Und die Seewölfe stimmten in das Kampfgebrüll mit ein. Es flogen die Fetzen. Stühle und Tische gingen zu Bruch. Immer neue Scherbenregen entstanden, wenn Krüge und Becher zersplitterten. Nathaniel Plymson wagte nicht mehr, hinter seinem schönen neuen Tresen hervorzutauchen.
Plötzlich erschauerten die Männer der „Revenge“, die sich vor wenigen Minuten noch so überlegen gefühlt hatten. Denn ein Ruf hallte von den Wänden wider, ein Ruf, in dem sich die Männerstimmen in unbändiger Wildheit zu einem wahren Donnergrollen vereinten.
„Ar-we-nack! Ar-we-nack! Ar-we-nack!“
Die Betonung lag auf der ersten Silbe, die beiden letzten klangen abgehackt. Das ergab jenen dröhnenden Rhythmus, der auf schauerliche Weise an eine heranmarschierende Streitmacht erinnerte. Unaufhaltsam, Schritt für Schritt.
Es war der alte Kampfruf derer von der Feste Arwenack, hoch über Falmouth an der Küste von Cornwall gelegen. Philip Hasard Killigrew und seine Männer hatten diesen Schlachtruf übernommen und über die sieben Meere getragen. Und immer dort, wo sie ihr „Ar-we-nack“ dem Gegner entgegengeschleudert hatten, da hatten sie Angst und Schrecken verbreitet.
Die Männer der „Revenge“ gerieten aus der Fassung. Diese Wildheit, die ihnen entgegenbrandete, war zuviel. Mit nichts dergleichen hatten sie gerechnet. Und diejenigen von ihnen, die unter schmetternden Fausthieben zusammenbrachen, trugen allein durch ihren jämmerlichen Anblick dazu bei, die anderen zu demoralisieren. Dan O’Flynn, Sam Roskill und Jeff Bowie stürmten zurück in die Schenke. Draußen gab es nichts mehr zu tun. Sechs „Revenge“-Männer lagen langgestreckt auf dem Straßenpflaster, erlöst im Traumland, in dem es keine Schmerzen gab.
Und mit der Rückkehr der Drei wallte der Schlachtruf „Ar-we-nack“ von neuem auf.
Von wirbelnden Fäusten, splitternden Stühlen und zischenden Tonkrug-Geschossen umgeben, stapfte Edwin Carberry durch das Gewühl wie ein Fels in der Brandung. Parsons hatte noch immer nicht genug. Er rappelte sich von neuem in dem Durcheinander auf und ging abermals auf den Profos los.
Carberry knurrte unwillig. Jetzt reichte es. Mit einem kurzen Blick in die Runde stellte er fest, daß die Horde der Drake-Mannen bereits auf weniger als die Hälfte zusammengeschmolzen war. Und immer noch wirbelten die Fäuste der Seewölfe, die über Tische und Stühle turnten, als sei dies die leichteste und selbstverständlichste Art der Fortbewegung.
Carberry ließ den Angriff Parsons an seinen Unterarmen abprallen. Dann blies er dem ersten Offizier des sehr ehrenwerten Admirals den Marsch, daß Sir Francis Drake das Heulen gekriegt hätte, wenn er Zeuge geworden wäre.
Robert Parsons erzitterte unter einem Trommelfeuer von Hieben, die den letzten Funken Mut aus ihm herausdroschen. Es sah kläglich aus, als er trotzdem versuchte, die Fäuste noch einmal gegen den bulligen Profos zu erheben. Carberry gab ihm mit einem letzten gnadenlosen Haken den Rest.
Parsons segelte durch die Tischreihen und landete in einem Haufen von Armen und Beinen, die zum bereits kampfunfähigen Teil seiner Meute gehörten. Und Parsons rührte sich nicht mehr. Die übrigen „Revenge“-Männer, die noch kämpften bemerkten es mit wachsender Verwirrung. Es war wie immer: Wo der Anführer die Segel strich, war auch mit dem Rest der Mannschaft nicht mehr viel anzufangen.
Carberry und die anderen droschen weiter auf den zusammengeschmolzenen Haufen ein. Bewußtlose, zersplitterte Stuhl- und Tischbeine bildeten ein wirres Durcheinander. Die Öllampen schaukelten bedrohlich unter den Dekkenbalken.
Ferris Tucker sah sich plötzlich allein auf weiter Flur. Desgleichen Karl von Hutten und Jan Ranse. Ihre Fäuste hatten pausenlos reiche Ernte gefunden, doch auf einmal war ihre Umgebung wie leergefegt. Und die übrigen Seewölfe sahen sich unvermittelt in der gleichen Lage. Die letzten von der „Revenge“ sanken seufzend zu Boden.
Aus.
