I. EINLEITUNG Teil I
1. Spirituelles Leben – Religiöses Leben – Gewöhnliches Leben Kapitel 1 Spirituelles Leben – Religiöses Leben – Gewöhnliches Leben Worte Sri Aurobindos Das spirituelle Leben (adhyatma jivana), das religiöse Leben (dharma jivana) und das gewöhnliche menschliche Leben, zu dem die Moral gehört [...sie ist ein Versuch, das äußere Verhalten durch gewisse mentale Regeln zu lenken oder den menschlichen Charakter mit Hilfe dieser Regeln dem Vorbild eines gewissen mentalen Ideals anzupassen] sind drei grundverschiedene Dinge, und man muss wissen, was man will, und darf diese drei nicht miteinander verwechseln. Das gewöhnliche Leben ist das des durchschnittlichen menschlichen Bewusstseins, von seinem wahren Selbst und vom Göttlichen getrennt und gelenkt von den üblichen Gewohnheiten des Mentals, Lebens und Körpers, den Gesetzen der Unwissenheit. Das religiöse Leben ist eine Bewegung des gleichen unwissenden menschlichen Bewusstseins, das sich von der Erde abwendet oder abzuwenden versucht, dem Göttlichen zu, doch bislang ohne Erkenntnis und gelenkt von den dogmatischen Lehren und Regeln einer Sekte oder eines Glaubensbekenntnisses, die Anspruch darauf erheben, den Weg aus den Banden des Erdbewusstseins in irgendein glückseliges Jenseits gefunden zu haben. Das religiöse Leben mag die erste Annäherung an das spirituelle sein, doch sehr häufig ist es nur ein auswegloses Umherwandern in einem Kreis von Riten, Zeremonien und Praktiken oder von starren Ideen und Formen. Das spirituelle Leben hingegen schreitet direkt durch eine Bewusstseinsveränderung fort, eine Veränderung des gewöhnlichen Bewusstseins, das unwissend und von seinem wahren Selbst und Gott getrennt ist, in ein größeres Bewusstsein, in dem man sein wahres Wesen findet und mit dem Göttlichen zuerst in einen direkten und lebendigen Kontakt tritt und dann zu einer Einung mit ihm gelangt. Für den spirituell Suchenden ist diese Bewusstseinsveränderung das eine, das er sucht, und nichts anderes zählt für ihn. * * *
2. Das Ziel unseres Yoga 3. Das vollständige Ziel des Yoga 4. Satyayuga – Das Zeitalter der Wahrheit II. DIE EROBERUNG DER WELT FÜR GOTT 1. Der Integrale Yoga – ein spirituelles Abenteuer 2. In unserem Yoga müssen wir das ganze Leben annehmen 3. Voraussetzung für ein neues kollektives Leben III. DIE SCHRITTE AUF DEM WEG 1. Individueller und kollektiver Fortschritt 2. Die nützlichste Arbeit IV. DIE SPIRITUELLE GEMEINSCHAFT 1. Die Notwendigkeit eines wahren Gemeinschaftslebens 2. Die Gründung des Ashrams 3. Akzeptanz und Aufnahme in den Ashram 4. Der Zweck und das Ziel des Ashrams 5. Der Ashram – Ein Laboratorium 6. Yoga-Zentren 7. Das ideale Center V. AN DIE SADHAKS 1. Willst du ein wahrer Vollbringer göttlicher Werke sein 2. Ratschläge und Hinweise 3. Regeln und Disziplin 4. Arbeit 5. Ich bin bei dir ANHANG QuellenangabenGuide Cover Inhalt Start
Sri Aurobindo
Unser Ziel ist nicht, eine Religion oder eine Philosophie oder Yogaschule zu gründen, sondern den Boden für ein spirituelles Wachsen und eine spirituelle Erfahrung zu schaffen und einen Weg zu finden, der eine größere Wahrheit von jenseits des Mentals herabbringt, die aber für die menschliche Seele und das menschliche Bewusstsein nicht unerreichbar ist. Alle, die sich zu dieser Wahrheit hingezogen fühlen, können diesen Weg gehen, ob sie aus Indien oder sonst woher kommen, vom Osten oder Westen. Alle mögen große Schwierigkeiten in ihrer persönlichen oder allgemeinen menschlichen Natur finden. Doch kann ihre physische Herkunft oder ihr ethnisches Temperament nicht ein unüberwindbares Hindernis für ihre Befreiung sein. — Sri Aurobindo
* * *
Teil I
Kapitel 1
Spirituelles Leben – Religiöses Leben – Gewöhnliches Leben
Worte Sri Aurobindos
