„Ja. Die Festung wird den Hafen bewachen, in dem eines Tages die Kriegsgaleonen und Kriegskaravellen liegen sollen, die die gesamte Straße von Mentawai kontrollieren. Spanien will es nicht zulassen, daß hier andere Länder Kolonien errichten.“
„Aha“, sagte der Profos.
„Die Sträflinge sind Engländer, Holländer und Franzosen, aber auch spanische und portugiesische Meuterer, die hier ihre Strafe abbüßen“, fuhr Young fort. „Es sind insgesamt etwa siebzig Mann, aber vor zwei Monaten waren es noch mehr. Nicht, daß einige etwa fliehen konnten, nein, Airdikit galt bisher als ausbruchssicher. Aber ich habe einige Männer unter der mörderischen Hitze und der erbärmlichen Schufterei sterben sehen, und das war kein schöner Anblick, das kann ich euch schwören.“
„Ganz bestimmt nicht“, sagte der Seewolf. „Wir waren selbst schon Gefangene der Spanier und haben Ähnliches erlebt, können dir also nachfühlen, was du durchgestanden hast. Die Bedingungen sind unmenschlich, und sehr lange hält keiner durch.“
„Romero hat es anderthalb Jahre über sich ergehen lassen, der arme Teufel“, sagte Young mit erbitterter Miene. „Jetzt ist er tot.“ Er berichtete, was sich in der vergangenen Nacht zugetragen hatte und ließ keine Einzelheit aus.
Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker und Old O’Flynn gesellten sich während seiner Schilderung zu ihm und den drei anderen Männern in die Achterdeckskammer, aber Hasard gab ihnen ein Zeichen, und keiner von ihnen sprach ein Wort, ehe Morgan Young nicht geendet hatte.
Als der Mann aus Southampton damit schloß, wie er sich im Morgengrauen vor den Spaniern ins Wasser gerettet hatte und auf die „Isabella“ zugeschwommen war, war es Hasard, der das nun eintretende Schweigen als erster wieder brach.
„Ihr habt eine gehörige Portion Mut aufgebracht, Morgan“, sagte er. „Ich kann dir dafür nur meine Hochachtung aussprechen. Leid tut es mir für den jungen Spanier, der die schier unglaubliche Leistung vollbracht hat, deine Beinketten aufzutreiben. Aber es ist, wie du es schon ausgedrückt hast: Sein Tod hat doch einen Sinn gehabt.“
Young schaute auf. „Wie meinst du das, Sir?“
„Ganz einfach: Wir werden euer Werk zu Ende führen und auch die anderen Gefangenen befreien – die, die es wirklich wert sind. Deine Kameraden, Sumatra-Jonny und dessen ‚glorreiche Zehn‘, wie du sie nennst, und alle anderen, die zu Unrecht in dem Lager und im Kerker der Festung festsitzen.“
„Sir – ist das dein Ernst?“
„Darauf kannst du dich verlassen. Oder glaubst du, daß ein Killigrew ein Versprechen gibt und es dann nicht hält?“
„Natürlich nicht“, erwiderte Young. „Mein Gott, wenn die armen Teufel es doch bloß schon wüßten, daß es auch für sie bald die Erlösung gibt.“
„Halt“, sagte Old O’Flynn. „Was immer wir auch unternehmen, wir können nicht dafür garantieren, daß es auch wirklich gelingt. Die Dons werden sich mit allen Waffen verteidigen, die ihnen zur Verfügung stehen, und notfalls auch mit Händen und Füßen.“
„Und mit den Zähnen“, meinte der Profos grinsend.
„Ja, grinse du nur“, sagte der Alte giftig. „Ich hab’s ja von Anfang an prophezeit – wir stoßen hier noch mit den Dons zusammen!“
„Aber anders, als du es in den Sternen gelesen hast, Donegal“, brummte Ferris Tucker.
„Eins möchte ich zu gern wissen“, sagte der Profos. „Wie in aller Welt ist Sumatra-Jonny hierhergeraten, da er doch eigentlich nach unserem Abenteuer auf der Insel Tabu mit der ‚San Rosario‘ nach Neuseeland zurücksegeln sollte, um dort die beiden Maori-Mädchen abzuliefern?“
„Das ist mir auch ein Rätsel“, meinte der Seewolf. „Aber es lohnt sich nicht, jetzt darüber herumzugrübeln. Morgan, hat Jonny dir verraten, was ihn nach Sumatra geführt hat?“
„Haben die Spanier ihn denn samt der ‚San Rosario‘ hochgenommen?“ wollte Shane wissen.
