„Der Raumflug wurde unmöglich“, stellte Katreen fest.
„Aber die Fremden fliegen auch!“, gab Magoon zu bedenken.
„Ihre Natur ist anders.“
„Aber vielleicht haben sich die Bedingungen dort oben, jenseits unserer Welt in den Zeitaltern, die seit dem Tag der großen Katastrophe vergangen sind auch geändert“, widersprach Magoon.
Sie schüttelte energisch den Kopf. „Du bist ein Narr, Magoon! Warum genügt es dir nicht, den Willen der SEELE ALLER zu tun, und dich um deinen Eissegler und deine Familie zu kümmern?“
„Es ist nun einmal so. Und im Übrigen glaube ich auch nicht, dass die SEELE ALLER wirklich etwas gegen meine Pläne einzuwenden hätte.“
„Kümmert sie sich vielleicht darum, welche Werkzeuge wir aus den Erzknollen erschaffen und wie wir sie im Einzelnen anwenden?“ Er hob den rohrförmigen Gegenstand in seiner Hand etwas an. „Dies hier, Katreen, ist auch nichts anderes als ein Werkzeug.“
Die Sturm durchtoste Nacht war so kalt, das Nirat-Son die Heizfunktion seines Thermoanzugs auf die höchste Stufe stellen musste, um nicht zu erfrieren.
Er hatte sich ein Stück seines Weges geschleppt, bis ihn schließlich die Kräfte zu verlassen drohten. Ein Funkspruch des Beibootes erreichte ihn.
Bras-Kon wollte wissen, was los sei. Die geortete Positionsanzeige hätte sich in der Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit kaum verändert.
Nirat-Son gab einen kurzen Lagebericht.
„Wir haben im Moment nicht die Möglichkeit, dich zu retten“, erklärte Bras-Kon ohne Umschweife. „Bei diesen Windgeschwindigkeiten hätten unsere Antigravpaks dieselben Schwierigkeiten wie es nun bei dir der Fall ist.“
„Das ist mir durchaus bewusst, Tanjaj-Nom“, erwiderte Nirat-Son. „Sobald der Sturm nachlässt, werde ich wieder schneller vorankommen und dann zu euch stoßen.“
„Harre an einer sicheren Stelle aus und achte auf die Vielbeiner!
„Ja, Tanjaj-Nom!“
„Der Allmächtige sei mit dir und bewahre dich, Tanjaj!“
„Euch auch.“
„Die Statusdaten deines Anzugs und deiner sonstigen technischen Ausrüstung lassen mich daran zweifeln, dass wir uns in Kürze wieder sehen werden!“
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Nirat-Son schleppte sich weiter.
Er konnte kaum noch ein paar Körperlängen weit sehen. Die Dunkelheit und das Schneegestöber sorgten dafür, dass die Sicht immer schlechter wurde. Die Sterne wurden von den Wolkengebirgen verdeckt, sodass auch von dort kaum Licht kam.
Nirat-Sons Schutzbrille hatte auch eine Lichtfunktion für den Gebrauch bei Nacht. Außerdem konnte man sie auf Infrarot-Modus umschalten, sodass man sich auch bei völliger Dunkelheit einigermaßen orientieren konnte.
Das durch den Gebrauch dieser Technik Vielbeiner angelockt wurden, glaubte Nirat-Son nicht. Bei dieser Spezies war es fraglich, ob sie überhaupt so etwas wie Augen besaß. Die Entwicklung ausgeprägter Sinneszellen zur Verarbeitung optischer Informationen schien dem Tanjaj bei einer Spezies, die den Großteil ihres Lebens in und unter einem Eispanzer verbrachte, für wenig sinnvoll und so war es eigentlich nicht anzunehmen, dass die Evolution diese kleinen Monstren damit ausgestattet hatte. Auf welche Weise sie trotzdem in der Lage waren, ihre Opfer so genau zu lokalisieren, war dem Qriid jedoch schleierhaft.
Nirat-Son blieb stehen und wich im nächsten Moment unter Aufbietung all seiner Kraft einen Schritt zurück, als plötzlich unter ihm etwas aus dem Eis hervorbrach.
Einer der ellipsoiden Vielbeiner schnellte empor und sprang auf den Tanjaj zu. Säure troff aus der maulartigen Öffnung heraus und sorgte dafür, dass sich der Schnee zischend aufzulösen begann, wo ein Tropfen dieser Substanz den Boden erreichte. Elektrische Funken sprühten zwischen den Beißwerkzeugen.
Nirat-Son befand ich noch immer in der Rückwärtsbewegung. Seine nach hinten geknickten Beine waren schwer wie Blei. Er riss den Hand-Traser hervor und feuerte damit auf das kugelförmige Monstrum, das auf ihn zusprang.