Das spirituelle Leben (adhyatma jivana), das religiöse Leben (dharma jivana) und das gewöhnliche menschliche Leben, zu dem die Moral gehört [...sie ist ein Versuch, das äußere Verhalten durch gewisse mentale Regeln zu lenken oder den menschlichen Charakter mit Hilfe dieser Regeln dem Vorbild eines gewissen mentalen Ideals anzupassen] sind drei grundverschiedene Dinge, und man muss wissen, was man will, und darf diese drei nicht miteinander verwechseln. Das gewöhnliche Leben ist das des durchschnittlichen menschlichen Bewusstseins, von seinem wahren Selbst und vom Göttlichen getrennt und gelenkt von den üblichen Gewohnheiten des Mentals, Lebens und Körpers, den Gesetzen der Unwissenheit. Das religiöse Leben ist eine Bewegung des gleichen unwissenden menschlichen Bewusstseins, das sich von der Erde abwendet oder abzuwenden versucht, dem Göttlichen zu, doch bislang ohne Erkenntnis und gelenkt von den dogmatischen Lehren und Regeln einer Sekte oder eines Glaubensbekenntnisses, die Anspruch darauf erheben, den Weg aus den Banden des Erdbewusstseins in irgendein glückseliges Jenseits gefunden zu haben. Das religiöse Leben mag die erste Annäherung an das spirituelle sein, doch sehr häufig ist es nur ein auswegloses Umherwandern in einem Kreis von Riten, Zeremonien und Praktiken oder von starren Ideen und Formen. Das spirituelle Leben hingegen schreitet direkt durch eine Bewusstseinsveränderung fort, eine Veränderung des gewöhnlichen Bewusstseins, das unwissend und von seinem wahren Selbst und Gott getrennt ist, in ein größeres Bewusstsein, in dem man sein wahres Wesen findet und mit dem Göttlichen zuerst in einen direkten und lebendigen Kontakt tritt und dann zu einer Einung mit ihm gelangt. Für den spirituell Suchenden ist diese Bewusstseinsveränderung das eine, das er sucht, und nichts anderes zählt für ihn.
* * *
Kapitel 2
Das Ziel unseres Yoga
Worte Sri Aurobindos
Das Ziel unseres Yoga ist Selbst-Vollendung, nicht Selbst-Auslöschung.
Zwei Pfade bieten sich den Schritten des Yogin, Rückzug aus dem Universum und Vollendung im Universum. Das erste Ziel wird durch Askese erreicht, das zweite durch Tapasya. Das erste nimmt uns auf, wenn wir Gott im Sein verlieren; das zweite wird erlangt, wenn wir unser Sein in Gott erfüllen. Lasst unseren Pfad den der Vollendung und nicht den der Preisgabe sein. Lasst den Sieg in der Schlacht und nicht die Flucht vor allen Konflikten unser Ziel sein.
Buddha und Shankara nahmen an, die Welt sei von Grund auf falsch und elendig. Deshalb war für sie die Flucht aus der Welt die einzige Weisheit. Aber diese Welt ist Brahman, die Welt ist Gott, die Welt ist Satyam, die Welt ist Ananda. Falsch ist bloß die Fehldeutung der Welt durch unseren mentalen Egoismus; das einzige Elend ist unsere verkehrte Beziehung zu Gott in der Welt. Es gibt sonst nichts Falsches und nichts, dass Anlass gäbe zu klagen.
Gott erschuf die Welt in Sich durch Maya; die ursprüngliche, vedische Bedeutung von Maya ist jedoch nicht Illusion, sondern Weisheit, Erkenntnis, Vermögen, weite Ausdehnung des Bewusstseins. Prajna prasrta purani. Eine Allmächtige Weisheit erschuf die Welt; sie ist nicht der organisierte Missgriff eines Unendlichen Träumers. Eine allwissende Macht manifestiert sie oder hält sie in Sich oder Ihrer eigenen Wonne verborgen; sie ist keine dem freien und absoluten Brahman durch Seine eigene Unwissenheit auferlegte Fessel.
Wäre die Welt ein selbstauferlegter Alptraum Brahmans, so wäre es das natürliche und einzige Ziel unseres höchsten Strebens, daraus zu erwachen. Wäre das Leben in der Welt unwiderruflich mit Elend verbunden, dann wäre das einzige entdeckenswerte Geheimnis ein Mittel zur Flucht aus dieser Knechtschaft. Vollkommene Wahrheit im Weltdasein ist jedoch möglich, denn Gott sieht hier alle Dinge mit den Augen der Wahrheit. Vollendete Seligkeit in der Welt ist möglich, denn Gott freut sich aller Dinge im Bewusstsein unbeeinträchtigter Freiheit. Auch wir können uns dieser Wahrheit und Seligkeit erfreuen, die im Veda amrtam, Unsterblichkeit, genannt wird, wenn wir unser egoistisches Dasein abwerfen und aufgehen in vollkommener Einheit mit Seinem Wesen und somit einwilligen, die göttliche Wahrnehmung und die göttliche Freiheit zu empfangen.
Читать дальше