Kapitän Einauge rollte sich wie eine Katze, gelangte aus dem Sprung heraus auf beide Beine, schnellte federnd hoch und wirbelte herum. Geduckt stand er da, doch ohne Waffen. Was um ihn herum geschah, schien ihn nicht mehr zu interessieren. Weder das für ihn niederschmetternde Geschehen auf See noch das Getümmel, das in unmittelbarer Nähe am Strand begonnen hatte.
Das Auge des Portugiesen war zu einem Schlitz zusammengekniffen, als er den schlanken jungen Mann fixierte.
Dan O’Flynn wandte sich ihm ruhig zu, mit einer demonstrativen Bewegung warf er die Steinschloßpistole zur Seite. Mit einem dumpfen Laut landete die schwere Waffe im Sand.
Einauges Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen.
„Fühl dich nicht zu stark, mein Junge!“ zischte er.
Dan O’Flynn antwortete nicht. Er konzentrierte sich auf seinen Gegner. Jeden Sekundenbruchteil konnte dessen lauerndes Verharren in einen wilden Angriff übergehen.
Und unverändert rollte der Geschützdonner von See her.
Der Profos und seine Männer hatten die Entermesser herausgerissen. Ed Carberry stieß die mächtige Klinge hoch.
„Versohlt ihnen den Hintern, diesen verdammten Kakerlaken!“ brüllte er.
Es war das Zeichen zur erbitterten Gegenwehr. Die Seewölfe stürmten los und unterliefen den ersten Hagel von Wurfspießen, der über sie wegzischte. Um den Portugiesen nicht zu gefährden, verzichteten die Insulaner anscheinend darauf, diese vorsintflutlichen Waffen in massierter Form einzusetzen. Und ein zweites Mal kamen sie nicht mehr dazu.
Wie ein Keil stießen die Seewölfe in die quirlende Meute vor. Die Klingen der Entermesser verursachten flirrende Lichtreflexe. Schäfte von Wurfspießen zerbrachen wie morsche Zweige. Schreie gellten. Krummdolche blitzten auf.
Jeder einzelne der Männer von der „Isabella“ hatte sich auf Rundumverteidigung eingestellt. Der Profos mit seiner Riesenstatur ragte über alles hinaus, und seine wüsten Flüche begleiteten das Kampfgetümmel.
„Ho, ho, ihr nichtsnutzigen Affenärsche! Das schmeckt euch, wie? Wartet nur ab, ihr kriegt noch mehr davon, ihr lausigen Wanzen!“ Unter seinen Hieben sanken sie zu Boden, und er bemühte sich dabei, nur die flache Klinge zu verwenden, wo es eben ging. Doch während Ed Carberry sie vorn niedermähte, klammerten sie sich hinten wie Kletten an seinen Rücken und versuchten ihn zu Fall zu bringen.
„Wollt ihr wohl Vernunft annehmen!“ brüllte er mit Donnerstimme und rammte zwei Angreifer fast gleichzeitig zu Boden. Doch dafür hatte er ein halbes Dutzend von ihnen im Nacken, und zum ersten Mal geriet er ins Wanken.
Die Indonesier stimmten Triumphgeschrei an, denn sie hatten längst begriffen, daß dieser rauhbeinige Hüne eine Art Mittelpunkt der Kampfmoral für die fremden Männer war.
Matt Davies, Luke Morgan, Sam Roskill und Bob Grey kämpften mit der gleichen Verbissenheit wie ihr Profos. Matt war der einzige, der sich ein einigermaßen freies Umfeld verschaffen konnte. Denn mit seinem Entermesser in der Linken und seinem spitzgeschliffenen Stahlhaken, dort, wo sich einmal seine rechte Hand befunden hatte, war er nicht nur ein furchteinflößender Anblick, sondern auch ein nahezu unüberwindbarer Gegner.
Luke, Sam und Bob waren indessen von dichten Trauben der Indonesier umlagert. Die furchtbaren Hiebe der Entermesser verfehlten zwar ihre Wirkung nicht, doch wegen der übermächtigen Zahl der Angreifer blieb der Erfolg gering.
Dan O’Flynns Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Die donnernden Schüsse von See, der wilde Kampf am Strand und der hämisch lauernde Einäugige – alles zusammen hätte jeden Zartbesaiteten an den Rand des Wahnsinns getrieben.
Dan kannte solche Empfindsamkeit nicht. Er war sich darüber im klaren, was von ihm abhing. Ed Carberry und die anderen waren der Übermacht auf die Dauer nicht gewachsen, selbst dann nicht, wenn sie übermenschliche Kräfte entwickelten. Und ein Wunder, das ihnen zu Hilfe kommen konnte, war nicht abzusehen.