Der Strahl erfasste das Monstrum und verbrannte es zu Asche.
Nirat-Son wandte sich herum und betrachtete misstrauisch den Boden in seiner näheren Umgebung.
Augenblicke lang schien sich nirgends etwas zu regen.
Dann spürte er plötzlich, wie sich das Eis unter seinem linken Krallenfuß hob. Nirat-Son schnellte zurück und feuerte auf den gerade dem Eis hervorbrechenden Vielbeiner.
Sie scheinen stets genau zu wissen, wo ich mich befinde! , ging es Nirat-Son durch den Kopf. Aber wie ist das möglich? Dass sie mich SEHEN können ist ja wohl ausgeschlossen. Verfügen sie vielleicht über ein verfeinertes Gehör, dass sie meine Schritte auch dann noch genauestens verfolgen lässt, wenn sie mehrere Meter tief unter dem Eis lauern?
Ausgeschlossen war das nicht.
Über Eisflächen konnten sich Vibrationen sehr gut weiterverbreiten.
Andererseits wollte es Nirat-Son einfach nicht in den Kopf, dass dadurch eine derart präzise Ortung möglich war.
Aber was immer auch das Prinzip sein mochte, das hinter den außergewöhnlichen Orientierungsfähigkeiten der Vielbeiner stecken mochte, so war Nirat-Son gezwungen, sich auf die Gegner einzustellen.
Am besten wäre es, mit dem Antigrav emporzuschweben und in einem gebührenden Abstand zu diesem Ort wieder zu landen! , überlegte er. Aber angesichts des unvermindert heftigen Sturms war daran allenfalls im äußersten Notfall zu denken, denn das Risiko war unverhältnismäßig groß, dabei den Tod zu finden.
Die Doktrin der Tanjaj forderte den Glaubenskrieger zwar dazu auf, mutig und tapfer zu sein, aber nicht, sein eigenes Leben wegzuwerfen – denn das wäre ebenso ein Frevel gegen die Göttliche Ordnung gewesen wie die Weigerung, sich in den Dienst des Heiligen Imperiums und seiner permanenten Expansion zu stellen.
Das Bedürfnis nach Schlaf meldete sich inzwischen immer öfter bei Nirat-Son. Die Konditionierung, der er als Tanjaj unterworfen war, erlaubte es ihm zwar, dieses Bedürfnis länger als jeder andere Qriid zu unterdrücken, wenn es sein musste. Aber auch das hatte seine Grenzen. Irgendwann würde er sich zur Ruhe legen müssen.
Den Gedanken daran verdrängte er zunächst, was ihm Angesichts der akuten Gefährdung durch die Vielbeiner auch nicht allzu schwer fiel.
Diese Biester brauchen nur zu warten, bis ich müde bin, um dann ungehindert und fast ohne Risiko an mein Fleisch zu kommen! , dachte er.
Eine ganze Weile blieb er sehr wachsam und konzentriert. Aber nirgends regte sich noch etwas oder platzte ein Vielbeiner plötzlich aus der Eisdecke hervor, um ihn mit Hilfe irgendwelcher ätzenden Substanzen an Ort und Stelle und bei lebendigem Leib zu verdauen.
Was für eine Höllenwelt, die derart vom Bösen geprägte Leben hervorbrachte!
Für diese Monstren konnte es unmöglich einen Platz in der Göttliche Ordnung des Heiligen Imperiums geben. Man tat sicher gut daran, sie vom Antlitz dieser Welt zu tilgen.
Nirat-Son schleppte sich vorwärts. Er spürte, wie der Wind an ihm zog.
Dann bemerkte er erneut, wie unter ihm das Eis aufbrach. Ein knackender Laut entstand dabei, der laut genug war, das Tosen des Sturms zu übertönen. Diesmal waren es gleich mehrere Vielbeiner, die aus dem Inneren des Eises hervorbrachen. Den Ersten von ihnen erwischte Nirat-Son mit dem Strahler, aber schon der Zweite kam gefährlich nahe. Die ätzende Substanz, die aus einer seiner Öffnungen troff, kleckerte dicht vor die Krallenfüße des Qriid, bevor auch dieser Angreifer zu Asche verbrannt wurde. Der dritte Vielbeiner setzte zu einem Angriffsprung an, wurde aber durch eine Windböe davon gerissen, die ihn hoch empor schleuderte. Nirat-Son sah nie wieder etwas von ihm.
Aber dafür kamen aus dem entstandenen, einen Qriid-Schritt großen Loch im Eis jetzt weitere Vielbeiner hervor.
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