In diesem Punkt aber unterschätzte auch Hasard die Black Queen – ein Fehler, den sowohl er als auch seine Männer und Verbündeten noch bereuen sollten.
In Punta Gorda erregte das Erscheinen der Black Queen und ihrer vier Begleiter das erwartete Aufsehen. Nicht nur Gilbert Sarraux und Joao Nazario waren zur Stelle, um sie ausgiebig zu betrachten. Eine Gruppe von wüst aussehenden Kerlen scharte sich vor dem Eingang der Hafenkneipe „El Escarabajo“ zusammen, als die fünf Fremden die teils aus Steinen, teils aus Holz und Schilfmatten errichtete Hütte betraten. Die Kerle grinsten, stießen sich untereinander an und ließen anzügliche Bemerkungen vernehmen.
Caligula wandte sich zu ihnen um, seine Hand lag am Heft seines Säbels. Sein Gesicht war verzerrt. Aber die Queen hielt ihn zurück.
„Vergiß nicht, wir sind als Freunde hier, Caligula“, sagte sie. „Wir müssen uns so diplomatisch wie möglich verhalten.“
Von Diplomatie hatte Caligula nie etwas gehört, er wußte nicht, welche Bedeutung dieser Begriff hatte. Aber er sah ein, daß er nicht handgreiflich werden durfte. Die Queen wollte keine Streitigkeiten. Daran mußten er und die drei Piraten der „Caribian Queen“ sich halten.
„El Escarabajo“, der „Käfer“, war das Zentrum des Lebens von Punta Gorda. Hier traf man sich, hier wurden Beutezüge besprochen, Pläne gewälzt und die tollsten Abenteuer erzählt. Wer etwas an den Mann zu bringen hatte, knüpfte hier die erforderlichen Kontakte an, wer etwas erstehen wollte, war an der richtigen Adresse.
Die Queen spürte instinktiv, daß sie hier mit den Leuten ins Gespräch kommen konnte. Sie wollte nicht nur Proviant einkaufen, den sie bezahlen konnte, sie wollte mehr. Was es genau war, wußte sie sich selbst gegenüber noch nicht zu erklären, aber ihr Bestreben war darauf ausgerichtet, neue Rachepläne gegen den Seewolf zu entwickeln. Sie haßte ihn jetzt bis aufs Blut, und ihr einziges Ziel war die Vergeltung.
Die Männer, die sich vor dem Eingang eingefunden hatten, drängten nach, als die Queen und ihre Gefolgschaft das Innere der Spelunke betraten. Entschlossen steuerte die Queen auf den Tresen zu, der so windschief wirkte wie der ganze Bau. Im Halbdunkel erblickte sie die Gestalt des Wirtes. Er bediente drei Zecher, die schon einigen Wein und Rum getrunken zu haben schienen, wandte sich aber sofort der Queen zu. Sein Gebaren war diensteifrig und unterwürfig.
Ratte, dachte sie abfällig.
Caligula und die drei Piraten nahmen neben und hinter ihr Aufstellung. Die Kneipe füllte sich immer mehr mit Gestalten, gleich zwei Dutzend Kerle rückten auf die Theke zu. Caligula ahnte, daß er die Queen nicht abschirmen konnte, und wieder schob sich seine Hand an den Griff des Säbels.
„Womit kann ich den Herrschaften dienen?“ fragte der Wirt.
„Mit Wein und Rum“, erwiderte die Queen. „Wir sind durstig. Und mit ein paar Auskünften.“
„Zum Beispiel?“
Je mehr er katzbuckelte, um so widerwärtiger war er ihr. Aber sie bezwang sich und entgegnete so freundlich wie möglich: „Ich brauche Proviant, Wasser und Munition für mein Schiff. Ich bin bereit, dafür zu bezahlen. Meine Männer und ich haben nicht die Zeit, auf die Jagd zu gehen und eine Quelle zu suchen. Wir sind in Eile.“
„Außerdem gehört dieser Küstenstrich uns“, sagte jetzt einer der Kerle, die sich genähert hatten. Er war groß und hager und hatte eine breite, häßliche Messernarbe im Gesicht, die sich quer über seine linke Wange zog. Seine Kumpane nannten ihn Larsky, und er stammte, wenn man seinen Erzählungen Glauben schenken durfte, aus dem fernen Land Polen. „Die Gegend ist also unser Hoheitsbereich“, fuhr er fort. „Jeder, der hier ankert, fischt oder auf die Jagd geht, hat uns zuerst um unsere Genehmigung zu bitten. Das gleiche gilt auch für Weiberröcke, die hier ihrem Gewerbe nachzugehen gedenken.“ Ungeniert und herausfordernd zugleich musterte er sie von oben bis unten. Dann glitt sein Blick wieder an ihr hoch und verharrte auf ihren Brüsten.