Die plötzliche Stille war unheimlich. Jedenfalls für Nathaniel Plymson, der nur zögernd hinter seiner Theke hervorzukriechen wagte. Dann, als er die Bescherung sah, schloß er verzweifelt die Augen. Es war haargenau das Bild, das er schon vor Beginn der wilden Schlacht gesehen hatte. Und es war ein höllisch vertrautes Bild, das er schon viel zu oft erlebt hatte.
Edwin Carberry blickte abermals in die Runde. Seine Gefährten sahen zwar einigermaßen zerrupft aus. Aber zerrissene Kleidungsstücke und ein paar Schrammen waren bedeutungslos angesichts des Sieges, den sie errungen hatten. Wieder einmal.
Die Männer der „Revenge“ mußten bald an sich selbst verzweifeln. Immer wieder kriegten sie von den Seewölfen einen mehr als sprichwörtlichen Tritt in den Hintern verpaßt, und jedesmal wurde die Niederlage noch bitterer für sie. Immerhin hatte es bei den Vorfällen auf See bislang keine Zeugen gegeben. Aber hier, in Plymouth, hatten die Crews der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ ihnen in aller Öffentlichkeit die Jacke vollgehauen.
„Na bitte“, sagte der Profos der „Isabella“ mit zufriedenem Nicken und wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab. „Dann wollen wir mal, Männer! Fangt an mit dem Aufräumen! Unser alter Freund Plymson soll die ganze Arbeit nicht allein tun. Ich denke, unsere lieben Kameraden von der ‚Revenge‘ brauchen ein bißchen Abkühlung, damit sie schneller wieder aufwachen und auf vernünftigere Gedanken kommen!“
Beifälliges Johlen war die Antwort. Carberry brauchte den Männern nicht zweimal zu erklären, was er meinte. Die Mill Bay lag quasi vor der Haustür.
Nathaniel Plymsons Augen waren vor Entsetzen geweitet, als er sah, wie sie die Bewußtlosen hinausschleiften. Das Klatschen, das anschließend in sehr kurzen Abständen zu hören war, ließ keine Zweifel offen. Diese Himmelhunde verhalfen der Crew des sehr ehrenwerten Admirals Drake doch tatsächlich zu einem kühlen Bad in der Mill Bay!
Plymson fröstelte. Der Abend hatte erst begonnen. Was mochte die Nacht noch bringen?
Bestimmt nichts Gutes. Denn die Seewölfe dachten nicht daran, schon in ihre Kojen zurückzukehren. Trotz des zertrümmerten Mobiliars war ihnen die „Bloody Mary“ noch gemütlich genug, um einen ordentlichen Schluck auf den Sieg zu trinken.
Der große Rathaussaal der Stadt Plymouth war erfüllt von feinen, dezenten Geräuschen.
Zwei Lautenspieler, auf einem Podium an der Stirnseite des Saales, zupften englische Tänze und Lieder. Sanfte Melodiefolgen und Akkorde bildeten den erhabenen Hintergrund für das Ereignis, das Lord Mayor Abbot Cummings und die Mitglieder des Town Council wirkungsvoll in Szene gesetzt hatten.
Vier mächtige Kronleuchter, mit insgesamt mehr als zweihundert Kerzen, tauchten den etwa fünfzig Quadratyards großen Raum in einen festlichen Glanz. Einzelne Kerzen erhellten auch die Tafel, die bereits fertig gedeckt war. Silbernes Geschirr funkelte im Schein des Kerzenlichts. Die dunkelroten samtenen Fenstervorhänge waren zugezogen und verstärkten dadurch die behagliche Atmosphäre.
Noch hatten sich die Gäste des Banketts nicht an der Tafel niedergelassen. Vor Beginn des Festessens hatte der Bürgermeister einen trokkenen spanischen Rotwein der Provenienz Rioja kredenzen lassen. Vor dem prasselnden Kaminfeuer am anderen Ende des Saales – dem Podest der Lautenspieler gegenüber – klirrten leise die kristallenen Gläser, wenn die Honoratioren, die Ladys und ihre Gäste sich zuprosteten.
Hasard und Jean Ribault hatten ihre nobelsten Kleidungsstücke angelegt. Beide trugen unter dem eleganten Wams weiße Seidenhemden, die aus dem Fernen Osten stammten. Ihre weichen, glänzenden Stulpenstiefel bildeten einen wirkungsvollen Kontrast zu den enganliegenden schwarzen Beinkleidern.
Lord Mayor Abbot Cummings und seine Ratsherren waren vorerst abgeschrieben. Die Ladys und ihre unverheirateten Töchter umlagerten die beiden Kapitäne und hatten sie mit Beschlag belegt. Hasard und Jean Ribault konnten sich der vielen Fragen kaum erwehren, und gleichzeitig spürten sie immer eindringlicher die schwärmerischen, bewundernden Blicke – vor allem von den Töchtern der Honoratioren.
Читать дальше