Die „O Fim do Mundo“ hielt sich frei von den Felsen und Riffen. Der Kapitän kannte das Revier und hütete sich davor, das Schiff auch nur annähernd in die Gefahr zu bringen, auf Legerwall zu geraten.
Wieder schwenkte Afonso do Sul langsam das Spektiv herum.
„Siehst du etwas? Außer Möwen, meine ich?“ fragte Kapitän Vitoria mürrisch. „Die Stimmung ist nicht gerade überschäumend.“
„Sie werden laut und begeistert zu schreien anfangen“, erwiderte der Erste halblaut, ohne das Spektiv vom Auge zu nehmen, „sobald das nächste Schiff auftaucht.“
„Und? Taucht eins auf?“
„Sieht schlecht aus, Kapitän.“
Do Sul hob hilflos einen Arm. Er setzte das Linsenrohr wieder ab. Auch er wußte, daß sie an der denkbar besten Stelle lauerten. Aber die Inseln konnten nur der Schlupfwinkel sein. Wenn sie einen anderen Kurs absetzen würden, stieg die Wahrscheinlichkeit des Erfolges. Sie hatten schon oft darüber gesprochen. Aber noch verdeckte die Insel einen Teil des westlichen Sektors.
„Also doch nach Norden? Wir haben Proviant und Wasser für Wochen.“
Martim Vitoria war schon fast entschlossen, das Kommando zur Kursänderung zu geben. Er wartete nur noch auf einen Hinweis, einen Anstoß. Sein Gesicht war ebenso mürrisch wie die Stimmung der Crew.
„Wenn du meinen Rat haben willst, Kapitän“, sagte der Erste, „dann ist es wohl das Beste.“
„Wir haben die richtige Jahreszeit. Die Monate, in denen die Silberkonvois segeln“, brummte Vitoria und schob seinen schweißdurchtränkten, salzverkrusteten Hut ins Genick. Seine Hakennase sprang kühn vor wie der Schnabel eines Habichts. „Zeigen wir’s den überheblichen spanischen Dons, wie?“
„In einer halben Stunde kannst du sicher sein, Martim“, erwiderte der Offizier.
Das portugiesische Kaperschiff und seine Crew kannten die Kapverdischen Inseln und das Seegebiet bis hinauf zum nördlichsten Kap ihrer Heimat so gut wie das Innere ihrer Seekisten. Vor knapp einem Jahr war ihnen die letzte, wirklich wertvolle Beute vor die Geschützmündungen gesegelt. Mittlerweile war davon fast nichts mehr übrig. Es war allerhöchste Zeit für das nächste, „zufällige“ Treffen.
„Einverstanden. Beim nächsten Glasen entscheide ich“, sagte schließlich der Kapitän.
„Du wirst schon richtig entscheiden“, meinte der Erste tröstend.
„Oder auch nicht.“
Die Galeone kämpfte sich weiter durch kurze, harte Atlantikwellen. Die felsige Küste der Insel änderte ihr Aussehen. Einige Buchten und saftige grüne Hänge zeigten sich. Die Kerle betrachteten sie ohne Interesse. Es dauerte nicht lange, dann lag die gesamte Kimm vor der Galeone. Zum zehnten Male suchten zuerst der Kapitän, dann sein Erster die schier endlose Wasserfläche ab.
„Nichts“, sagte Martim schließlich. Er blieb auf dem Quarterdeck stehen, hielt sich mit der linken Hand an einem Ende fest, das in ganzen Schlägen am Besanmast belegt war, und rief zur Kuhl: „Klar zum Halsen – und auf Kurs nach Cabo de São Vicente.“
„Jawohl, Kapitän!“ tönte aus einem Dutzend Kehlen die Antwort. Auch der Rudergänger schrie sein „Verstanden“.
„Aber nicht so weit, hoffentlich.“
„Das will ich meinen“, erwiderte der Kapitän. „Wenn wir in ein paar Tagen nichts einfangen, geht es wieder zurück zu den Islas.“
„Gut so.“
Die Männer schrien wild durcheinander, während sie zu den Schoten und Brassen eilten. Schwerfällig drehte sich die Galeone nach Steuerbord, legte weit über und gehorchte schließlich wieder dem Ruder.
Der Stückmeister warf den feuchten Lappen auf die Planken, stemmte die Fäuste in die Seiten und hob ratlos die Schultern.
