Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-528-6
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Palmen bogen sich im Wind.
Eine dicke braune Kokosnuß löste sich aus den Federwipfeln, verfehlte den Kopf des Mannes um Fingerbreite und klatschte unmittelbar hinter ihm auf den Boden.
Smoky, der Decksälteste der „Isabella“, fuhr herum wie von einer Natter gebissen.
„Rumms!“ sagte der kleine Hasard.
„Krach!“ fügte sein Bruder hinzu.
Die achtjährigen Zwillinge, Söhne Philip Hasard Killigrews, den Freund und Feind respektvoll Seewolf nannten, fanden den Zwischenfall sehr komisch. Smoky nicht. Er fluchte das Blaue vom Himmel. Batuti, der hünenhafte Gambia-Neger, schüttelte sein Haupt.
„Immer Vorsicht mit Kopf unter Kokospalme“, sagte er trocken. „Weiter!“
Smoky grummelte erbittert.
Ein Blick zurück zeigte ihm, daß die „Isabella“ in der Bucht auf der Südseite der winzigen Insel friedlich um die Ankertrosse schwoite. Sie hatten die Insel angelaufen, um Frischwasser zu übernehmen. In den Fässern an Bord schwappte zur Zeit eine trübe, mit grünlichen Fäden durchzogene Brühe. Der Kutscher, Koch und Feldscher auf der „Isabella“, kümmerte sich darum, daß die Fässer gereinigt wurden. Die Hälfte der Crew schwärmte unterdessen über die Insel, um die Quelle zu finden, ohne die eine so üppige Vegetation nicht denkbar war.
Der Decksälteste warf Batuti und den Zwillingen einen vernichtenden Blick zu und schlug sich seitwärts in die Büsche.
Er hatte keine Lust, sich das Gestichel anzuhören. Diese Kanalratten, dachte er bei sich, hatten sowieso nichts anderes im Sinn, als ihn mit seinem besonderen Talent aufzuziehen, harte Gegenstände an den Kopf zu kriegen. Grimmig stapfte Smoky durch das niedrige Gestrüpp, orientierte sich an der Steigung des Geländes und steuerte auf eine Stelle zu, wo rote Felsen eine schmale, ansteigende Schlucht flankierten.
Zwischen den Steinen schien die Luft zu kochen. Schweiß lief über Smokys Gesicht, das braune Haar klebte ihm in Strähnen an der Stirn. Fluchend schwang er sich über einen armdicken Schlingpflanzen-Strang, blieb stehen und lauschte.
Er hörte das Brausen der Brandung: ein vertrautes Geräusch, das er kaum bewußt wahrnahm.
Vögel kreischten, im Unterholz knackte und raschelte es. Und noch etwas hörte er: das leise, unruhige Murmeln und Rieseln von Wasser.
Die Quelle!
Smoky grinste triumphierend und stieg weiter aufwärts. Wildes Gras wucherte zu seinen Füßen. Blitzende silbrige Lichtreflexe verrieten ihm den Verlauf des Rinnsals, und wenig später entdeckte er die Stelle, wo das Wasser aus einem Loch unter einer vorspringenden Steinplatte sprudelte.
Smoky bückte sich, um etwas von dem kühlen Naß mit der hohlen Hand zu schöpfen.
Gleichzeitig hörte er das Geräusch hinter sich in den Büschen. Im ersten Moment glaubte er, Batuti oder die Zwillinge seien ihm gefolgt. Aber die hätten ihn angerufen. Smoky runzelte die Stirn und wollte sich hastig umdrehen, doch da hatte er die entscheidende Sekunde bereits verpaßt.
Zweige knackten, als jemand mit einem langen Sprung aus den Büschen brach.
Etwas rammte sich in Smokys Kreuz. Etwas Hartes, Rundes, das seiner Meinung nach fatale Ähnlichkeit mit einer Pistolenmündung hatte. Eine Stimme zischte in sein Ohr. Er verstand die Worte nicht. Aber er war ziemlich sicher, daß es sich um die Aufforderung handelte, die Hände zu heben und die Ruhe zu bewahren – andernfalls er gleich ein großes Loch in seiner kostbaren Haut haben würde.
„Scheiße“, sagte Smoky.
„Du Engländer?“ tönte es nach einer kurzen Pause erstaunt zurück.
„Nee, Chinese! Und du bist Hackfleisch, du weißt es nur noch nicht.“
Das Kichern des Fremden klang etwas hysterisch.
„Umdrehen!“ fauchte er. „Aber schön langsam, sonst bist du Chinese gewesen.“
Bei den letzten Worten trat der Bursche einen Schritt zurück, und Smoky drehte sich gelassen um.
Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er den Mann, der ihn mit einem Monstrum von Steinschloß-Pistole bedrohte.
