig.
Es dauerte nicht lange und er hatte den ersten Knochen freigelegt.
Und die Analyse ließ nicht den Hauch eines Zweifels daran, dass es sich um Qriid-Knochen handelte. Mit Hilfe des Ortungsgerätes erfasste Nirat-Son den genetischen Code und verglich ihn mit der Gen-Datenbank seiner Einheit. Es konnte danach kein Zweifel mehr daran bestehen, dass er Re-Lims Knochen vor sich hatte.
Nirat-Son machte sich auf den Rückflug. Er stellte sein Antigravaggregat so ein, dass er dicht über den Boden schwebte, um nicht vom Sturm einfach weggeschleudert zu werden. In seinem Kopf rasten die Gedanken nur so. Was war mit den Tanjaj aus Re-Lims Gruppe geschehen? Die wahrscheinlichste Variante war wohl, dass sie ebenfalls den ellipsoiden Vielbeinern zum Opfer gefallen waren.
Trotzdem blieben für Nirat-Son noch einige drängende Fragen vorerst unbeantwortet.
Warum hatten Re-Lim und seine Tanjaj-Brüder nicht ihre Antigravpaks benutzt, um in die Luft zu steigen? Nach allem, was Nirat-Son bisher erlebt hatte, verfügten die Vielbeiner zwar über eine Reihe erstaunlicher Fähigkeiten, aber fliegen schien nicht dazu zugehören. Re-Lims Männer hätten sich also auf diese Weise vielleicht retten können! , dachte er.
Dass sie es nicht getan hatten, musste einen Grund haben.
Vielleicht hatten sie vergeblich versucht, einem angegriffenen Tanjaj-Kameraden zu helfen und dabei ihre eigene Sicherheit vernachlässigt. Das hätte durchaus der Kampfdoktrin der Tanjaj-Mannschaften entsprochen. Das eigene Leben zählte nichts, die Erfüllung des Auftrags hatte in jedem Fall Vorrang.
Aber während des ersten Zusammentreffens mit Vielbeinern im Wrack des Qriid-Beiboots der ersten Expedition war offensichtlich geworden, dass man sie mit Traser-Feuer sehr effektiv bekämpfen konnte.
Einem Tanjaj hatte jener Angriff das Leben gekostet.
Aber keinesfalls der gesamten Gruppe!
Und das, obwohl man innerhalb eines Raumschiffwracks nicht einfach den Antigrav aktivieren und wer weiß wie weit in die Höhe schnellen konnte, um sich dem Zugriff dieser kleinen Monstren zu entziehen.
Der Angriff auf Re-Lims Gruppe hatte sehr wahrscheinlich bereits stattgefunden, als eines dieser Biester bei uns am Raumschiffwrack auftauchte! , wurde es Nirat-Son klar. Schließlich war es kurz nach diesem Vorfall bereits nicht mehr möglich gewesen, Kontakt aufzunehmen.
Aber wer ist für das Verschwinden der Traser, Funkgeräte und anderen Geräte verantwortlich ?, fragte sich der Tanjaj-Rekrut.
Dass es von der Kleidung keinerlei Spuren mehr gab, erschien Nirat-Son schon eher plausibel. Wahrscheinlich hatten die Vielbeiner die Kleidung der skelettierten Tanjaj chemisch vollständig zersetzt. Schließlich verfügten sie über die Fähigkeit, eine starke Säure zu produzieren, mit deren Hilfe sie sogar die Außenhaut eines Beibootes hatten durchdringen können.
Während seines Antigravfluges nahm Nirat-Son bereits Kontakt mit seinem Tanjaj-Nom auf und gab diesem einen knappen Bericht für das, was er das Schicksal von Re-Lims Gruppe betreffend herausgefunden hatte. Die Daten seines Ortungsgerätes übersandte er an seine Tanjaj-Brüder, die es offenbar geschafft hatten, ohne weitere Verluste zum Beiboot zurückzukehren.
