Er warf sich hin, überrollte sich und brachte die dritte Höllenflasche zum Vorschein.
„Ferris!“ schrie der Profos, der sich hinter dem Stamm einer Palme in Dekkung geworfen hatte. „Hölle, du alter Klamphauer, hat es dich etwa erwischt?“
„Nur ein Streifer“, stieß Tucker undeutlich aus. Dann hatte er die Flaschenbombe gezündet und ließ sie mit einem wilden Schlenker des linken Armes zu den anstürmenden drei Franzosen hinübersegeln.
Die Ladung ging im richtigen Moment hoch, und die Todesschreie der Angreifer gellten über den Strand bis auf die Lagune hinaus. Dies gab den Ausschlag – die meisten Piraten ergaben sich plötzlich.
Carberry sah aber, daß Grand Duc die Rote Korsarin immer noch mit dem Entermesser bedrängte. Mit einem Fluch sprang der Profos auf, war mit zwei Sätzen bei Grand Duc und hieb diesem die Faust in die Körperseite. Der Riese mit dem gelben Kopftuch ächzte und ließ seine Hiebwaffe unwillkürlich sinken. Carberry schlug noch zweimal zu, ehe Grand Duc sich richtig gegen ihn zur Wehr setzen konnte. Der Pirat sank in den Knien ein und brach auf dem weißen Sand zusammen.
„Edwin“, sagte die Rote Korsarin lächelnd. „Ich danke dir für die Unterstützung. Es stimmt eben doch – wo der Profos hinhaut, da wächst kein Gras mehr.“
„Och“, meinte Carberry. „War doch nicht der Rede wert, das …“
Plötzlich wirbelte etwas durch die Luft – es war Masots Schiffshauer. Der Seewolf stand mit leicht gespreizten Beinen auf dem Strand und hielt dem Schwarzbart die Spitze seines Cutlass gegen die Gurgel.
„Töte mich!“ schrie Masot. „Warum zögerst du noch?“
„Fesselt ihn“, sagte Hasard, ohne auf das Geschrei des Kerls zu achten.
Ferris Tucker und Carberry packten den vor Zorn bebenden Mann. Hasard ließ den Cutlass sinken, steckte ihn weg und ging zu dem leicht hin und her schwankenden Holzkäfig hinüber, um Zegú, den König von Hawaii, aus seiner schmählichen Lage zu befreien.
Die Schlacht war geschlagen.
In dieser Nacht fand keiner Schlaf. Es gab eine turbulente Wiedersehensfeier der Seewölfe und der Männer und Frauen von Hawaii.
Der Morgen kündigte sich mit strahlendem Sonnenschein an, und die See hatte sich wieder beruhigt. Zwei Schiffe verließen die Lagune und segelten an den hier und da aus dem Wasser ragenden Mastspitzen gesunkener Schiffe vorbei – die „Isabella VIII.“ und die „Saint Vincent“. Fliegende Fische waren aufgetaucht und begleiteten beide Galeonen zur Passage, als wollten sie ihnen eine gute Reise wünschen.
Masot, Grand Duc und die anderen Überlebenden von der Piratenbande blieben auf der Koralleninsel zurück. Sie würden einige Zeit brauchen, bis sie sich von ihren Fesseln befreit hatten, und auch danach würde es ihnen nicht so leichtfallen, den ungastlichen Ort zu verlassen. Hasard hatte ihnen zwar die beiden Jollen der „Saint Vincent“ gelassen, aber er hatte sie weitab vom Ufer der Lagune an verschiedenen Küsten des Eilandes versteckt.
Die „Saint Vincent“ segelte mit Thomas Federmann, Zegú, Andai, Moho, Numil, Hauula, Mara und den anderen Insulanern an Bord nach Norden davon – zurück nach Hawaii mit dem Schatz an Bord. Es hatte eine ergreifende Abschiedszene gegeben, doch nichts hatte den Seewolf davon abhalten können, seine Absichten zu verfolgen.
Er lief mit der „Isabella“ an dem nun wieder aus Osten blasenden Wind nach Süden ab. So sehr Thomas und dessen Freunde ihn auch gebeten hatten, mit ihnen nach Hawaii zurückzukehren – er wollte tiefer in die unbekannte, bisher noch unerforschte Wasserwelt vordringen, die südlich des Atolls lag, und davon konnte ihn nichts und niemand abbringen.
Nicht einmal Siri-Tong hätte es vermocht – und das wollte schon etwas heißen.
Aber sie versuchte es auch gar nicht. Sie war selbst versessen darauf, zu erfahren, was jenseits des Äquators in den Weiten des Stillen Ozeans lag …
Der spanische Kapitän der Dreimastgaleone „Kap Hoorn“ zuckte zusammen, als die Stimme aus dem Großmars erklang.
