Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-421-0
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Spanische Kommandos hallten über die Bucht.
Dazwischen ertönte eine kreischende, krächzende Stimme: „Ihr Rübenschweine! Ihr Affenärsche! Der Teufel soll euch lotweise holen!“
Die Spanier auf der „Maria Mercedes“ verstanden das Gekrächze nicht. Und Philip Hasard Killigrew, den sie den Seewolf nannten, konnte im Augenblick nicht einmal den Papagei Sir John komisch finden. Es gab überhaupt nichts, was Hasard in diesen Sekunden komisch gefunden hätte. Hilflos stand er am Strand der geheimnisvollen „Insel der Steinernen Riesen“ und mußte in ohnmächtiger Wut mit ansehen, wie am Ausgang der Bucht das letzte Boot an Bord der „Maria Mercedes“ gehievt wurde.
Ein Boot, in dem fünf bewußtlose Männer lagen.
Männer des Seewolfs!
Den kleinen Schiffsjungen Bill hatte es erwischt, Dan O’Flynn, Ben Brighton, Matt Davies und Ed Carberry, den Profos. Vergeblich hatten die Seewölfe versucht, die schöne polynesische Häuptlingstochter Luana zu retten. Vor ihren Augen hatten die Spanier das Mädchen entführt und auch noch die Männer verschleppt, die versucht hatten, eins der Boote zu erobern, um die Entführer noch einzuholen. Nur Batuti, der riesenhafte Schwarze aus Gambia, war bewußtlos am Strand liegengeblieben. Jetzt stand er breitbeinig da, fletschte sein schneeweißes Raubtiergebiß und schüttelte die Fäuste.
„Verfluchtes spanisches Hunde!“ schrie er in seinem holprigen Englisch. „Batuti fressen alle Dons auf, wenn Bill oder kleines O’Flynn ein Haar krümmen! Batuti machen Dons Kopf kürzer, machen Hackfleisch aus Dons, spanisches Picadillo! Hört ihr’s, verfluchte Hunde? Picadillo! Picadillo!“
Seine Stimme trug weit über das Wasser, dazu rollte er furchterregend mit den Augen. Die Spanier konnte das nicht erschüttern. Sie waren zu weit entfernt, um den hünenhaften Neger genauer zu sehen. Sie wußten nur zu gut, daß die Seewölfe kein Boot zur Verfügung hatten und die Insel überqueren mußten, um zu ihrer „Isabella“ zu gelangen.
Carlos Ingarra, der spanische Meuterer, stand hoch aufgerichtet an der Schmuckbalustrade des Achterkastells.
Vor kurzem noch war er nichts weiter als ein ziemlich schlechter Steuermann gewesen. Dann hatten er und sein jüngerer Bruder Diego die Mannschaft der „Maria Mercedes“ aufgehetzt, das Kommando an sich gerissen, den Kapitän und zwei Offiziere ausgesetzt und sich schließlich auf Sala-y-Gomez eingenistet, dem einzigen Stückchen Land in der Umgebung der „Insel der Steinernen Riesen“.
Die Eingeborenen von Sala-y-Gomez waren bis auf wenige Ausnahmen niedergemetzelt worden. Immer wieder überfielen die Spanier die Nachbarinsel, massakrierten Männer, verschleppten Frauen und Mädchen und suchten vergeblich nach dem geheimnisvollen Schatz, der dort versteckt sein sollte.
Dieses Gold vor allem hatte Carlos Ingarra gelockt. Bis heute! Aber jetzt war sein Bruder Diego erstochen worden – von dem Mädchen Luana, das er zu vergewaltigen versucht hatte. Luana war mit einem Auslegerboot von der Insel der Meuterer geflohen und von der „Isabella“ aufgenommen worden, nachdem Hasard sie vor einem Menschenhai gerettet hatte. Und Carlos Ingarra, der selbsternannte Capitan, kannte keinen anderen Gedanken mehr als seine Rache.
Um Luana wieder in seine Gewalt zu bringen, war Ingarra mit seinen Leuten auf der „Insel der Steinernen Riesen“ erschienen und über das Dorf der Polynesier hergefallen. Und jetzt hatte er nicht nur Luana, sondern auch noch fünf von den verhaßten Engländern, die ihm beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht hätten.
Carlos Ingarras schmales, knochiges Raubvogelgesicht war eine Maske des Triumphs, als er über das Wasser der Bucht zum Strand starrte.
