„Doch, das gibt’s“, sagte der Kutscher ruhig. „Du hast doch Affenärsche gesucht, die auf Bäumen wachsen. Wer suchet, der findet.“
„Affenärsche, die auf Bäumen wachsen“, wiederholte Carberry tonlos und stierte immer noch auf die seltsamen Kokosnüsse, von einer Sorte, die er noch nie gesehen hatte.
Es war die Seekokospalme, an der die monströse Seychellen-Nuß hing. Sie ähnelte tatsächlich in verblüffender Weise einem riesigen Hinterteil, denn jeweils zwei Nüsse schienen zusammengewachsen zu sein.
An fast allen Seekokospalmen hingen diese Nüsse. Sie waren so schwer, daß sie fast einen halben Zentner wögen.
Angesichts dieses „Naturereignisses“ brandete lautes Gelächter auf. Jetzt hatte der Profos das, was er angeblich suchte, und was von ihm nur als schlechter Witz aufzufassen war. Affenärsche auf Bäumen!
„Das gibt’s doch gar nicht“, wiederholte er fassungslos.
Die anderen, die seinen Spruch an Bord ebenfalls gehört hatten, begannen jetzt noch lauter zu lachen. Durch das homerisch brüllende Gelächter aufgescheucht, hoben ein paar Fregattvögel ab und strichen zum Wasser hin. Ein paar verstörte Tölpel folgten. Sie kapierten offenbar nicht, was diesen Gelächtersturm auslöste.
„Wenn dir davon eine auf den Schädel fällt“, sagte der Kutscher voller Genugtuung, „dann hast du dein letztes Halleluja gepfiffen. Das Gewicht allein sorgt für wohltuende Dunkelheit.“
„Glaube ich“, sagte Carberry, der es immer noch nicht fassen konnte.
Er, Smoky, Batuti, Hasard und ein paar andere traten näher an die riesige Palme heran, die eine Höhe von annähernd zwanzig Yards hatte. Vier dieser Riesennüsse hingen noch da oben. Eine andere hatte sich gelöst und lag am Boden. Der Blick, mit dem der Profos sie anstierte, war fast ehrfürchtig zu nennen.
Der Kutscher schlug ihm grinsend auf die Schulter.
„Gestern hast du an Bord noch laut über deine Kräfte rumgetönt“, sagte er ironisch. „Du gebrauchtest ein paar Worte, die ich hier nicht unbedingt wiederholen möchte.“
„Tu’s ruhig“, brummte Carberry. „Es ging um Kokosnüsse, die selbst von den stärksten Kerlen nicht mit den Händen geknackt werden könnten. Und ich sagte, daß ich so lausige Kokosnüsse mit den Arschbacken knacken würde …“
„So, sagtest du.“ Der Kutscher hüstelte. „Nun, dann versuche es doch mit dieser Nuß einmal.“
Aber der freundlichen Bitte konnte Carberry nicht entsprechen, und so kratzte er sich etwas verlegen das stoppelige Kinn, während er weiterhin die herabgefallene Riesennuß anstarrte.
Schließlich rang er sich mühsam zu den Worten durch: „Was sind denn das für Dinger? Habe ich noch nie gesehen.“
„Kein Wunder, es gibt sie auch nur hier. Es ist die Seekokospalme, an der diese Nüsse wachsen. Manchmal wurde sie allerdings auch an der Küste von Indien oder Ceylon gefunden, aber sie wuchs dort nicht. Sie wurde einfach nur an Land geschwemmt.“
„Soso“, sagte Carberry lahm.
„Man glaubte“, fuhr der Kutscher dozierend fort, „daß diese gewaltigen Nüsse auf einem Baum tief unten im Meer wachsen würden.“
„Gibt es nicht“, behauptete Carberry spontan. „Auf dem Meeresgrund wachsen keine Bäume.“
„Natürlich nicht“, sagte der Kutscher. „Auf dem Mond werden schließlich auch keine Rübenschweine gezüchtet. Es ist nur eine Sage.“
„Aber wenn …“
„Schluß jetzt, Mister Carberry!“ fuhr der Seewolf dazwischen. „Ich möchte mir die Ausführungen des Kutschers gern anhören, ohne daß du ihn ständig unterbrichst. Ist das klar?“
„Aye, aye, Sir“, murmelte der Profos kleinlaut.
