Kelly Kevin - Seewölfe - Piraten der Weltmeere 208

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Die «Isabella» lief nur langsame Fahrt. Links und rechts der Bordseiten glitten die düsteren Wände des Dickichts vorbei, der faule Geruch von Brackwasser und vermodernden Pflanzen sättigte die Luft, grün-goldene Sonnenflecken tanzten über die Planken. Nach Hasards Rechnung mußten sie jetzt jeden Augenblick auf die Gabelung stoßen, an die Stelle, wo zwei der Mündungsarme im rechten Winkel zusammenflossen. Aber dem war nicht so. Der Bugspriet zielte plötzlich auf eine undurchdringliche grüne Wand. Dieses Delta war der reinste Irrgarten…

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-544-6

Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Die „Isabella VIII.“ lief mit halbem Wind über Steuerbordbug durch die Nacht. Fahl leuchteten die Segel im Licht des vollen Mondes. Das Knarren der Rahen und Blöcke mischte sich mit dem leisen Plätschern an den Bordwänden und dem Singen straff gespannter Wanten und Pardunen.

Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und spähte zu der Mangrovenküste hinüber, die sich schwarz und undurchdringlich an Steuerbord hinzog.

Eine fremde Küste, unwirtlich und menschenleer, doch das mochte täuschen. Im letzten Licht der untergehenden Sonne hatten sie die düsteren Mündungsarme eines Flusses gesehen, schiffbare Wasserläufe, wenn man ihrem schillernden, auf eine gewisse Tiefe deutenden Schwarz glauben wollte. In Urwäldern wie diesem waren Flüsse Lebensadern. Bisher hatten die Männer der „Isabella“ nichts entdecken können, weder Mann noch Boot. Aber der Seewolf wurde das Gefühl nicht los, daß unsichtbare Augen die ranke Galeone beobachteten und ihren Weg verfolgten.

Ein Lächeln flog über sein hartes, sonnenverbranntes Gesicht, als sein Blick auf die beiden kleinen Gestalten fiel, die auf den Webleinen der Luvwanten schaukelten.

Philip und Hasard, die Zwillinge, saßen eisern ihre Wache ab, obwohl es ganz so aussah, als hätten sich die Elemente vorgenommen, zur Abwechslung einmal mit endloser Langeweile zuzuschlagen.

Selbst Arwenack, der Bordschimpanse, ließ sein übliches Temperament vermissen. Er leistete den beiden Jungen Gesellschaft, kraulte träge seine behaarte Brust und duldete sogar, daß der Papagei Sir John in seiner unmittelbaren Nähe das Gefieder plusterte.

Im Großmars war Bill dazu übergegangen, die Ballade von der schwarzen Lou nicht mehr zu pfeifen, sondern vor sich hin zu singen.

Er fing in der Mitte an. Bei der Strophe, in der die legendäre Lou den ebenso legendären Haifisch-Jimmy in ihre Gemächer abschleppt, um das mit ihm zu tun, was im Text diplomatisch als „Ho-ho-ho-tirallala“ umschrieben wurde. Na ja, dachte der Seewolf. Bill war schließlich erwachsen geworden.

Edwin Carberry, der Profos mit dem wüsten Narbengesicht, hegte weniger Nachsicht.

„Bist du von allen guten Geistern verlassen, du Hering?“ brüllte er mit Donnerstimme. „Liederliche Frauenzimmer besingen, was, wie? Dir werd ich dein dämliches Ho-ho-ho-tirallala gleich einbläuen, du …“

„Was ist ein liederliches Frauenzimmer?“ fragte Hasard junior interessiert.

„Und was ist Ho-ho-ho-tirallala?“ wollte Philip junior wissen.

Der Profos stöhnte, als werde er lebendigen Leibes am Spieß gebraten.

Hinter ihm kicherte jemand belustigt. Der Betreffende – Luke Morgan – ging nicht schnell genug in Deckung, als Carberry herumfuhr. Der Profos holte tief Luft, um das heilige Donnerwetter in die neue Richtung zu lenken, doch er kam nicht mehr dazu.

„Deck!“ rief Bill aus dem Großmars. „Zwei Boote Steuerbord voraus! Sie laufen aus der Flußmündung!“

Die legendäre schwarze Lou samt Tirallala waren vergessen.

Gespannt spähten die Männer nach Steuerbord, wo sich die Mangrovenküste als unregelmäßiges Schattenband abzeichnete. Wie der Blitz enterten die Zwillinge höher in die Wanten. Ihr Vater suchte aus zusammengekniffenen Augen das Wasser ab, das im Mondlicht wie mit Quecksilber betupft glänzte.

