„Ein Getränk, das bis vor wenigen Jahren bei uns in Europa noch unbekannt war. Sie nennen es Rum.“
„In der Tat?“ De Carvalho blickte zu Brighton auf. „Ich muß gestehen, daß ich noch nicht davon gehört habe.“
„Die Spanier haben das Zeug aufgespürt“, entgegnete Ben und setzte sich.
„Aha“, sagte de Carvalho und lächelte. „In der Beziehung dürften Sie als Engländer die besseren – hm – Kontakte gehabt haben, um sich derartige hochwertige Waren zu sichern.“
„So kann man es ausdrücken“, erwiderte Hasard, ebenfalls mit einem Lächeln. Er hob den Becher. „Trinken wir darauf, daß wir uns gütlich einigen.“
„Letzteres liegt auch mir am Herzen, Gentlemen.“ Der Portugiese hob seinen Becher gleichfalls. Dann nahm er einen ebenso langen Schluck wie seine beiden englischen Gastgeber.
Hasard und Ben wechselten einen raschen Blick. Unbemerkt.
Laurindo de Carvalho setzte sein Trinkgefäß mit einem jähen Ruck wieder ab, daß es auf die Tischplatte knallte. Im selben Atemzug versteifte sich sein Körper, als habe er einen Besenstiel verschluckt. Seine eben noch gesunde Gesichtsfarbe wechselte in ein elendes Grau und bildete einen deutlichen Kontrast zum Schwarz seiner Augenbinde. Er schluckte krampfhaft, wobei seine Rechte wie haltsuchend den Trinkbecher umklammert hielt. Sein Gesicht verfärbte sich jetzt in ein glühendes Rot, sein Oberkörper hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen.
Hasard und Ben hatten ihre Becher abgesetzt, lehnten sich zurück und lächelten gelassen.
„Das Beste, was wir an Bord haben“, bemerkte der Seewolf, „ein wirklich edler Tropfen, nicht wahr, Senhor de Carvalho?“
Der Portugiese unterdrückte ein Husten. Nur allmählich hatte er sich wieder in der Gewalt. Er rang sich ein Lächeln ab, das schief aussah.
„Allerdings.“ Er keuchte. „Das kann ich nur bestätigen.“
„Dann nehmen wir gleich noch einen“, sagte Ben Brighton und packte den Krug. „Wir freuen uns immer, wenn es unseren Gästen an Bord gefällt.“
De Carvalho streckte abwehrend die Hand aus.
„Nein, nein, Gentlemen, das ist wirklich nicht nötig. Ich hatte doch nur um einen kleinen Schluck gebeten. Ich will nicht den Eindruck erwecken, als wäre ich nur an Bord, um mich auf Ihre Kosten …“
„Einen solchen Eindruck haben wir nicht“, fiel Hasard ihm ins Wort. „Unsere Gäste behandeln wir wie Könige. Das ist alles.“
Kapitän Einauge verzog geschmeichelt das Gesicht. Sein sarkastisches Gehabe war von ihm abgefallen wie ein welkes Blatt – dank der Wirkung des hochprozentigen Stoffs.
Noch einmal ließ er also die Prozedur über sich ergehen, die bei den beiden Engländern nicht einmal ein Wimpernzucken hervorrief. De Carvalho selbst hatte auch diesmal das Gefühl, als bohre sich eine glühende Eisenstange durch seine Kehle bis tief in den Körper hinunter. Er zwang sich mit aller Gewalt, Haltung zu bewahren. Denn schließlich wollte er diesen beiden Burschen den Triumph nicht gönnen, daß sie ihn aus den Stiefeln kippen sahen. Insgeheim betete er, daß sie nicht auf die Idee verfielen, noch einen dritten Umtrunk zu veranstalten.
Dann atmete er auf, als sie ihn erwartungsvoll ansahen. Ihre Gedanken schienen sich also in eine andere Richtung zu bewegen. Endlich Er räusperte sich.
„Also zur Sache, Gentlemen“, sagte er und spürte nicht, daß seine Zunge um einige wenige Unzen schwerer geworden war.
Hasard und Ben bemerkten es sofort. Aber sie ließen es sich nicht anmerken. Immerhin war die Lage dazu viel zu ernst.
„Wir hören“, entgegnete der Seewolf und lehnte sich zurück.
De Carvalho nickte, blinzelte kurz und gab sich einen Ruck, um aufrecht zu bleiben.