„An die Brassen und Fallen!“ peitschte seine Stimme. „Hol auf Anker! Hißt Fock und Besan!“
Hasard verstand die Kommandos, da er fließend Spanisch sprach.
Und vor allem sah er die Wirkung. Die Spanier eilten an ihre Plätze an Brassen und Fallen. Knatternd entfaltete sich das Segeltuch. Die „Maria Mercedes“ ging ankerauf, auch die restlichen Segel wurden gesetzt, und unter Vollzeug rauschte die Galeone aus der Bucht aufs offene Meer hinaus.
Philip Hasard Killigrew knirschte mit den Zähnen.
Langsam wandte er sich um und sah in die verzerrten Gesichter seiner Männer. Vorhin, als sie hier mit den Spaniern kämpften, hatte der Stückmeister der „Maria Mercedes“ ein paar Drehbassenkugeln in die steilen, brüchigen Klippen gesetzt, so daß ein mörderischer Steinschlag über die Seewölfe niederging und sie für entscheidende Sekunden außer Gefecht setzte.
Fast alle hatten sie etwas abbekommen. Sam Roskill blutete an der Schulter, wo ihn ein Felsen gestreift hatte. Ferris Tucker, Stenmark und Gary Andrews betasteten prüfend ihre Knochen. Smoky rieb sich den Kopf – und Hasard dachte mit Schrecken an das letztemal, als der Decksälteste der „Isabella“ eins auf den Schädel gekriegt und zeitweise das Gedächtnis verloren hatte.
„Smoky!“ sagte er alarmiert. „Weißt du, wo du hier bist und was eben passiert ist?“
Der braunhaarige, bullige Mann warf ihm einen wilden Blick zu.
„Aye, aye, Sir!“ knurrte er. „Glaubst du vielleicht, meine Rübe sei aus Glas, Sir? Bloß, weil ich damals diesen verdammten tempo – tempo …“
„Temporärer Gedächtnisschwund heißt das“, meldete sich der Kutscher mit matter Stimme.
Hasard wandte sich um. Der Kutscher stand neben Big Old Shane. Er fühlte sich offenbar etwas taumelig. Und er stützte sich auf ein Ding, das ihm bekannt erschien.
„Himmel, Arsch und Kabelgarn!“ entfuhr es dem Seewolf. „Kannst du mir verraten, was, in drei Teufels Namen, du da mit dir herumschleppst?“
Der Kutscher schluckte.
Er starrte auf das Holzding mit den Lederriemen, auf den Seewolf und wieder auf das Ding, als werde ihm jetzt erst ganz klar, welche Art von Waffe er da benutzt hatte.
„Das?“ murmelte er. „Hm, ja, das ist Old O’Flynns Holzbein. Er hatte es abgeschnallt, um es den Eingeborenen vorzuführen. Es lag gerade so griffbereit herum, als die Spanier angriffen. Ich – ich hab mir einfach das nächstbeste Ding gepackt, mit denen ich den Dons eins verplätten konnte.“
„Ach, du liebe Zeit“, sagte Hasard ergriffen und dachte an den Tanz, den der alte O’Flynn aufgeführt hatte, weil er sich ohne Holzbein nicht an der Verfolgungsjagd hatte beteiligen können.
„Jedenfalls hat er den Spaniern das Ding ganz schön um die Ohren gehauen“, meldete sich Shane, der ehemalige Waffenschmied von Arwenack. „Old O’Flynn hätte es nicht besser gekonnt. Ich weiß, was ich sage.“
Das wußte er wirklich. Die O’Flynns aus Falmouth und die Killigrews von Arwenack waren seit Menschengedenken zusammen zur See gefahren. Zuerst Old O’Flynn unter dem Mann, den Hasard für seinen Vater gehalten hatte: Sir John Killigrew, Generalkapitän von Cornwall.
Wes Geistes Kind dieser Sir John war, ließ sich leicht an der Tatsache ablesen, daß man einen krächzenden, streitsüchtigen, stets krakeelenden Papagei nach ihm benannt hatte. Dan O’Flynn war von Anfang an bei Hasard gewesen, hatte schon an jener legendären Schlacht vor der „Bloody Mary“ in Plymouth teilgenommen, in deren Verlauf der Kriegsname „Seewolf“ für den großen schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen geprägt worden war.
Und jetzt fuhr auch Dans Vater unter dem Seewolf. Genau wie Big Old Shane, der Schmied und Waffenmeister von Arwenack, der ganze Sippen von wilden, salzwassergetränkten Killigrews und ebenso wilden O’Flynns hatte aufwachsen sehen.
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