Hasard und Philip planschten zum Achtersteven zurück und enterten wie Katzen auf. Quietschnaß erschienen sie auf dem Achterdeck.
Hasard junior wischte sich das nasse Haar aus dem Gesicht und meldete sachlich: „Das Ruder ist im Arsch, Sir!“
„Sir“ – das war Philip Hasard Killigrew, der die Fäuste in die Seiten gestemmt hatte und seine Sprößlinge musterte, als sei er sich nicht so recht klar, ob er ihnen die Ohren langziehen oder sie loben solle.
Er entschied sich, die Ausdrucksweise des älteren Juniors zu rügen – Hasard junior war um etwa fünf Minuten älter als sein Zwillingsbruder Philip.
„Was ist das Ruder?“ fragte er mit dem genügenden Frost in der Stimme.
„Im“, sagte Hasard junior und räusperte sich, „im Schlechtestzustand, Sir. Ich hab den Ruderbeschlag direkt unter der Wasserlinie befingert. Da hat’s alle Bolzen herausgerissen.“
„Jawohl“, sagte Philip, „alle Bolzen. Ich hab den Beschlag darunter befingert. Da ist der gleiche Mist. Das Ruderblatt ist wuppdi!“
„Was heißt wuppdi?“ fragte der Seewolf.
„Wuppdi heißt, daß der Kutscher das Ruderblatt im Kombüsenherd verfeuern kann“, erwiderte Philip.
„Aha.“ Vater Hasard peilte zu Ferris Tucker hinüber. „Schätze, wir brauchen ein Notruder, Ferris.“
Der Schiffszimmermann nickte stumm, wie es schien, etwas verbissen.
Die „Isabella“ dümpelte ohne Fahrt im Wind. Vorbei war die rauschende Fahrt mit der Backstagsbrise des Nordostpassats. Gewissermaßen war die schlanke Galeone mit den langen Masten flügellahm und der Rudergänger arbeitslos.
Flügellahm bedeutete eine gewisse Nichtmanövrierbarkeit. Zwar konnten sie die „Isabella“ durchaus mit den Segeln steuern, und zwar durch Fieren oder Dichtholen der Schoten und Brassen, aber wenn ihnen jetzt jemand ans Leder wollte, dann waren sie nur bedingt gefechtsklar. Schnelle, blitzartige Manöver, um die Luvseite eines eventuellen Gegners zu gewinnen, konnten sie nicht durchführen.
Aber die See ringsum, auch zur Landseite hin, war frei von Segeln oder Mastspitzen.
Die Sonne hatte den Zenit überschritten, wie Hasard mit einem kurzen Blick feststellte.
„Wie lange brauchst du für das Notruder, Ferris?“ fragte Hasard.
„Eine Stunde.“
Hasard nickte. „Gut, dann laufen wir Bantam an. Dort verpassen wir der Lady ein neues Ruderblatt.“
Ben Brighton, Bootsmann und Erster Offizier auf der „Isabella“, räusperte sich.
Hasard wandte sich ihm zu und grinste. „Weiß ich, Ben. Du wolltest sagen, daß dort die Portugiesen sitzen, nicht wahr?“
„Genau. Wir segeln ihnen mitten ins Maul – sie brauchen nur zuzuschnappen.“
„Wir müssen die Tante aufdocken, Ben“, sagte Hasard sanft, „was bedeutet, daß wir mit den Wölfen heulen müssen. Wir werden also jedem Streit aus dem Wege gehen und im übrigen einen irischen Handelsfahrer markieren. Wenn es sein muß, werden wir eben ein paar Perlen odere Diamanten als Köder anbieten. Wir kriegen den Ruderschaden anders nicht geregelt. Oder wär’s dir lieber, die ‚Isabella‘ auf einen einsamen Strand zu setzen, nachdem wir sie vorher angetakelt und mühsam entladen haben?“ Hasard lächelte. „Und dann noch bei dieser Hitze!“
Ben Brighton schüttelte den Kopf, und Old O’Flynn, der aufs Achterdeck gestiegen war, zitierte: „Der Meergott schütze uns vor fremden Küsten – und Kannibalen, die zum Schlachtfest rüsten.“
„An deinem Holzbein hätten die nicht viel Geschmack“, brummte Ferris Tucker.
„Das ist der Vorteil des Holzbeins“, sagte Old O’Flynn. „Das wandert nie in den Suppentopf eines Menschenfressers.“
„Ha“, sagte Ferris Tucker, „aber du kannst ’n paar Holzlöffel draus schnitzen, und für wuppdi ist das Ding auch geeignet.“
Die Männer auf dem Achterdeck begannen zu grinsen. Sie wußten ja bereits, was „wuppdi“ bedeutete.
