„Servan!“ brüllte er, obwohl der Kapitän der gesunkenen „Antoine“ nur ein paar Schritte von ihm entfernt stand.
„Was ist los, Kapitän?“ fragte Servan erschrocken.
„Gut, daß wir die beiden Boote haben“, sagte Grammont.
Servan nickte, obwohl er nicht wußte, was Grammont mit dieser Bemerkung bezweckte.
„Du kennst dich bestens mit den Jollen aus, wie?“ fragte der Piratenkapitän grinsend.
„Sicher“, sagte Servan verdutzt.
„Du wirst nämlich gleich wieder einsteigen“, fuhr Grammont fort, „ebenso wie Bauduc.“
Servan begann zu verstehen. Grammont wollte Hilfe holen. Bald waren sie auf der Höhe von Lannion, und wenn sie dichter unter die Küste gingen, war es leicht, eine Nebelbank abzuwarten und mit den Booten an Land zu pullen. Ehe die Engländer es bemerken würden, hätte er, Servan, eine kleine Flotte auf die Beine gestellt, und dann konnten sie die Engländer in die Zange nehmen.
Pierre Servan konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen, als Yves Grammont ihm seine Vermutung nun fast wörtlich vortrug. Er war froh, die Schnauze gehalten zu haben, denn von Saint-Jacques wußte er, daß Grammont nicht vertrug, wenn auch andere nachdenken konnten.
„Was sagst du dazu?“ fragte der bärtige Pirat.
„Genial!“ sagte Servan mit Begeisterung in der Stimme.
„Deshalb bin ich euer Anführer“, sagte Grammont im Brustton der Überzeugung. Allerdings war er der Grausamste von allen, und darum wagte niemand, ihm den Rang streitig zu machen. Aber er sah das anders. Er war stolz auf seine Intelligenz, und wer sie nicht anerkannte, dem schlug er eben den Schädel ein.
Sie bereiteten alles für den Landgang vor. Pierre Servan und Jean Bauduc durften sich jeder acht Männer als Rudergasten aussuchen. Von ihren eigenen Leuten durften sie niemanden mitnehmen.
„Sie brauchen nach den harten Strapazen ein bißchen Ruhe“, hatte Yves Grammont grinsend gesagt aber Pierre Servan und Jean Bauduc hatten genau gemerkt, daß Grammont ihnen nicht so recht traute und sie von seinen Männern überwachen lassen wollte.
Servan wunderte sich, daß Grammont nicht einen seiner Vertrauten, den kleinen, mageren Ferret oder den dicken Jules Arzot, mitschickte. Aber wahrscheinlich waren sie auf der „Louise“ unentbehrlich.
Sie warteten, bis eine dichte Nebelwand vor ihnen auftauchte. Sie fuhren mitten hinein, und nach einer Weile ließ Yves Grammont den Kurs ändern und hielt auf die Küste zu. Es schien ihm nicht sehr gefährlich, da der Wind immer noch von Südosten blies und daher keine Gefahr bestand, daß die Schiffe vom Wind auf die Küste gedrückt wurden.
Pierre Servan und Jean Bauduc waren mit ihren Männern schon in die Boote umgestiegen. Sie warteten, bis sie das Rauschen der Brandung vernahmen, das der Wind weit aufs Meer hinaustrug. Dann lösten sie die Leinen und begannen zu pullen.
Der Nebel hatte sich immer noch nicht verzogen, und so waren die Konturen der „Louise“ und der „Coquille“ schon nach Minuten nicht mehr zu sehen.
Pierre Servan wünschte, er hätte Jean Bauduc bei sich an Bord des Bootes. Dann hätte er jemanden gehabt, mit dem er hätte reden können. Die Rudergasten in seinem Boot konnten alle Spione sein, die jedes Wort, das er sagte, später Grammont zutragen würden.
Servan verstand das Mißtrauen Grammonts nicht und war ein wenig gekränkt. Schließlich hatte er bewiesen, daß er kein Feigling war, als er die Engländer mit den Fischerbooten angegriffen hatte. Oder war er nur zu empfindlich? Hatte Grammont es ernst gemeint, als er gesagt hatte, daß seine Männer Ruhe brauchten?
Er entschied sich, keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden. Grammont konnte ruhig jedes Wort hören, das er aussprach. Er war schließlich kein Verräter.
Er starrte nach Süden, wo das Geräusch der Brandung immer stärker wurde, und hoffte, daß sie die Bucht von Lannion bald erreichten, denn es war wichtig, daß die Engländer nicht zu weit entwischten.
