„Klar“, sagte Pater Aloysius fast grob, „im Silberberg, wo denn sonst? Habt ihr das nicht kapiert?“
„Nein.“ Das klang gepreßt. „Wir haben nie für möglich gehalten, daß er soweit gehen würde.“ Und fast trotzig fügte Pater Augustin hinzu: „Alle Macht geht vom König aus, aber auch die Kirche ist eine Macht.“
„Ah ja“, sagte Pater Aloysius höhnisch. „Und wo ist sie, diese Macht unserer Kirche? Ich finde sie nirgends. Kannst du sie mir mal zeigen, Bruder? Aber die Macht des Königs sorgte dafür, daß der Altar unserer Kapelle im Tacna-Tal zerstört wurde. Das Kruzifix wurde zertrümmert. Ohne das Eingreifen unseres Freundes hätten wir einen neuen Märtyrer gehabt – Pater Franciscus. Er hätte sich eher die Zunge abgebissen, als zu verraten, wo wir uns versteckt hatten.“
„Du bist erregt, Bruder“, sagte Pater Augustin.
„Erregt?“ schnappte Pater Aloysius. „Zornig bin ich, weil diese Teufel tun, was ihnen paßt, und niemand stellt sich ihnen entgegen. Du sagtest eben selbst, er habe euch gedroht, dieser Fettwanst, der sich Gouverneur nennt. Habt ihr diese Drohungen zurückgewiesen? Habt ihr ihn mit dem Kirchenbann belegt? Darf er diese Kirche noch betreten? Habt ihr seine Drohungen von der Kanzel herab angeprangert?“
„Du weißt, daß nur der Bischof in Lima solche Strafen verhängen kann, Bruder“, sagte Pater Augustin verbissen. „Und Lima ist weit.“
„Es wird noch weiter von euch weg sein“, sagte Pater Aloysius, „wenn auch ihr im Berg gelandet seid, um ‚einer nützlichen Beschäftigung‘ nachzugehen.“
Hasard räusperte sich, und er sagte zu Pater Aloysius: „Vorwürfe führen jetzt zu nichts, Bruder. Du verlangst eine kämpferische Kirche, was im Widerspruch zu ihrem Auftrag steht, überall Frieden zu verkünden. Wir wollen das hier nicht erörtern. Mich interessiert etwas anderes.“ Er blickte zu Pater Augustin. „Hat Don Ramón, der Provinzgouverneur, hier in Potosi irgendwelche Feinde, die nur darauf lauern, ihn ausbooten zu können, um selbst Machtpositionen zu besetzen?“
Pater Augustin schüttelte den Kopf. „Er sitzt fest im Sattel. Es gibt niemanden, der ihn aus seinem Amt als Provinzgouverneur verdrängen könnte. Nur der König beziehungsweise der Vizekönig in Lima ernennt ihn oder setzt ihn ab. Es ist ein Amt von des Königs Gnaden.“
„Das ist mir schon klar“, sagte Hasard. „Ich dachte nur bei meiner Frage an etwas anderes.“
„Und das wäre?“ fragte Pater Augustin.
Hasard sagte geradeheraus: „Was geschieht zum Beispiel, wenn jemand den Provinzgouverneur ausschaltet, indem er ihn als Geisel gefangensetzt? Gilt dann seine Befehlsgewalt immer noch, oder geht sie möglicherweise auf einen Vertreter über, der auf sein Leben keine Rücksicht zu nehmen braucht und daher auch seine Befehle ignorieren kann?“
Pater Augustin starrte Hasard an, als habe der den Verstand verloren. Pater Aloysius indessen hatte bereits begriffen und begann breit zu grinsen.
In den letzten Wochen hatte er mit diesem Kanonensohn und seinen harten Kerlen ja schon allerlei erlebt. Die kamen zur Sache, ohne lange zu fackeln. Was der schwarzhaarige Riese mit den eisblauen Augen jetzt jedoch plante, das war an Verwegenheit kaum zu überbieten – und müßte Erfolg haben, vorausgesetzt, die Señores der Exekutive wie Stadtkommandant, Offiziere, Polizeipräfekt oder Bürgermeister zitterten um das Leben des ehrenwerten Don Ramón und unternahmen nichts, um es zu gefährden.
Weil der Bruder Aloysius so infam grinste, begann es bei Pater Augustin zu dämmern. Heilige Mutter Gottes! Sollte es dieser bärtige Riese mit dem verwegenen und doch so sympathischen Gesicht wagen, das auszuführen, was er eben angedeutet hatte?