Die schimmernden Reflexe verrieten ihm, wo der Mündungsarm des Flusses in das Mangrovendickicht schnitt. Neben ihm beugte sich Donegal Daniel O’Flynn junior aufmerksam vor. Dan war berühmt für seinen Adlerblick. Doch diesmal entdeckte der Seewolf die schwarzen Umrisse auf dem Wasser als erster.

Zwei Boote.

Flache, schwerfällige Fahrzeuge, dafür gebaut, durch seichte Wasserarme und Mangrovensümpfe gestakt zu werden. Jetzt hatten sie ein paar Fetzen als Notsegel gesetzt und strebten in unbezweifelbarer Hast dem offenen Meer zu. Deutlich konnte der Seewolf die Menschen an Bord erkennen.

Männer, Frauen und Kinder, dicht gedrängt, krampfhaft aneinandergeklammert. Turbane und Tücher leuchteten im Mondlicht. Unverhüllte Angst verzerrte die dunklen Gesichter. Nur wenige Bewaffnete befanden sich in den Booten: stolze, kriegerische Gestalten, die Befehle in einer fremden Sprache schrien und die Fäuste um die Griffe der Krummschwerter klammerten, die sie an breiten, schärpenartigen Gürteln trugen.

„Deck!“ tönte Bills aufgeregte Stimme. „Drittes Boot Steuerbord voraus! Ich glaube, es verfolgt die beiden anderen.“

„Du sollst nicht glauben, du sollst gefälligst genau beobachten!“ schrie der Profos. „Himmelarsch, wie oft muß ich dir grünem Hering noch erzählen …“

Das gellende Triumphgeheul, das jäh über das Wasser trug, ließ keinen Zweifel daran, daß Bill genau richtig vermutet hatte.

Das dritte Boot, das er gesichtet hatte, war schnittig und rank gebaut – ein Schiffstyp, der an eine kleine Dschunke erinnerte. Wie ein Pfeil schoß es aus dem Schatten der Flußmündung, schnell, unheimlich schnell. Binnen Sekunden hatte es das letzte der beiden fliehenden Boote eingeholt und schor längsseits. Wieder stieg das Triumphgeheul in den nächtlichen Himmel – und jetzt mischten sich die ersten Entsetzensschreie dazwischen.

„Gerechter Himmel“, flüsterte Dan O’Flynn auf dem Achterkastell.

Philip Hasard Killigrew biß die Zähne zusammen, daß es knirschte. Wut packte ihn. Eiskalte, würgende Wut. Denn was die Kerle, die jetzt das Boot der Flüchtlinge enterten, dort drüben anrichteten, war nichts anderes als ein gnadenloses Massaker.

„Diese Teufel!“ stieß der sonst so beherrschte Ben Brighton hervor. „Da sind Frauen und Kinder dabei! Verdammt, Sir, wollen wir etwa …“

„Abfallen!“ befahl der Seewolf. „Alle Mann an Deck! Klar bei Bug- und Heckdrehbassen! Handfeuerwaffen ausgeben! Pete, herum mit dem Kahn!“

Pete Ballies mächtige Fäuste griffen in die Speichen des Rades.

Raumschots rauschte die „Isabella“ auf das dschunkenartige Schiff zu, das jetzt wieder Fahrt aufnahm, um das zweite fliehende Boot zu erreichen. In dem ersten Fahrzeug war ein halbes Dutzend kriegerischer Gestalten zurückgeblieben. Lachend und johlend durchsuchten sie ihre Opfer. Leblose Opfer, die klatschend im Wasser landeten, sobald sie ausgeplündert waren. Helfen konnte ihnen niemand mehr.

„Rammkurs auf die Dschunke!“ knirschte der Seewolf. „Und jagt diese Leichenfledderer von dem Boot!“

Der letzte Befehl war für die Männer bestimmt, die mit schußbereiten Musketen am Steuerbord-Schanzkleid standen. Zorn loderte in ihnen. Der gleiche ohnmächtige Zorn, den auch Hasard empfand. Ed Carberry riß den Arm hoch, stieß ihn nach unten, und in der nächsten Sekunde spuckten die Waffen Feuer.

Jäh schlug das Triumphgeschrei der Mörder in schrilles Schreckensgeheul um.

Die Kugeln fauchten über ihre Köpfe – so dicht, daß sie den Luftzug spürten und einem der Kerle der Turban weggerissen wurde. Das extrem flache Boot mit den niedrigen Bordwänden bot so gut wie keine Deckung. Die Kerle, denen bei ihrem widerlichen Gemetzel und der anschließenden Plünderung die herannahende „Isabella“ völlig entgangen war, konnten von Glück sagen. Ihr Leben verdankten sie nur dem tief verwurzelten Widerwillen, den die Seewölfe dagegen hegten, einen schlechter bewaffneten Gegner ohne Warnung niederzuschießen. Die nächsten Kugeln würden treffen – und das schienen die Burschen im Boot sehr genau zu wissen.

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