Mary O’Flynn war hart im Nehmen, und sie hatte Erfahrungen in ihrem Leben gesammelt. Sie hörte auf zu weinen und sah sinnend an das Schott der Pantry.
Männer, dachte sie, zeigten ja mitunter die merkwürdigsten Reaktionen, wenn sie erfuhren, daß sie Vater wurden. Manche reagierten darauf gelassen und friedfertig, andere regten sich furchtbar auf. O’Flynn war eben einer von der Sorte, die sich aufregte und das einfach nicht kapieren konnte oder wollte. Ein altes Ekel war dieser Mister O’Flynn. Aber auch in seinem Herzen würde sich noch eine Wandlung vollziehen, da war sie sich ihrer Sache ganz sicher.
Als sie das alles überdacht hatte, war sie wieder ganz die alte Mary mit dem goldenen Herzen.
Sie entriegelte das Schott und ging an Deck, wo Martin Correa verlegen grinsend herumstand. Man sah ihr auch nicht mehr an, daß sie eben noch geweint hatte.
„Wo ist denn dieser Mister O’Flynn geblieben, Martin?“ fragte sie mit etwas rauher Stimme. Sie sah sich nach allen Seiten um, aber von „Mister O’Flynn“ war weit und breit nichts zu sehen.
Martin räusperte sich verlegen und trat dabei unruhig von einem Bein auf das andere.
„Er – er hat die Jolle genommen und ist an Land gepullt. Er ist da drüben ins Gebüsch gerannt.“
„Gerannt?“ fragte Mary.
„Ja, er hatte es ziemlich eilig. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.“
„Soll er“, sagte Mary grimmig. „Da kann der Kapitän auslüften und darüber nachdenken, was er falsch gemacht hat.“ Und was für ein altes Ekel er ist, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Soll ich nach ihm rufen?“ fragte Martin.
„Der findet von allein zurück, Martin. Und wenn er wieder an Bord ist, hat er hoffentlich auch Vernunft angenommen. Sonst soll ihn der Teufel holen.“
„Aye, aye“, sagte Martin. „Soll ich nicht doch lieber …?“
„Nein, er soll nachdenken. Schließlich ist er alt genug, um zu wissen, was er tut.“
Martin bezweifelte das zwar manchmal, aber das behielt er doch lieber für sich. Der Kapitän würde erst mal seinen dösigen Schädel auslüften und dann brav zu Kreuze kriechen. War ja nicht das erste Mal, daß es einen handfesten Krach gab. Danach war Old O’Flynn immer ruhig und bescheiden zurückgekehrt.
In der Cherokee-Bucht gingen die Arbeiten unermüdlich weiter.
Die Schatzbeute war längst an Land gebracht worden, auch die Kanonen standen jetzt an Deck der „Wappen“ und der „Pommern“. Ein paar weitere waren mit den Jollen zum Land gebracht worden.
Die Wein- und Pulverfässer waren ebenfalls ausgeladen und am nahen Strand gestapelt worden.
Am Bug der „Golden Hen“ waren inzwischen unter Hesekiel Ramsgates sachkundiger Anleitung schwere Taljen angeschlagen worden.
Jetzt waren die Männer dabei, Leinen zum Land zu bringen und ebenfalls Taljen an den stämmigsten Kiefern anzuschlagen. Es war kurz nach Mittag.
„Du hast recht gehabt, Hesekiel“, sagte Jean Ribault. „Bis zum späten Nachmittag dürften wir mit dem Anschlagen fertig sein. Ich habe nicht geglaubt, daß wir es so schnell schaffen. Immerhin ist es eine Heidenarbeit.“
Der alte Schiffbaumeister nickte lächelnd.
„Vor Einbruch der Dämmerung sind wir fertig. Ich schlage vor, daß wir dann morgen früh damit beginnen, die Karavelle mit allen Mann auf den Strand zu ziehen und abzupallen. Es ist besser, wenn wir das bei Tageslicht tun. Morgen sind die Männer auch wieder frisch und ausgeruht.“
„Vorschlag angenommen“, sagte der Franzose.
Inzwischen ging Mary O’Flynn nach achtern, wo sich Gotlinde und Gunnhild mit den Kindern aufhielten.
„Hier in der Bucht wimmelt es von Langusten“, sagte sie. „Ein paar haben wir ja heute morgen schon an der Bay gefangen. Aber hier gibt es viel mehr. Die Männer werden hungrig sein, wenn sie mit der Arbeit fertig sind. Wenn wir ihnen dann Langusten, Brot und Wein zum Essen anbieten, wird das für alle ein Festmahl. Wollt ihr mit, weitere Langusten fangen?“
Die Frau des Wikingers nickte begeistert. Auch Gunnhild war sofort eifrig bei der Sache.