Old O’Flynn wußte es noch nicht und fragte prompt, was das wieder für Unsinn sei.
„Brennholz“, sagte Ferris Tucker lakonisch.
So waren sie eben, die Seewölfe. Den Ruderschaden nahmen sie gelassen hin. Der war nun mal passiert – und er war reparabel. Außerdem hatten sie ja ihren Ferris Tucker. Und Big Old Shane, der ehemalige Schmied und Waffenmeister auf der Feste Arwenack, würde die Beschläge wieder hinbiegen oder neue herstellen. Aber aufdocken mußten sie, wenn sie sich viel Arbeit ersparen wollten. Und da war Hasards Lösung die beste.
Stenmark erhielt keinen Rüffel. Baumstämme, die unter Wasser trieben, konnte der beste Ausguck nicht sichten.
Bantam – zu dieser Zeit bedeutendster Handelsplatz Javas und der Sundainseln, an der Nordwestecke der Insel der Feuerberge im Schutz der weiträumigen Bantambai gelegen – bot sich den Seewölfen als eine Stadt mit dunkelroten Ziegelmauern, weißen Minaretts und goldgelben Reisstrohdächern dar.
Eine Unzahl von Schiffen ankerte auf der Reede oder lag an den Bollwerken im Hafen vertäut. Da waren jene eigenartigen Doppelrumpffahrzeuge mit den wie Krebsscheren aussehenden Segeln neben arabischen Daus, chinesischen Dschunken und indonesischen Praus. Dazwischen wimmelten Sampans, Einbäume und Flöße. Und da fehlten vor allem nicht die Galeonen, Galeeren und Karakken aus Spanien, Portugal, den Niederlanden, ja sogar Frankreich und Dänemark.
Kaufleute aller seefahrenden Nationen schienen sich hier ein lukratives Stelldichein zu geben: Chinesen, Inder, Japaner, Portugiesen, Spanier, Niederländer, Araber, Franzosen, Türken, Griechen …
Denn es ging ja um handfeste Handelsinteressen. Hier, dicht an der Sundastraße zwischen Sumatra und Java, bildete Bantam eine Art Angelpunkt oder Drehscheibe zwischen Ost und West.
Hier war der Umschlagplatz für Gewürze, Edelhölzer, Seidenballen, Silberbarren, Porzellan, Elfenbein und was der Dinge mehr waren. Aber den Vorrang hatte der Gewürzhandel. Und wer das Gewürzmonopol an sich riß, hatte ausgesorgt.
Die Portugiesen waren die ersten gewesen, die regelmäßige Handelsfahrten hierher unternommen und mit den Sultanaten der Inselreiche Verträge abgeschlossen hatten, die es ihnen ermöglichten, den Gewürzhandel an sich zu reißen.
Mit Pfeffer, Muskat und Nelken erzielten sie in Europa Riesengewinne und konnten sich die Taschen stopfen.
Aber schon standen die Zeichen auf Sturm, denn was der eine hat, möchte auch der andere gern haben, was man allgemein mit dem Begriff des Neides oder Futterneides gleichsetzt. Den Briten war das noch nicht so aufgegangen, wohl aber den Niederländern, und die hatten recht derbe Ellenbogen, was ihren Eifer betraf, Handelsintrigen zu spinnen und den Portugiesen den bisher so sprudelnden Gewürzhahn abzudrehen. Was die Orang blanda, wie die Insulaner die Europäer nannten, für Schlitzohren waren, sprach sich sehr schnell herum.
Das waren die asiatischen Händler zwar auch, aber sie hatten nicht die lärmende Rücksichtslosigkeit der Orang blanda und erklärten auch nicht, die Heiden bekehren zu müssen.
Vorsichtig steuerte Pete Ballie die „Isabella“ mit dem Notruder über die Reede. Es ging auf den Abend zu. Im Windschatten von Kap Pontang verlor die „Isabella“ an Fahrt und glitt auslaufend und mit aufgegeiten Segeln auf eine freie Stelle der Pier zu.
Dort wurde sie vertäut.
An einem Bohlensteg quer hinter ihr lag eine niederländische Galeone. Auf der Reede hatte Hasard noch vier weitere niederländische Handelsfahrer registriert – bemerkenswert gut bestückt. Wie zum gerechten Ausgleich lagen fünf portugiesische Galeonen an den Bollwerken der weiteren Pier – je zwei im Päckchen nebeneinander und eine allein hinter den beiden Päckchen.
Über die Pier wehte ein Geruch von Moder, faulender Kopra und vergammeltem Fisch, vermischt mit den Düften irgendwelcher tropischer Gewürze. Neben dem Niederländer hinter der „Isabella“ stapelten sich auf der Pier Fässer und Ballen.
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