„Land! Land, zwei Strich Backbord voraus!“
Jesus Maria Sinona hob zum Zeichen, daß er verstanden hatte, die Hand und ließ sich das Spektiv reichen.
Was in der Optik als kleiner Ausschnitt erschien, brachte ein Lächeln auf seine Lippen.
Ja, das mußte die Insel sein, die sie suchten, daran gab es für ihn keinen Zweifel mehr.
Er sah einen dünnen Strich aus dem blauen Wasser ragen und glaubte, spitze Schroffen auf diesem Strich zu erkennen, der sich dunkelgrün vom noch fernen Horizont abhob. Weitere Einzelheiten vermochte er noch nicht zu sehen, denn am Horizont hing ein feiner trüber Schleier wie flüchtiger Nebel.
Sein Lächeln vertiefte sich, als er dem ersten Offizier das Spektiv zurückgab.
„Sehen Sie hindurch, Senor Fusté! Und dann vergleichen Sie noch einmal die Roteiros. Es müßte die Insel sein.“
Der Erste, ein kleiner, drahtiger Mann mit stechenden Augen und bläulichen Bartschatten im Gesicht, blickte ebenfalls durch das Spektiv und lehnte sich an die Schmuckbalustrade.
Nach einer Weile nickte er.
„Si, Senor Capitan“, sagte er. „Ich habe mich in der Navigation also doch nicht geirrt, wie Sie bemerkten.“
Er zog die in dunkles Leder gebundenen Roteiros zu sich heran, breitete sie auf dem Tisch aus, den man extra aufs Achterkastell gestellt hatte, und verglich die Angaben.
Die Roteiros waren umfangreich und ziemlich exakt. Um ihre geringfügigen Abweichungen hätte sie jeder Engländer beneidet. Diese Karten waren das Produkt sorgfältiger Forschungen, Skizzierungen und Vermessungen.
„Nun, was ist?“ fragte Sinona ungeduldig.
„Siebzehn Grad südlicher Breite, hundertneunundvierzig westlicher Länge“, erwiderte der Erste, „die Minuten kann ich nicht genau errechnen. Aber wir sind da. Weit und breit ist keine andere Insel in der Nähe zu sehen.“
„Es könnten ja noch andere dahinterliegen“, sagte Sinona sarkastisch. „Oder halten Sie das für ausgeschlossen, Senor Fusté?“
„Nein, aber meinen Berechnungen nach …“
Der Kapitän winkte ab und blickte zu dem feinen Landstrich.
Die „Kap Hoorn“ segelte mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug liegend ihrem Ziel entgegen.
Der Himmel war von jener Bläue, wie es ihn hier nur in Polynesien gab. Die winzigen Wattewolken an Steuerbord gehörten zum täglichen Bild. Wie festgeleimt hingen sie im Blau des Himmels, seit Tagen schon, und sie schienen die „Kap Hoorn“ auf ihrem Weg zu begleiten, als hätte man sie extra bestellt.
Kapitän Jesus Maria Sinona begann auf dem Achterkastell auf und ab zu gehen. Das tat er immer, wenn er in Gedanken versunken war, und so überhörte er auch die Frage des ersten Offiziers.
Erst als Fusté sie zum zweiten Male stellte, vernahm er sie.
„Ja, natürlich ändern wir den Kurs“, sagte er ungeduldig. „Das erwarte ich von Ihnen in alleiniger Entscheidung. Diablo, Senor Fusté, das sollten Sie mittlerweile wissen, auch wenn es Ihre erste Reise an Bord der ‚Kap Hoorn‘ ist.“
Die kohlschwarzen Augen des Kapitäns blickten den Ersten durchbohrend an, der daraufhin verlegen nickte und die erforderlichen Befehle weitergab.
Der Kapitän nahm seine Wanderung wieder auf. Sie führte ihn von Steuerbord nach Backbord, mitunter blieb er ein paar Sekunden stehen, dann wanderte er weiter.
Seine Gedanken kreisten um seinen Auftrag, sie drehten sich um die Brotfrucht, genauer um den Brotfruchtbaum, der auf einigen wenigen Inseln Polynesiens wuchs. Auf den meisten anderen gab es ihn nicht.
Seine Aufgabe war es, die Brotfrucht auch dort zu verbreiten, wo sie nicht wuchs und sich Inseln in spanischem Besitz befanden. Gleichzeitig sollten die Heiden bekehrt werden, wie die Spanier es auch schon in weiten Teilen der Dritten Welt getan hatten. Das war eine Anordnung seiner Allerkatholischsten Majestät, Philipp des Zweiten.
Читать дальше