Siri-Tong hatte sich zur selben Zeit aus dem zudringlichen Griff von Sabreras befreit, dessen Hütte fluchtartig verlassen und war zwischen die Fronten geraten. Die Öllampe, die sie in der Hütte umgerissen, und das Talglicht, das sie auf Sabreras geschleudert hatte, hatten das Feuer entfacht.
Der Seewolf hatte eigentlich das Munitionsdepot in die Luft sprengen wollen, inzwischen aber eingesehen, daß er die von den Spaniern gehorteten Waffen, das Pulver und das Blei noch gut gebrauchen konnte.
Dies war der kurze Abriß des Kampfes, der nur Minuten gedauert hatte. Inzwischen schwiegen die Beutewaffen. Ruhe war eingetreten. Carberry schaffte es tatsächlich, die Chibchas dazu zu bringen, daß sie die Feinde nicht weiter mißhandelten.
Er sah sich die am Boden liegenden Soldaten an und dann brüllte er plötzlich: „Schockschwerenot, dieser Sargento ist uns durch die Lappen gegangen! Dieser elende Galgenstrick und Lumpenhund!“
Hasard steuerte auf ihn zu. Die Männer wichen zurück und gaben eine Gasse frei, durch die er hindurch konnte.
„Der Sargento also auch“, sagte Hasard. „Da haben sich die beiden Richtigen gefunden.“
Carberry sah ihn entgeistert an. „Was denn, wie denn? Mann, Hasard, ich meine, Sir – ist etwa noch jemand ausgerissen?“
„Du merkst aber auch alles“, fuhr Ferris Tucker ziemlich bissig dazwischen. Ihm wie den anderen waren die Strapazen der letzten Stunden noch deutlich anzusehen. Und auch der Kampf hatte seine Spuren hinterlassen. Ferris hatte eine Beule auf der Stirn und eine blutige Schramme, die quer über die rechte Wange lief.
Shane, der bereits etwas ahnte, fügte noch hinzu: „Dreimal darfst du raten, wer, Ed.“
Matt Davies wollte auch etwas dazu sagen, aber der Profos schoß einen derart wilden Blick auf ihn ab, daß er es lieber sein ließ.
Carberry wandte sich wieder dem Seewolf zu. „Sabreras, nicht wahr? Dieses Rübenschwein. Kaufen wir uns den Hund. Auf was warten wir noch?“ Er fuhr zu den Kameraden herum. „Ihr Stinkstiefel und Kakerlaken, sucht den Dschungel ab!“
„In welcher Richtung denn?“ fragte Smoky.
„Zum Hohlweg!“ brüllte Carberry. „Das ist doch der einzige Ausgang aus diesem Dreckskessel!“
Hidduk, der Häuptling der Santa-Barbara-Indianer, nickte sofort dazu. Carberry sprach nämlich immer noch spanisch, und das verstand der rothäutige Mann.
Blacky holte tief Luft, dann entgegnete er: „Hör zu, Ed, es ist doch klar wie Suppe, daß wir Sabreras und den Sargento dort nicht mehr abfangen können, zumal wir jetzt erst bemerkt haben, daß sie abgehauen sind. Irre ich mich, Hasard?“
„Nein. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.“
„Tja.“ Carberry kratzte sich verdrossen an seinem mächtigen Rammkinn. „Trotzdem. Ich melde mich freiwillig, schon mal vorzulaufen und den Hohlweg abzuriegeln. Möglicherweise versuchen die beiden Schweinehunde ja auch, uns dort wieder eine Falle zu stellen.“
„Gut, einverstanden“, erwiderte Hasard. „Dan O’Flynn, Jeff Bowie und Al Conroy, ihr begleitet den Profos. Nehmt so viele Waffen und Munition mit, wie ihr tragen könnt, verstanden?“
„Aye, Sir!“ rief Carberry.