„Mir ist folgendes bekannt“, erklärte Young. „Jonny kam mit der Galeone aus südlicher Richtung, und er berichtete mir auch, daß ihr das Schiff den Spaniern abgejagt und dann ihm überlassen hättet. Wo dies alles aber geschehen war, darüber wollte er sich so genau nicht auslassen. Es ist wohl sein Geheimnis, und das soll es von mir aus auch bleiben. Ich bin nicht scharf auf das sagenhafte Südland, ich habe schon jetzt die Nase voll von Ostindien und der ganzen Dschungelhölle. Aber zurück zu Jonny: Vor ungefähr zwei Wochen wollte er mit seiner ‚San Rosario‘ eine spanische Galeone aufbringen, hatte dabei aber ausgesprochenes Pech. Beim Entermanöver wurden er und die meisten Männer seiner Crew von den Dons überwältigt. Nur ein Teil der Meute konnte fliehen, indem er einfach ins Wasser sprang. Wenn die Haie und die Krokodile diese Leute nicht gefressen haben, so müßten sie nach Jonnys Vorstellungen inzwischen wieder zu dem Schlupfwinkel zurückgekehrt sein, den Jonny hier irgendwo eingerichtet hat. Die spanische Galeone schleppte die ‚San Rosario‘ ab bis nach Airdikit, dort liegt sie jetzt im Hafenbecken, während der spanische Dreimaster wieder ausgelaufen ist – mit Kurs nach Manila.“
„So“, sagte der Seewolf. „Der gute Jonny hat sich jetzt also der Seeräuberei verschrieben.“ Seiner Miene war abzulesen, daß er darüber nicht sehr begeistert war. In erster Linie deshalb nicht, weil ihm Jonny ja seinerzeit versprochen hatte, die Mädchen nach Neuseeland zurückzubringen.
Plötzlich polterten Schritte durch den Achterdecks-Mittelgang heran. Hasard, Ben und die anderen wandten die Kopfe und sahen im Halbdunkel des Ganges die Gestalt von Dan O’Flynn auftauchen.
„Sir“, sagte Dan. „Gary hat soeben eine Pinasse gemeldet, die von Nordwesten her hoch am Wind auf uns zusegelt.“
„Das sind die Spanier!“ rief Morgan Young erregt aus. „Sie haben ihre Suche nach mir auch aufs Wasser ausgedehnt! Ich bin sicher, daß sich noch mehr Pinassen oder Schaluppen in der Nähe befinden. Don Felix Maria Samaniego, der Lagerkommandant, ist ein schlauer Mann, der keine Möglichkeit ausläßt, wenn es darum geht, jemanden zu jagen.“
„Warum hat er dann nicht die ‚San Rosario‘ auslaufen lassen?“ fragte Ferris Tucker.
„Sie hat im Gefecht ziemlich schwere Schäden davongetragen, die noch nicht alle wieder ausgebessert sind“, antwortete Young. „Ich schätze, daß er befürchtet, sie könne bei dieser schweren See leckgeschlagen werden und sinken.“
„Sehr gut“, sagte der Seewolf. „Dies alles kommt meinen Plänen sehr entgegen.“ Er drehte sich zu seinen Männern um. „Los, wir hissen sofort die spanische Flagge und signalisieren den Männern in der Pinasse, daß sie längsseits der ‚Isabella‘ gehen sollen. Und daß mir ja alle Blondschöpfe den Kopf einziehen und unter Deck verschwinden! Ich will die Pinasse haben. Noch Fragen?“
„Nein, Sir“, versetzte Ben Brighton grinsend. „Was jetzt folgt, haben wir ja wohl oft genug exerziert.“
Der Teniente Leandro Moratin stand auf der Plicht ganz vorn im Bug seiner Pinasse und spähte durch sein Spektiv zu der fremden Galeone hinüber.
Gischt sprühte ihm ins Gesicht, und das Salzwasser spritzte auch gegen die Optik des Fernrohrs, so daß der Spanier in seinem Ausblick auf das rätselhafte Schiff erheblich behindert wurde.
Was sollte er tun? Er wußte nicht, wie er sich verhalten sollte, aber im Hinblick darauf, was er von Don Felix alles zu hören kriegen würde, falls er die Situation nicht gründlich genug auskundschaftete, ließ er weiterhin auf die Galeone zusteuern.
Plötzlich wurde er aller bösen Zweifel über die Herkunft und Nationalität des Schiffes enthoben. Während die Pinasse schwer in der stürmischen See rollte und der Wind sie weit nach Backbord krängen ließ, stieg drüben auf der Galeone mit einemmal eine ihm wohlbekannte Flagge im Großtopp hoch. Munter flatterte sie im Wind. Moratin sah durch sein Spektiv gerade noch so viel, daß er den gekrönten schwarzen Adler und das Band des Ordens vom Goldenen Vlies auf rot-weiß-goldenem Untergrund klar erkennen konnte.
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