Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-478-4
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Im rötlichen, unheilverkündenden Dämmerlicht segelte die „Isabella VIII.“ davon, groß, dunkel, mit prall geblähtem Zeug. Stumm war es an Bord, nichts regte sich. Hoch ragte das verzierte Heck aus den Fluten auf. Das Boot, das immer weiter achteraus des Schiffes zurückblieb, wirkte im Verhältnis zu dem Dreimaster klein und jämmerlich.
Der Abstand zwischen den so unterschiedlichen Fahrzeugen wuchs von Sekunde zu Sekunde, die „Isabella“ schien dahinzuschweben.
Nichts konnte sie aufhalten.
Der Seewolf richtete sich in dem Boot auf, aber er konnte sich nicht auf den Beinen halten. Er knickte in den Knien ein und fiel zwischen die Duchten. Immer wieder versuchte er es, und immer wieder brach er zusammen.
Er wollte zur „Isabella“ hinüberwinken, aber seine Arme waren plötzlich von bleierner Schwere. Er wollte rufen und Ben Brighton und die anderen auf sich aufmerksam machen, aber die Stimme versagte ihm den Dienst. Er brachte keinen Laut heraus, nicht einmal ein Keuchen oder Würgen.
Von Bord der „Isabella“ blickte niemand zum Boot zurück. Kein Mensch schien sich auf dem Oberdeck der Galeone zu befinden, sie wurde von unsichtbarer Hand gelenkt. Eine gespenstische Erscheinung, die von den Schleiern der Dämmerung zerfasert, zersetzt und dann unsichtbar wurde …
Der Seewolf drehte sich zu seinen Söhnen um.
Philip und Hasard kauerten nebeneinander auf einer Ducht, ihre Mienen waren verstört.
„Gott im Himmel, jetzt sind wir verloren“, sagte der kleine Hasard mit schwacher Stimme.
Der Seewolf hörte sich antworten. Ja, er hatte die Sprache wiedergefunden. Aber es war nicht seine Stimme, die er da vernahm, sondern die eines Greises, dessen Dasein von den Schatten des Todes gezeichnet war:
„Sag so etwas nicht. Es gibt noch eine Hoffnung.“
„Welche?“ fragte der kleine Philip.
„Wir pullen.“
„Wohin?“
„Zum Ufer pullen wir“, murmelte der Seewolf mit Grabesstimme.
„Es gibt kein Ufer …“
„Seht doch!“ rief der siebenjährige Hasard. Er hatte sich umgedreht und wies achteraus. Sein Bruder fuhr gleichfalls herum und ließ einen erstickten, entsetzten Laut vernehmen.
Der Seewolf folgte ihrem Blick mit den Augen, und er sah die schwarzen Wogen, die sich hinter dem Bootsheck erhoben. Sie rollten heran. Ein Grollen erfüllte die Luft, die heiß und stickig geworden war.
Der Seewolf fühlte, wie sich etwas um seinen Hals zusammenschnürte und ihm den Atem nahm. Seine schweren Arme regten sich mit unglaublicher Trägheit, während Panik in ihm aufstieg. Er wollte zu den Riemen greifen und pullen, nur noch pullen, aber die Riemen waren fort – oder es hatte sie in diesem Boot nie gegeben.
Die Duchten saßen fest, sie ließen sich nicht herausreißen und als Behelfsriemen benutzen. Hasard hockte zwischen den Duchten, tauchte die Hände ins Wasser und ruderte verzweifelt. Aber er war viel zu langsam.
Die Wogen waren heran und hoben das Boot hoch, eine Jolle mit fünf Duchten, abgefiert, ausgesetzt von der „Isabella“, die verschwunden war. Schwarzes Wasser rüttelte das kleine Boot. Philip und Hasard, die Zwillinge, schrien. Als ihre gellenden Schreie in Weinen umschlugen, gewahrte der Seewolf den Strudel.
Er öffnete sich tief unter ihnen in einem Wogental. Ein Loch, ein Krater in der aufgewühlten See, gieriges Kreisen, Schmatzen und Gurgeln und ein kaltes Zyklopenauge in der unendlichen Tiefe, das seinen Blick unablässig und gnadenlos auf sie geheftet hielt.
Die Jolle taumelte auf einem Wellenkamm, drohte zu kentern, hielt sich aber doch und trat schließlich ihre rauschende Talfahrt an – auf das gähnende, wirbelnde Loch zu.