Yves Grammont wollte im Nebel mit ihnen Katz und Maus spielen und dafür sorgen, daß die Engländer in der Nähe blieben.
Hoffentlich spielt der Nebel mit, dachte Pierre Servan.
„Da sind sie wieder!“ rief Dan O’Flynn und reichte dem Seewolf den Kieker.
Hasard blickte durch das Spektiv und sah die Galeone und die Karavelle, die für eine Stunde im Nebel unter Land verschwunden gewesen waren, wie Geisterschiffe aus einer Nebelbank auftauchen.
Er stutzte einen Augenblick, als er die Galeone sah. Irgend etwas schien ihm anders. Und dann wußte er, was es war!
Die beiden Boote, die die Galeone im Schlepp gehabt hatte, waren verschwunden.
Der Seewolf brauchte nicht lange nachzudenken, was das zu bedeuten hatte. Jetzt war auch klar, warum die Piraten bei diesem dichten Nebel so weit unter Land gegangen waren.
Sie hatten ein paar ihrer Männer in den beiden Fischerbooten an Land geschickt. Offensichtlich wollten die Piraten Verstärkung heranholen, weil sie allein kein neues Gefecht mit den Engländern wagten.
Hasard ließ Ferris Tucker nach achtern rufen und befahl auch Carberry zu sich.
„Die beiden Fischerboote, die die Piraten in Schlepp hatten, sind verschwunden“, begann er, als alle in seiner Kammer versammelt waren. „Das kann nur heißen, daß sie Hilfe holen und uns dann mit vereinten Kräften angreifen wollen. Ich habe da eine Idee, aber dazu will ich von dir, Ferris, wissen, ob du die genaue Lage des Fischerdorfes kennst. Was meinst du, auf welcher Höhe es sich befindet?“
Hasard selbst hatte schon darüber nachgedacht. Sie hatten fast die ganze Nacht marschieren müssen, um von dort zur Bucht von Sillon de Talbert zurückzugelangen, aber sie hatten viele Buchten umgehen müssen, so daß sehr schwer auszurechnen war, wie viele Meilen sie in Luftlinie zurückgelegt hatten.
„Wir müßten eigentlich schon daran vorbei sein“, sagte Ferris Tucker Hasard nickte. Auch er glaubte es. Mit dem achterlichen Wind hatten sie in den paar Stunden eine ziemlich große Strecke zurückgelegt.
Er beugte sich über die Seekarte, die er vor sich auf seinem Tisch liegen hatte, und wies mit dem Finger auf eine Stelle an der Küste.
„Hier ungefähr müßte unsere Position sein“, sagte er. „Das stimmt auch mit meinen Vermutungen betreffs der ausgesetzten Fischerboote überein. Wahrscheinlich ist ihr Ziel Lannion. Dort werden sie Piraten kennen, die ihnen helfen könnten.“
„Willst du Lannion angreifen?“ fragte Ben Brighton überrascht.
Hasard schüttelte den Kopf.
„Nicht angreifen“, sagte er, „aber ich hätte zu gern gewußt, was wir von dort zu erwarten haben. Außerdem denke ich an die armen Hunde im Fischerdorf, die ihre sämtlichen Boote verloren haben. Jeder von euch weiß, welche Katastrophe das für das Dorf bedeutet.“
„Ah“, sagte Ferris Tucker, „du willst unsere beiden Boote, die wir von den Piraten erbeutet haben, ins Fischerdorf zurückbringen und von dort aus über Land nach Lannion …“
Der Seewolf lächelte.
„Du hast es erfaßt; Ferris“, sagte er. „Aber du wirst diesmal nicht dabei sein, weil wir dich hier brauchen. Wir müssen endlich unseren Bugspriet wieder in Ordnung bringen.“
„Du solltest aber Leute schicken, die die Fischer schon kennen“, sagte Dan O’Flynn. „Ich melde mich freiwillig.“
Der Seewolf nickte.
„Du pullst eins der Boote mit drei anderen an Land“, sagte er. „Das zweite Boot übernimmt Ed. Seht zu, daß ihr unter den Fischern Helfer findet, die euch nach Lannion führen. Sagt ihnen, daß sie sich dort zwei weitere ihrer Boote zurückholen können. Damit wäre ihr Dorf vorerst vor dem Verhungern bewahrt.“
„Dann müßten wir aber an der Küste zurückkreuzen“, sagte Carberry. „Du wirst die beiden Piratenschiffe aus den Augen verlieren.“
Читать дальше