Deshalb, so kalkulierte Dan folgerichtig, lag alles bei ihm. Bezwang er diesen hinterlistigen einäugigen Strolch, wendete er möglicherweise das Blatt. Denn er war überzeugt, daß der Portugiese für die Indonesier eine Art Häuptling war. Ohne ihn würden sie nicht weiterkämpfen.
Laurindo de Carvalho schien die Gabe des Gedankenlesens zu haben.
„Bilde dir keine Schwachheiten ein, junger Mann“, sagte er grinsend, „du und deine lieben Freunde, ihr werdet es niemals schaffen. Also gib lieber gleich auf. Oder willst du allen Ernstes noch gegen mich antreten?“
Noch während er die letzten Worte aussprach, stellte er abermals seine Tükke unter Beweis.
Dan O’Flynn war fast versucht, zu antworten, als er begriff.
Das Wortgeplänkel de Carvalhos war nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver.
Mit einem pantherhaften Satz schnellte der Einäugige auf Dan O’Flynn los, ohne daß es dafür einen erkennbaren Ansatz gegeben hätte.
Dan, durch den Trick des anderen sekundenlang irritiert, reagierte um einen winzigen Moment zu spät. Und er bereute es zutiefst, daß er die Pistole fortgeworfen hatte.
De Carvalhos Rammstoß traf ihn gegen die rechte Schulter.
Dan wurde herumgerissen. Er stolperte zur Seite, drehte sich ungewollt wie ein Kreisel und mußte alle Energie aufwenden, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Genau damit hatte aber offenbar der Portugiese gerechnet, der seinen Ansturm abbremste, herumruckte und von neuem auf den schlanken jungen Mann eindrang.
Dan O’Flynns Gegenwehr traf ihn mit unerwarteter Gewalt. Geschickt unterlief Dan die Fäuste des Portugiesen und schmetterte ihm einen Hieb aufs Zwerchfell.
Der Schmerz und die Wucht des Schlages trieben de Carvalho zurück. Er wankte, vollführte kurze, schnelle Schritte und ruderte mit den Armen. Sein Gesicht färbte sich graugrün.
Sofort setzte Dan nach. Nur am Rand seines Blickfelds sah er das Kampfgetümmel, das nach wie vor zwischen den Männern der „Isabella“ und den indonesischen Kriegern brandete. Die ersten Triumphschreie, die die braunhäutigen Burschen ausstießen, nahm Dan nur im Unterbewußtsein wahr. Denn er konzentrierte sich voll und ganz auf seinen Gegner.
De Carvalho hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden. Doch er krümmte sich. Der Schmerz war übermächtig.
Zwei Schritte genügten für Dan O’Flynn, und er war bei ihm. Mit unbarmherzigen Fausthieben trieb er den Portugiesen weiter vor sich her. De Carvalho wankte und riß schützend die Arme hoch. In Dans Ohren dröhnte das Donnern der Schüsse von See her.
Der Sohn des alten O’Flynn legte seine ganze Muskelkraft in den nächsten Schlag, der den Einäugigen von den Beinen riß.
De Carvalho schlug der Länge nach hin, stöhnte vor Schmerzen und atmete keuchend.
Sofort war Dan wieder bei ihm und wollte ihn auf die Beine ziehen.
Plötzlich wurde er von hinten gepackt. Er hatte die Schritte nicht gehört. Sie waren Meister der Lautlosigkeit. Verzweifelt setzte er sich zur Wehr, doch gegen die Übermacht richtete er nichts aus. Vier oder fünf Indonesier waren es, die seine Arme gepackt hielten. So sehr er sich auch wand, es half nichts. Zwar mußten sie sich höllisch anstrengen, um ihn zu bändigen. Aber das gelang ihnen letztlich dank ihrer überlegenen Zahl.
Ed Carberry und die anderen konnten Dan O’Flynn nicht mehr zu Hilfe eilen.
Das Gesicht des Einäugigen war haßverzerrt, als er sich mühsam aufrappelte. In der Umgebung der Augenklappe glühte seine Stirn, in dem gesunden Auge loderte die Wut. Seine Muskeln bebten, als er langsam auf den wehrlosen jungen Mann zuging.
Einen Schritt vor ihm blieb er stehen. Ohne ein Wort und ohne Ankündigung schlug de Carvalho zu.
Dan O’Flynn schrie auf Wieder wand er sich vergeblich im Griff der Indonesier. Er konnte den gemeinen Hieben nicht ausweichen. Der Schmerz durchflutete seinen Körper wie eine alles auslöschende Woge. Der Klang seiner Schreie ging für ihn selbst in einem Rauschen unter, das seinen Kopf auszufüllen begann. Und de Carvalho hielt nicht inne.
Читать дальше