„Und wer paßt inzwischen auf die Kinderchen auf?“ fragte sie.
„Martin ist ja an Bord“, sagte Mary, „der kann mal hin und wieder nach den Kleinen sehen. Außerdem sind wir ganz in der Nähe. Da kann nichts passieren.“
Sie nahmen große geflochtene Körbe für die Langusten mit und gingen von Bord.
Martin sah ihnen grinsend nach, wie sie im flachen Strandwasser auf Langustenfang zogen.
Es wimmelte hier wirklich von den Tieren. Alle drei Frauen sammelten mit Feuereifer Langusten ein, die in Strandnähe herumkrebsten.
Mary war so eifrig bei der Sache, daß sie darüber ihren alten Brummbär ganz vergaß.
Innerhalb einer knappen Stunde hatten sie drei Körbe voll.
„Ob das reicht?“ fragte Gotlinde. „Ich kenne doch den Bärenhunger der Kerle.“ Sie sah zweifelnd auf die Masse krabbelnder Leiber, die ihre Fühler nach allen Seiten streckten.
„Wir sammeln noch mehr“, entschied Mary, „es gibt ja genügend. Außerdem haben wir noch reichlich Zeit bis zum Abend. Dann entzünden wir am Südufer der Bucht ein Feuer und bereiten sie zu.“
Erneut herrschte Betriebsamkeit in der Bucht. Während die Männer hart arbeiteten, fingen die drei Frauen weiterhin Langusten, bis kein Zweifel mehr daran bestand, daß sie reichen würden, selbst wenn der Hunger noch so groß war.
Old O’Flynn hatte allen Grimm der Welt in sich. Grollend und vor sich hin brabbelnd, wackelte er aus der Jolle und gab ihr noch einen wütenden Fußtritt.
Dann befühlte er voller Zorn seinen Schädel und erschrak. Himmel, er rannte ja wie ein Einhorn durch die Gegend. Die Beule mußte mindestens zehnmal größer als sein Schädel sein. Er schielte ein bißchen nach oben in der Erwartung, ein recht großes Gebilde zu sehen, aber da war nichts, was ihn mächtig erstaunte.
„Scheißtag“, knurrte er, „die Welt kann mich mal. Die werden mich noch kennenlernen, und zwar gründlich.“
Old O’Flynn stapfte weiter, einfach aufs Geratewohl zog er los und nahm Kurs Nordost quer über die Halbinsel.
So bemerkte ihn auch der Ausguck in der Kiefer nicht, denn Old O’Flynn entzog sich allen Blicken auf seinem eigenwilligen Kurs.
Ein warmer Wind wehte ihm um die Ohren. Über ihm spannte sich ein seidiger Himmel, und aus Osten war leise das Rauschen des Meeres zu hören. Auch das leise Tosen der Wogen, die sich über dem Korallenriff brachen, drang an seine Ohren.
Er hörte es nicht in seinem Zorn. Er sah auch nicht die liebliche Landschaft mit den Palmen, die Dünen, die sanften Täler und das dichte Strandgestrüpp. Er wollte auch gar nichts sehen, er wollte einfach nur mal ein Stück laufen, um diese verdammte Bratpfanne und alles, was dazugehörte, zu vergessen.
Je weiter er rannte, desto mehr kroch der Zorn in ihm hoch. Er kniff die Lippen zusammen und schimpfte leise vor sich hin. Manchmal lachte er auch gallebitter und höhnisch auf.
„Ha, Vater, was?“ schrie er in den blauen Himmel. „Wenn das jedesmal mit der Bratpfanne eingeläutet wird, kann ich darauf verzichten. Außerdem hab’ ich genug Krakeeler in die Welt gesetzt. Bin ich vielleicht der Kalif von Bagdad?“
Fuchtig, gallig und giftig ging er weiter, humpelte durch ein Dünental und griff wieder nach seinem Schädel. Der brummte immer noch wie ein aufgescheuchter Bienenstock. Und von der Beule hatte er das Gefühl, sie würde bis an die Kimm reichen, wenn er sich nur bückte.
Nach einer Weile riß er beide Arme hoch. Da ihn ohnehin keiner hörte, führte er lauthals Selbstgespräche und beklagte sich maulend.
Die Vorstellung, Vater zu werden, lud seinen Zorn immer mehr auf, bis er zum Bersten angefüllt war.
„So ein Quatsch!“ rief er laut. „Da sind ja meine Enkel Hasard und Philip wesentlich älter als mein Sohn, wenn der in sieben Monaten das Licht der Welt erblickt!“
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