„Also, der Sage nach wachsen sie im Meer“, erzählte der Kutscher weiter. „Die Nüsse konnten angeblich gegen die Meeresströmung schwimmen, und wenn sie an einer Küste angeschwemmt wurden, dann wanderten sie selbst den Strand hinauf. Ihrem weißlichen Fleisch schrieb man magische Kräfte zu, die jedem Gift in Speise und Trank entgegenwirkten. Sie sollten auch Lähmungen heilen oder Gallensteine verschwinden lassen. Außerdem“, der Kutscher grinste etwas, „nahm man an, ihr Fleisch würde die Manneskraft steigern. Diese Nuß nennt man auch noch Salomons Wundernuß. Das ist so ziemlich alles, was ich darüber weiß.“
„Eine erstaunliche Menge“, gab Hasard zu. „Woher hast du dieses Wissen?“
„Doc Freemont in England hatte darüber Literatur, und weil mich das von jeher fasziniert hatte, habe ich immer ein bißchen die Nase in seine Bücher gesteckt. Es war übrigens der Graf von Vidigueira, Vasco da Gama, der die Gruppe der Amiranten schon vor fast hundert Jahren besucht hat.“
„Wirklich erstaunlich“, murmelte Hasard beeindruckt. „Vasco da Gama war das, der Mann der den Seeweg nach Indien entdeckt hat.“
„So stand es in jener Chronik, Sir.“
„Die Nüsse sind eßbar?“ erkundigte sich Hasard.
„Ja, und sie geben außerdem eine Menge her.“
„Willst du nicht eine mitnehmen, Mac?“ fragte der Profos anzüglich Mac Pellew, der mit sorgenvoll-betrübten Blicken den Ausführungen des Kutschers lauschte.
Mac drehte sich zu Carberry um. „Zu was denn?“
„Na, du hast doch gehört, was der Kutscher sagte. Die Nüsse sollen die Manneskraft steigern. Früher, bei deiner Svanhild, haben dir geräucherte Heringe geholfen, aber hier gibt’s keine. Wenn du dir so ’ne Nuß um den Hals hängst, hast du jahrelang was davon und brauchst nicht immer mit Räucherheringen in den Taschen herumzulaufen.“
„Ich bin nie mit Räucherheringen in der Tasche rumgelaufen“, empörte sich Mac. „Außerdem habe ich so was nicht nötig. Häng du dir doch so eine Nuß um den Hals.“
„Hab’ ich erst recht nicht nötig.“
Der Profos klopfte dem griesgrämigen Mac auf die Schulter, grinste ihn an und folgte dann wieder den anderen.
„Auf dem Rückweg nehmen wir ein paar der Nüsse mit“, sagte der Kutscher. „Von einer Nuß allein wird eine ganze Mannschaft satt. Außerdem lassen sich aus ihrem Fruchtfleisch ganz sicher noch andere schmackhafte Gerichte zubereiten.“
Bis zum späten Nachmittag hatten sie eine Menge Neuigkeiten entdeckt. Hasard beschloß, umzukehren. Die Insel war groß, und sie konnten sich morgen ebenfalls in aller Ruhe umsehen.
Auf dem Rückweg wurden vier der Riesennüsse mitgenommen. Sie ließen sich wegen ihrer Unförmigkeit und Größe nur schlecht tragen. Carberry sah aus, als hinge ihm eine riesige Trommel vor dem Bauch. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen dicht an dicht.
„Wenigstens gibt es hier keine Affen“, stöhnte er. „Stellt euch nur vor, die hocken auf den Palmen und bewerfen uns mit diesen Dingern.“
„Das müßten dann aber sehr große Affen sein“, meinte Batuti grinsend.
„Große Affen gibt’s jede Menge“, tönte der Kutscher.
Der Profos warf ihm einen schrägen Blick zu, als fühle er sich wieder mal angesprochen, aber er sagte nichts.
Als sie an Bord waren, gingen der Kutscher und Mac sogleich daran, eine der Riesennüsse auseinanderzunehmen und zuzubereiten. Schon mit dieser einen Nuß hatten sie eine Menge Arbeit.
Inzwischen schlichen die Zwillinge, Hasard und Philip, ziemlich auffällig um ihren Vater herum. Hin und wieder tuschelten sie leise miteinander und grinsten dann, bis es dem Seewolf auffiel.
„Ist was?“ forschte Vater Hasard. Er musterte seine beiden Söhne, die ihn erwartungsvoll angrinsten. Wahre Kraftpakete sind das, dachte er. Die Kerle hatten ganz beträchtliche Muskeln entwickelt, breite Schultern, schmale Hüften. Alle beide waren sonnenverbrannt.
Nachdenklich blickte er auf die Haifischsymbole. Jung Hasard hatte das Hai-Symbol auf der rechten Schulter eintätowiert, Jung-Philip auf der linken. Nur durch diese Symbole hatte er seine Söhne damals unterscheiden und identifizieren können. Heute konnte er sie auch so unterscheiden, obwohl sie sich wie ein Ei dem anderen ähnelten. Sie hatten die gleichen schwarzen Haare und die eisblauen Augen wie er.
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