Caligula wollte aufbegehren, aber die Queen hielt ihn wieder zurück – durch einen einzigen Blick. Er bedeutete: Laß nur, mit dem Kerl werde ich auch allein fertig. Mit einer knappen Gebärde gab sie Caligula und den drei anderen Kerlen von ihrem Schiff zu verstehen, daß sie sich heraushalten sollten.
Die vier Männer wichen etwas zur Seite. Larsky trat in die sich öffnende Lücke und stand jetzt so dicht vor der Queen, daß sein Oberkörper ihre Brust zu berühren drohte.
„Wer bist du überhaupt?“ fragte er und grinste unverschämt.
Die Kerle, die sich hinter seinem Rücken heranschoben, lachten.
„Die Black Queen“, erwiderte sie. „Und du?“
„Larsky. Das hier sind meine Freunde T-Bone, Lee Crapper und Norimbergo und die anderen – ach, es würde zu weit führen, sie alle vorzustellen. Du lernst sie auch so noch kennen.“ Er grinste immer noch, und wieder lachten die anderen.
Die Queen erwiderte das Grinsen. „Und du bist hier der größte Maulheld, was, Larsky?“
„Ich möchte von dir wissen, was du willst.“
„Euch allen einen schönen guten Tag wünschen.“
„Uns sonst?“
„Etwas kaufen, das habe ich wohl schon gesagt“, erwiderte sie seelenruhig. „Aber vielleicht habe ich auch etwas anzubieten.“
„Das habe ich mir schon gedacht“, sagte er. „Teufel, du hast die größte, prächtigste Galion, die ich je gesehen habe.“
Schallendes Gelächter in der Kneipe. Die Kerle schienen sich prächtig zu amüsieren. Auf eine Abwechslung wie diese hatten sie schon lange gewartet.
Auch Annamaria, Amintores vermeintliche Tochter, war zugegen, aber sie hielt sich im Hintergrund. Es war ihr zuwider, wie die Kerle sich an die Black Queen heranarbeiteten. Hoffentlich haut sie ihnen ein paar runter, dachte sie.
„Laß mal sehen, was du außer deinem Vorschiff noch alles zu bieten hast“, sagte T-Bone, ein knochiger Kerl mit großen Zähnen. Er drängelte sich vor, schob sich neben Larsky und griff nach dem Lendenschurz der Queen. „He, ich gebe einen doppelten Rum für dich aus, wenn du mich als ersten an Bord läßt!“
Es gab ein scharfes, klatschendes Geräusch, und T-Bone zog die Hand zurück. Seine Miene war verwirrt. Damit hatte er nicht gerechnet. Blitzschnell hatte die Queen ihm mit unerwarteter Härte auf die Finger geschlagen.
Larsky lachte. „Du bist nicht ihr Typ, T-Bone“, sagte er. „Sie ist wählerisch. Laß mich mal ran. Hallo, Queen, schick deine Aufpasser ruhig weg. Ich gebe eine Runde Wein für sie aus, und wir haben unsere Ruhe. Na, ist das ein Angebot?“
„Ja.“ Sie ließ ihn heranrücken, dann schoß ihre Hand überraschend hoch. Es klatschte zum zweitenmal, Larsky rieb sich die schmerzende Wange – die mit der Messernarbe.
„Ich habe Ohrfeigen, Boxhiebe und Tritte anzubieten“, sagte die Queen kalt. „Für den Fall, daß mich noch jemand mit einer billigen Hafenhure verwechselt. Also, wer ist der nächste?“
„Ich“, antwortete ein Bulle von Kerl, der sich hinter Larsky und T-Bone gehalten hatte. „Lee Crapper. Manoleto, räum den Tresen. Ich lege die schwarze Hure flach und versohle ihr den Hintern. Das hat sie für ihre Frechheit verdient.“
Manoleto war der Wirt. Übersetzt bedeutete der Name soviel wie „Dreckfinger“, nicht etwa „Manuelito“ oder „Manuel“, wie man beim ersten Hinhören vermuten mochte. Manoleto hatte nie saubere Hände, und das hatte ihm den Beinamen eingebracht. Kurzum, er war einer der schmierigsten und schlitzohrigsten Kerle, die es in Punta Gorda und auf ganz Hispaniola gab.
Er warf Crapper einen huschenden Blick zu und zog sich dann schleunigst zurück. Er bangte mehr um seine Flaschen und Fässer als um die allgemeine Ordnung, die in diesem Hafen ohnehin nur symbolisch existierte.
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