„Ungeheuerlich“, murmelte Pater Augustin, „unvorstellbar.“ Er blickte zu dem grinsenden Pater Aloysius und dann wieder zu dem Riesen, der eine undurchdringliche Miene aufgesetzt hatte, aber ihn aufmerksam musterte. Pater Augustin hüstelte. „Entschuldigung, ich bin etwas verwirrt. Eine – eine Geiselnahme dieser – äh – Person ist so unvorstellbar, daß man sie hier nie ins Kalkül gezogen hat, um sich mögliche Gegenreaktionen auszudenken. Insofern lautet meine Antwort auf Ihre Frage, daß niemand in Potosi wagen wird, das kostbare Leben dieser Person in Gefahr zu bringen.“
„Er wird als Geisel weiter befehlen können?“ fragte Hasard.
„Das wird er.“ Pater Augustin nickte. „Davon bin ich überzeugt. Aber was bezwecken Sie mit einer solchen Geiselnahme, Señor? Entschuldigen Sie, wenn ich das frage.“
„Oh, ich verfolge dabei mehrere Ziele, die aber alle darauf hinauslaufen, den Silberabbau in der Mine zumindest für einige Zeit außer Betrieb zu setzen.“
In den braunen Augen Pater Augustins blitzte es auf. „Das höre ich gern. Aber es wird sehr sehr schwer, ja, nahezu unmöglich sein, diese Person gefangenzunehmen, Sie wird ständig von einer Leibwache begleitet, und das sind harte Burschen, die ohne viel zu fragen sofort schießen oder zuschlagen, sollte ihr Schützling in irgendeiner Weise bedrängt werden. Sie erhalten dafür einen Privatsold aus der Schatulle des hohen Herrn und stehen sich damit besser als ein Capitán der spanischen Armee.“
„Wie stark ist diese Leibwache?“ fragte Hasard.
„Vier Soldaten unter der Führung eines Teniente“, erwiderte Pater Augustin.
Nicht sehr aufregend, dachte Hasard und fragte: „Dieser Teniente – ist das ein dürrer Mensch mit einem Ziegenbart?“
„Ja, das ist er“, sagte der Pater, „Teniente Manuel de Olivella, ein dummer Laffe, der sich als Kommandant der Leibwache des hohen Herrn für den Nabel der Welt hält und eben wegen seiner Dummheit gefährlich ist.“
„Das haben wir schon gemerkt“, sagte Hasard lächelnd und dachte an den dürren Gockel, dem sie erklärt hatten, sie befänden sich auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem. Als „hart“ mochte er diesen Burschen nicht einschätzen. Aber Dummheit – da hatte der Pater recht – war etwas Gefährliches. Hasard verneigte sich leicht. „Vielen Dank für die Informationen, Pater Augustin. Wenn alles so klappt, wie ich mir das vorstelle, wird die absolute Herrschaft der Person, von der wir sprechen, einen erheblichen Stoß erhalten.“
„Gott möge Ihnen beistehen“, sagte Pater Augustin.
Sie verabschiedeten sich und kehrten auf Umwegen zur Südseite des Silberberges zurück.
Hasard berichtete in dem Stollen von ihrem Stadtbesuch und was er von Pater Augustin erfahren hatte. Zum Schluß sagte er: „Ich habe die Absicht, den ehrenwerten Don Ramón zu schnappen und als Geisel zu benutzen. Meiner Meinung nach ist er ein feiger Mann, das heißt, er wird tun, was ich ihm befehle. Mit den vier Leibwächtern und dem Teniente sollten wir fertig werden – fragt sich nur, wo und wann wir zuschlagen.“
„Kein Problem“, sagte Pater Aloysius voller Heiterkeit. „Nordwestlich von Potosi liegen die warmen Quellen von Miraflores. Dort hat sich der Fettwanst an einem Thermalbad ein luxuriöses Landhaus errichten lassen, das er täglich aufsucht. Teilweise verbringt er dort auch seine Nächte – mit hübschen Indiomädchen, die er für Liebesdienste mißbraucht. In diesem Landhaus könnten wir ihn festsetzen.“
„Wie weit ist es von Potosi entfernt?“ fragte Hasard.
„An die zwölf Meilen, Bruder Hasard.“
Hasard schüttelte den Kopf. „Das ist zu weit weg von der Stadt, denn sie wird es sein, der ich Forderungen stellen werde – über Don Ramón als Sprachrohr. In dem Landhaus sind wir zu weit ab vom Schuß. Aber wir können über ihn herfallen, wenn er in seiner Sänfte zu diesem Landhaus gebracht wird. Dann schleppen wir ihn hierher und zwiebeln ihn ein bißchen, um ihn als unser Sprachrohr auf seine Rolle einzustimmen …“
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