Hasard wandte sich an Hidduk, seinen auf den Galápagos-Inseln neu gewonnenen Verbündeten und Führer. „Wenn Sabreras und der Sargento den natürlichen Hafen der Smaragdschiffe erreichen – wohin wenden sie sich dann deiner Meinung nach?“
„Nach Panama.“
„Ganz bestimmt? Nicht nach Süden?“
Der Häuptling schüttelte bedächtig den Kopf. Mit der Hand wies er in nördliche Richtung. „Hidduk ist sicher. Sabreras sagte einmal, wenn Gefahr drohe, wenn ihn hier jemand angreife, dann Durchbruch nach Panama. Dort gibt es Hilfe, Verstärkung. Sabreras wird mit vielen Schiffen erscheinen und Krieg gegen uns führen.“
Hasard warf einen Blick auf seine Männer. „Allein aus diesem Grund dürfen wir den Kerl nie und nimmer ungeschoren abziehen lassen. Außerdem hat er bestimmt eine Ladung Smaragde an Bord – und die große Krone der Chibchas. Los, Männer, löschen wir das Feuer, damit es nicht doch noch auf das Depot übergreift. Dann nehmen wir Waffen, Munition und so viele Smaragde mit, wie wir tragen können, und kehren zur ‚Isabella‘ und dem schwarzen Segler zurück.“
Die Männer liefen auseinander und führten die Befehle des Seewolfs aus. Carberry, Dan, Jeff und Al waren längst im Urwald untergetaucht. Hasard schritt langsam auf die Minenstollen zu und betrachtete die Leiber der Widersacher, die wie hingesät auf dem Untergrund verstreut lagen. Er zählte mehr als ein Dutzend Tote, drei Schwerverletzte und sechs, sieben Leichtverwundete. Er vergewisserte sich selbst, daß sie ihnen nicht mehr gefährlich werden konnten, dann drehte er sich zu Siri-Tong um.
„Wir können die Verwundeten nicht so einfach ihrem Schicksal überlassen“, sagte er. „Ich habe den Kutscher leider nicht dabei, aber ich lasse sie so gut wie irgend möglich verarzten.“
„Deine unverbesserliche Menschlichkeit“, murmelte sie.
„Hast du einen besseren Vorschlag?“
„Nein. Natürlich hast du recht“, erwiderte sie. „Wir dürfen nicht die Scharfrichter spielen. Daß Soldaten letztlich nur den Befehlen ihrer Vorgesetzten gehorchen, ist mir auch klar. Aber bedenke eins. Was wir nicht tun, führen die Chibcha-Indianer aus, sobald wir fort sind.“
„Wir werden darüber noch mit ihnen sprechen. Wie sieht es bei deiner Crew aus?“
„Keine ernsten Verletzungen. Nur Kratzer.“
„Bei meinen Männern zum Glück auch.“ Hasard streckte den Arm aus und hielt Ferris Tucker fest, der gerade an ihm vorbeilaufen wollte. „Kümmert euch um die verletzten Spanier“, ordnete er an. „Ich spreche inzwischen mit den Indianern.“
Er winkte Hidduk, Atasc und den anderen beiden Serranos zu, und sie begaben sich gemeinsam zu den Chibchas. Die hatten sich inzwischen vor einer der Hütten zusammengeschart und berieten offenbar miteinander.
Sie waren ein Grüppchen jammervoller Gestalten, Männer, Frauen, Kinder, die einem auf den ersten Blick nur Mitleid abverlangen konnten. Und doch wußte der Seewolf, daß er sie auf andere Art nehmen mußte. Sie wollten eher Achtung als Erbarmen und beriefen sich auf ihre Würde.
Zwei von ihnen, Halbwüchsige, hatte Hasard vor der Knute der Aufseher geschützt. Das hatten ihm die Chibchas nicht vergessen. Seine Tat war das auslösende Motiv für ihr Eingreifen während des Kampfes gewesen. In ihren Augen lag ein Ausdruck, der Hoffnung und neuen Lebenswillen verriet.
Als Hasard verharrte, trat einer von ihnen dicht vor ihn hin. Er war bis auf die Knochen abgemagert, seine ledrige Gesichtshaut war voller Falten und erfüllte die Höhlungen mit schlaffen Runzeln. Schlohweißes Haar hing in Strähnen bis auf seine Schultern.
Er sagte etwas in seiner Sprache.
„Verstehst du das?“ wandte sich der Seewolf an Hidduk.
„Nur einige Worte. Er spricht von Dankbarkeit der Chibchas.“
Hasard hob beide Hände, als der alte, weißhaarige Indianer geendet hatte. „Laßt uns spanisch miteinander reden. Ich weiß, daß ihr die Sprache eurer Feinde wie die Pest haßt, aber es ist die einzige Möglichkeit, uns zu verständigen. Ich habe mich übrigens bei euch zu bedanken, denn ohne euch hätten wir leicht scheitern können. So aber haben wir uns gemeinsam die Freiheit erkämpft.“
Der Weißhaarige sah ihm in die Augen. Ihre Blicke schienen sich ineinander zu verfangen.
„Lobo del Mar“, sagte der Alte mit hartem Akzent. „Payán, der Häuptling des Chibcha-Volkes, will sich dir anschließen. Er ist dein gehorsamer Diener.“
„Schlag dir das aus dem Kopf“, erwiderte Hasard. „Ihr seid frei und nur euch selbst verantwortlich.“
„Die Götter haben dich geschickt, Lobo del Mar.“
„Nein, das glaubst du nur.“
Читать дальше