Sie klammerten sich am Dollbord des Bootes fest. Was konnten sie sonst noch tun? Sie, die drei Killigrews, waren ihrem Schicksal ausgeliefert, der Hölle, die sie verschlingen wollte.
„Bastarde!“ tönte die schaurige Greisenstimme in den Ohren des Seewolfes. „Dies ist euer gerechtes Ende. So sterben alle Bastarde!“
Der Strudel erweiterte sich zu einem gigantischen Tor, das Boot raste durch das Tor und war in der totalen Finsternis angelangt. Die Zwillinge schrien wieder, aber der Seewolf konnte sie nicht mehr sehen, und er hatte auch keine Stimme mehr, um nach ihnen zu rufen, keine Hände mehr, mit denen er nach ihnen tasten konnte.
Sie wurden hinuntergeschleudert in die Schlünde der Verdammnis, denen sie hundertmal entwichen waren. Einmal mußte es soweit sein. Nicht mehr gegen den Wind spucken, dachte Philip Hasard Killigrew, dem Teufel kein Ohr mehr absegeln, aus und vorbei!
„Bastarde!“ brüllte die Greisenstimme. „Verfluchte Bastarde! Verreckt! Euer Jammern nutzt euch nichts mehr!“
Ein schwerer schwarzer Vorhang schien auf die Jolle gefallen zu sein. Das Tosen des Sturmes war verebbt. Totenstille trat ein. Hitze und Atemnot wurden unerträglich. Der Seewolf krümmte sich und barg sein Gesicht in den Händen. Zeit und Bewegung standen still, die äußere Wahrnehmung schwand, man schien sich in einer raumlosen Sphäre zu befinden.
Dann zerriß der Vorhang, und die Flammen der Hölle fauchten ihnen entgegen.
Sie wehrten sich, aber eine unerklärliche Kraft trug sie dem abscheulichen Treiben, den gräßlichen Lauten entgegen, die in dem heißen Wabern waren. Ihr Sträuben nutzte ihnen nichts, alles war Schicksal und unabwendbar, sie waren hilflose Geschöpfe in den Klauen der Dämonen.
Auf einem glühenden Podest stand der Fürst – eine Schreckenskreatur mit Wolfshaupt, Eselsohren, Wildschweingebrech, glühenden Augen. Er schwang eine Peitsche, die aus grünen Schlangenleibern geflochten war, und kreischende Schimären, grunzende Zerberusse und andere Greuelgestalten umtanzten ihn.
Die Monstren streckten ihre Krallenhände nach den Zwillingen aus.
„Nein!“ schrie der Seewolf.
„Ja!“ brüllte die Greisenstimme. „Packt sie und zerreißt sie!“
Die Teufelskreaturen rissen Philip und Hasard an sich.
„Nein!“ schrie der Seewolf immer wieder. „Nein, nein!“
„Nein!“ stieß der alte Donegal Daniel O’Flynn aus. Er hob die Arme, suchte mit den Fingern Halt in der Luft seiner Achterdeckskammer und gestikulierte verzweifelt. Plötzlich warf er sich nach links. Er rollte über den Rand seiner Koje und gab dabei einen gurgelnden Laut von sich.
Hart landete er auf den Planken.
Das dumpfe Geräusch, das bei seinem Aufprall entstand, tönte durch das Schiff.
Der alte O’Flynn drehte sich auf den Rücken und blieb mit ausgebreiteten Armen auf den Planken liegen. Er öffnete ein wenig die Augenlider und blickte zur Decke des dunklen, leicht schwankenden Raumes hoch, ohne etwas erkennen zu können. Er murmelte einen ellenlangen Fluch.
In der Kapitänskammer der „Isabella“ fuhr der Seewolf von seinem Lager hoch. Er hatte das dumpfe, polternde Geräusch vernommen und war sicher, es nicht nur geträumt zu haben. Rasch erhob er sich, stieg in seine Langschäfter, zog sich die Lederweste über, griff nach seiner doppelläufigen sächsischen Reiterpistole und verließ die Kammer, um der Ursache des Lautes auf den Grund zu gehen.
Auf dem Achterdeck der „Isabella“ reckte der Profos Carberry sein klobiges Kinn in den Nachthimmel. Er schien oben im Großmars nach der Erklärung für diesen seltsamen Laut zu suchen, den natürlich auch er gehört hatte, jedenfalls war sein Blick dorthin gerichtet.
Dann aber sagte er: „Habt ihr das gehört, ihr Stinte? Das kam aus dem Achterdeck.“
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