„Zu was halte ich eigentlich die Waffen hier in Ordnung? Ich schufte wie ein Galeerensträfling, und weit und breit ist kein Ziel. Was sagt ihr dazu, he?“
„Ich verspreche dir noch in diesem Jahr einen guten Schuß. Oder besser: ein großes Ziel.“
„Das Ziel sollte sich beeilen“, sagte Nobles Moya grimmig. „Aber ganz verdammt soll es sich beeilen.“
Nach Norden mußte die „O Fim do Mundo“ in weiten Schlägen kreuzen, hinaus auf die offene See und in Richtung auf die Küste von Cabo Bojador zurück. Marokko wurde von der scherifischen Dynastie regiert, und auch die Moslems hatten ihre Kaperschiffe, ihre Piraten und bewaffneten Händler.
Die Mannschaft des Schiffes bestand nur aus Portugiesen, aber die Männer, die von Silberschiffen abgemustert hatten, aus, der Neuen Welt kamen oder in den Häfen Portugals geschuftet hatten, wurden durch zahllose Kämpfe und Enterunternehmen zusammengehalten. Sie glaubten an den großen Reichtum, der auf See wartete. Ihr Revier befand sich zwischen Portugal, den Islas Canarias und den Kapverdischen Inseln.
Von der marokkanischen Küste hatten sie nichts zu befürchten. Aber ihre Ungeduld wuchs, und das erzeugte böse Stimmung an Bord.
Böse Stimmung, Nachlässigkeit, schlechte Laune – und wenn jetzt auch noch die erträumte und ersehnte Beute ausblieb, gab es mehr Streit auf der Galeone, als Kapitän Martim Vitoria lieb sein konnte.
„Und was ist los auf den Kanaren?“ wollte der Erste wissen. „Gehen wir an Land?“
„Wird sich zeigen“, erwiderte der Kapitän. „Alles ist unwichtig. Nur das nächste Schiff, das wir sehen, zählt. Und daß es tief im Wasser liegt.“
„Da hast du recht.“
Auch eine Stunde später, als die „O Fim do Mundo“ den weitesten Punkt des Schlages nach Nordwesten erreicht hatte und auf den anderen Bug ging, suchten der Kapitän und Faleiro, der Zweite Offizier, die Kimm nach einem Segel ab. Aber selbst in der Nacht, als sie ohne gesetzte Lichter – wie fast immer – wieder auf Nordkurs segelten, konnten sie keine fremden Lichter außer den Sternen und dem Mond erkennen.
Kapitän Alvarez Santillan zwirbelte seinen Bart und wartete geduldig, bis sich die kleine Galeone wieder aufrichtete. Dann tunkte er den Federkiel in die Tinte und schrieb weiter auf den stockfleckigen Seiten des Logbuchs.
… vermute nicht nur ich eine Falle. Mir scheint jeder Teil des Vorhabens sinnlos und verdächtig zu sein. Seit wir vom Tod des Königs hörten, ist die Ordnung der Welt aus den Fugen. Jedenfalls ist es für mich und meine Offiziere eine gespenstische Vorstellung, nach Irland zu segeln. Ausgerechnet nach Irland, Englands Nachbarn .
Die „Nobleza“ mit fünfunddreißig Mann Besatzung war kein großes Schiff. Sie befand sich im letzten Drittel des weit auseinandergezogenen Konvois. Es war eine ziemlich ruhige Nacht mit gleichmäßigem Wind aus dem südlichen Sektor.
Noch haben wir unseren Entschluß nicht gefaßt. Es wird auch nicht einfach werden, den Konvoi zu verlassen, denn alle sind wachsam. Am mißtrauischsten ist jener Capitán Julio de Vilches auf seiner schnellen, gut bewaffneten Schebecke. Wo ist die „Casco de la Cruz“ geblieben? Was halten unsere spanischen Behörden von dem ungewöhnlichen Kurs?
Unser Ziel sollte Gibraltar sein .
Aber die Nacht und der helle Tag sind unserem Vorhaben nicht dienlich. Es dauert sicher noch einige Tage, bis wir alle einig sind und wissen, was zu tun ist. Unser Gewissen muß sauber bleiben, denn es geht letzten Endes um unsere Ladung. Sie ist von unschätzbarem Wert .
Sorgfältig verschloß der Kapitän das Tintengefäß und legte den Federkiel in das Fach des Schreibzeugs zurück. Während er wartete, daß die Tinte eintrocknete, zog er den Korken aus dem Krug und goß unverdünnten, hellbraunen Rum in einen Becher. Er lehnte sich im Stuhl zurück und las das Geschriebene noch einmal. Dann klappte er das Logbuch zu und schob es in das Fach über dem Schreibbrett.
An der Tür ertönte ein dreifaches Pochen.
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