Ein Weißer, stellte er fest. Portugiese vermutlich – Spanisch hätte Smoky verstanden. Der Kerl war mager und drahtig, nicht besonders groß, hatte eine braungebrannte Lederhaut, struppiges schwarzes Haar, ebenso struppige Bartstoppeln und Augen, in denen die Wachsamkeit eines hungrigen Einsiedler-Wolfs lag.
Jetzt betrachteten diese Augen den bulligen Decksältesten – etwa mit jenem Respekt, den jeder salzgewässerte Seelord einem knüppelharten Sturm entgegenbringt.
„Was willst du Stint?“ knurrte Smoky tief in der Kehle. „Dir werde ich …“
„Die Fragen stelle ich“, erklärte der Kerl. „Du wirst mir jetzt haarklein erzählen, wer ihr seid und was ihr hier sucht. Und wenn du nicht spurst, wirst du Hilo Palmeiros Lochstickerei kennenlernen!“
Dumpf rollte Kanonendonner über das Wasser.
Acht schwere Siebzehnpfünder-Culverinen spuckten Tod und Verderben. Pulverdampf wölkte über das Geschützdeck der „Dona Felipa“, lange Flammenzungen leckten aus den Stückpforten. An der Schmuckbalustrade des Achterkastells stand hoch aufgerichtet der portugiesische Kapitän mit dem schönen Namen Gilberto Henrique Rosario da Carrilho und sah zu, wie die Kanoniere wieder und wieder die glimmenden Lunten in die Zündpfanne drückten, um neue stählerne Grüße zur querab liegenden Küste hinüberzuschicken.
Jaulend und orgelnd rasten die schweren siebzehnpfündigen Kugeln durch die Luft, zerfetzten Palmenschößlinge und Buschwerk und ließen die leichtgebauten Eingeborenen-Hütten wie Kartenhäuser zusammenstürzen. Menschen schrien und flohen in panischem Entsetzen vor dem Verhängnis. Trümmer wirbelten durch die Luft, trafen Köpfe und Leiber und überschütteten die wenigen braunhäutigen Männer, die in ohnmächtiger Wut ihre Speere gegen das unerreichbare Schiff schleuderten, mit einem Splitterregen. In dem Papua-Dorf am Rande der Bucht herrschte das Chaos.
Immer noch donnerten die Geschütze, als wollten sie den Ort buchstäblich vom Erdboden tilgen.
„Halt!“ brüllte der Capitan in seiner Heimatsprache. „Wenn wir alles in Fetzen schießen, gibt es keine Beute mehr. Klar bei Bugdrehbasse! Heißt Fock und Besan! Herum mit dem Schiff!“
Nackte Fußsohlen klatschten auf den Decksplanken.
Knatternd entfaltete sich das Segeltuch, die „Dona Felipa“ fiel ab und lief vor dem Wind mit langsamer Fahrt in die Bucht. Jetzt war es die Bugdrehbasse, die sich brüllend entlud. Ihre Ladung aus gehacktem Blei prasselte zwischen die Eingeborenen, fegte den Strand leer, und auch die letzten Männer, die noch zur Verteidigung ihres Dorfs entschlossen gewesen waren, mußten einsehen, daß ihr einziges Heil in der Flucht lag.
„Backbrassen!“ peitschte da Carrilhos Stimme. „Fallen Anker!“
Die Galeone verlor an Fahrt. Die Fock wurde eingeholt, ein Mann warf das Besanfall los, während der schwere Stockanker ins Wasser klatschte. Minuten später lag die „Dona Felipa“ sicher in der Bucht. An Land wurde das Angst- und Wutgeheul der Papuas mit der Entfernung immer leiser.
„Beiboote klarmachen!“ brüllte der Capitan. „Stürmt die Festung, Männer! Sie ist unser!“
Die „Festung“ bestand aus einem Trümmerhaufen, und zu stürmen gab es nichts mehr.
Capitan Gilberto Henrique Rosario da Carrilho war dermaleinst ein ehrlicher portugiesischer Seefahrer gewesen, ein kühner Entdecker und vorbildlicher Sohn seines Vaterlandes. In seinem Fall hatten die kühnen Entdeckungsfahrten allerdings fatale Folgen gezeitigt: je weiter sie ihn von der Zivilisation entfernten, desto klarer wurde ihm, daß es viel ungefährlicher und bequemer war, wehrlose Opfer auszuplündern, statt Festungen zu stürmen. Tropenhitze, Kokosnuß-Schnaps und lasches Leben hatten seine Mannschaft in einen verlotterten Haufen verwandelt. Und ihn selbst in einen verlotterten Kapitän, der sich nur noch zu Taten aufraffte, wenn leichte Beute winkte.
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