„Wie gesagt, ich muß einiges vorausschicken. Die Menschen auf der Insel Seribu befinden sich im Kriegszustand. Ich gehöre zu den Menschen auf Seribu. In führender Position gewissermaßen. Darüber später mehr. Was ich sagen will, ist nur, daß auch ich mich im Kriegszustand befinde und deshalb das Recht habe, gewisse Taktiken anzuwenden, die für das Königreich Seribu von Nutzen sein können.“
„Ein Königreich?“ wiederholte Hasard. „Wenn es sich nur um diese Insel handelt, kann ich mir das nicht ganz vorstellen.“
„Wir haben hier andere Maßstäbe als in Europa, Sir Hasard. Herrscher auf Seribu ist König Sohore Jugung Moharvi. Sein Titel lautet hierzulande ‚Raja‘. Das ist gleichbedeutend mit unserem Ausdruck ‚König‘.“
„Wir haben aber nichts davon gehört“, entgegnete Ben Brighton, „daß Ihr sogenannter Raja England den Krieg erklärt hätte.“
„Auch das ist völlig unerheblich, Gentlemen. Wir haben hier andere Gesetze und Gepflogenheiten. Dazu gehörte auch die Taktik, die ich Ihnen gegenüber anwenden mußte. Um Ihnen das verständlich zu machen, muß ich etwas weiter ausholen.“
„Wir haben zwar wenig Zeit“, sagte Hasard, „aber wenn es sein muß …“
De Carvalho grinste breit. Breiter als jenes süffisante Lächeln, das er zuvor an den Tag gelegt hatte. Auch ein Zeichen dafür, daß er seine Gesichtszüge weniger gut unter Kontrolle hatte.
„Zunächst werden Sie sich wundern, was einen Portugiesen in diese Breiten verschlagen hat. Ich bin nicht allein hier. Noch acht Männer meiner ehemaligen Schiffsbesatzung leben ebenfalls auf Seribu. Sie haben diesen Männern sozusagen das – das Schiff unter dem Hintern weggeschossen.“ Er lachte über seine höchst frivole Ausdrucksweise, wurde aber im nächsten Moment wieder ernst. „Es ist nun schon mehr als drei Jahre her, daß es in unserem persönlichen Schicksal eine entscheidende Wende gab. Mit unserer Karacke, die übrigens den Namen ‚Maria Cristina‘ trug, gerieten wir damals in ein Seegefecht mit einer Übermacht holländischer Galeonen. Das war nördlich von Java, nur wenige Tagesreisen von hier entfernt. Die ‚Maria Cristina‘ wurde damals stark beschädigt. Wir waren manövrierunfähig, und nur eine glückliche Fügung wollte es, daß wir nicht versenkt wurden.“
Ben Brighton warf dem Seewolf einen vielsagenden Blick zu. Hasard wußte, was Ben dachte. Es wäre besser gewesen, wenn der portugiesische Zweimaster seinerzeit gesunken wäre.
„Wir hatten auch weiterhin Glück“, fuhr de Carvalho mit einer theatralischen Geste fort. „Ein günstiger Wind trieb uns auf die Insel Seribu zu, und wir waren in höchstem Maße erstaunt über die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Menschen, die uns hier aufnahmen. Nachdem wir uns einigermaßen erholt hatten, erfuhren wir von den besonderen Problemen, mit denen Raja Moharvi und sein Volk noch heute zu schaffen haben. Die Menschen auf Seribu sind Hindus und damit dem moslemischen Reich von Prinz Fatahillah II. auf Java ein Dorn im Auge. Damit wären wir bei dem Kriegszustand, den ich schon erwähnte. Fatahillah hat immer wieder Seekriegszüge gegen die Insel Seribu geführt, und es war letztlich nur eine Frage der Zeit, wann ihm die Eroberung gelingen würde.“
Hasard nickte. Er hatte den Namen Fatahillah gehört. Allerdings mußte es sich bei Fatahillah II. um einen Sohn oder sonstigen Verwandten des Mannes handeln, der auf Java Geschichte gemacht hatte. Besagter Fatahillah nämlich hatte am 22. Juni 1527 die Portugiesen aus dem damaligen Hafenstädtchen Sunda Kelapa vertrieben und die Stadt auf den neuen Namen „Jayakarta“ getauft. Das bedeutete soviel wie „Stadt des großen Sieges“. Ein Sieg für die Moslems, denn der siegreiche Fatahillah war ein Schwiegersohn des Sultans von Demak gewesen.
„Wir beschlossen spontan, uns für die Hilfsbereitschaft erkenntlich zu zeigen“, spann de Carvalho seinen Faden weiter. „Wir setzten unsere Karacke instand, und beim nächsten Angriff der Flotte Fatahillahs brachten wir ihr eine vernichtende Niederlage bei. Denn die Segler, die sie hier verwenden, sind Schiffen europäischer Bauart natürlich nicht im entferntesten gewachsen. Ja, und dieser Erfolg war dann der Anfang der Geschichte, die meine Freunde und mich an diese Insel fesselte. Der König hatte nämlich beschlossen, mich als eine Art Kriegsminister einzustellen, und meine Freunde erhielten ebenfalls führende Posten. Um diesem Vorschlag ein wenig mehr Gewicht zu verleihen, gab mir der Raja seine Tochter zur Frau. Da es sich um ein wahrhaft engelsgleiches Geschöpf handelt, fiel mir die Entscheidung leicht. Im übrigen leben meine Freunde und ich hier mit Privilegien, von denen man in Europa kaum eine Vorstellung hat.“ Er hielt inne und grinste von neuem. Er spürte, daß er von einem seltsamen Teufel geritten wurde. „Eigentlich könnten wir jetzt noch einen Schluck von diesem edlen karibischen Tropfen zu uns nehmen.“
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