„Mögest du mit Gottes Hilfe zurückkehren“, sagte Bras-Kon über Funk. „Bis jetzt verzeichneten wir keinerlei weitere Aktivitäten von Vielbeinern.“
„Ich danke dir für die Auskunft, Tanjaj-Nom.“
„Ich habe bereits eine Meldung an das Mutterschiff gemacht. Man sagte mir Unterstützung zu. Offenbar hat man eine Etage über uns in der Befehlshierarchie eingesehen, dass dieser Planet vielleicht doch nicht ein so einfach und problemlos zu besetzendes Wasserreservoir ist, wie man zunächst geglaubt hat.“
„Wenn die Vielbeiner ausgerottet sind, sehe ich allerdings keine weiteren Probleme“, sagte Nirat-Son mit einem Optimismus, der aus einer offiziellen Glaubensdoktrin geboren war, nach der es auf die Dauer nur hinhaltenden Widerstand der Mächte des Heidentums gegen die Errichtung der universellen Göttlichen Ordnung geben konnte. Tief in seinem Inneren empfand Nirat-Son in diesem Fall jedoch Zweifel und so war seine Äußerung mehr eine Art suggestiver Selbstbeschwörung.
Unter Tanjaj war das durchaus üblich.
Und tatsächlich hatte die Geschichte den Glaubenskriegern Recht gegeben. Schließlich hatte Gott ihnen immer wieder letztlich doch den Sieg geschenkt und dafür gesorgt, dass sich das Imperium noch immer in einem steten Prozess der Expansion befand.
„Mut und Glaube seien mit dir!“, erwiderte Bras-Kon eine traditionelle Formel rezitierend.
Danach unterbrach er die Verbindung.
Nirat-Son war wieder allein in dem Sturm, dessen Intensität noch immer zunahm.
Eine Böe erfasste ihn und schleuderte ihn empor. Einen Augenblick später geriet er in ein Windloch und fiel wie ein Stein zu Boden. Nur der Antigrav rettete ihn davor, dort mit aller Härte aufzuprallen.
Nirat-Son landete einigermaßen weich.
Der Sturm war einfach zu heftig, um sich weiter fliegend fortbewegen zu können.
Stattdessen nahm der Qriid an den Steuerfunktionen des Aggregats ein paar Modifikationen vor. Auf diese Weise sorgte er dafür, dass er an den Boden gedrückt und nicht einfach fortgeschleudert wurde. Die physikalischen Daten des Sturms überstiegen mittlerweile alles, was er von Qriidia kannte.
Eine Weile harrte Nirat-Son aus.
Schnell bildete sich um ihn herum eine Schneewehe. Der Niederschlag verstärkte sich noch. Es fielen jetzt dicke, nasse Flocken, die offenbar in höheren, von einem Warmlufteinbruch gekennzeichneten Luftschichten erzeugt worden sein mussten.
Die Anzeigen, die Nirat-Sons Ortungsgerät lieferten, stützten diese These – wobei der Begriff Warmluft natürlich sehr relativ war. Die Temperatur lag auch dort deutlich unter dem Gefrierpunkt.
Wenn du diese Öde nicht mehr lebend verlassen solltest, so kannst du immerhin sagen, dass du deinen Auftrag erfüllt hattest, bevor du gestorben bist, wenn du vor deinen Richter trittst!, ging es Nirat-Son durch den Kopf. Zwar war die Gefahr, vom Sturm einfach davon gefegt zu werden so lange gebannt, wie der Energiestatus seines Antigravpaks es erlaubte, ihn sicher am Boden zu halten, aber schließlich war dies ja nicht die einzige Gefahr, die hier draußen lauerte, wie das Schicksal der Gruppe von Re-Lim ihm eindrucksvoll vor Augen gehalten hatte.
Er überprüfte sicherheitshalber den Ladestatus seines Hand-Trasers und schaltete ihn auf die höchste Intensitätsstufe, um sich dadurch gegen einen eventuellen Angriff der ellipsoiden Vielbeiner vorzubereiten. Nirat-Son wusste zwar nicht, nach welchen Kriterien sie ihre Opfer auswählten und ob sie sich bei diesen Wetterverhältnissen nicht vielleicht eher in die Tiefe des Eispanzers zurückzogen. Schließlich schien da ihr eigentlicher Lebensraum zu sein.
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