Hasard fluchte unterdrückt.
„Habe ich mir doch gedacht!“ stieß er hervor.
„Was hast du dir gedacht?“ fragte Ferris, der mit seiner Arbeit fortfuhr.
„Daß die Piraten in der Fischerhütte irgend etwas gesucht haben: nämlich Waffen.“
„Habt ihr die Steinplatte neben dem Kamin nicht gefunden?“ Ferris hob überrascht den Kopf.
Hasard schüttelte den Kopf. „Wir wollten nicht zuviel Zeit verlieren. Schließlich waren wir hinter den Kerlen her, um dich zu befreien.“
„Der eine der beiden, die die Piraten zur Fischerhütte führten, heißt Le Testu, der andere Montbars“, sagte Ferris. „Ziemlich wüste Kerle. Wenn es keine Piraten waren, dann sicher andere Verbrecher.“
Die Namen sagten Hasard auch nichts.
„Der Kerl, den die anderen Le Testu nannten, war ein merkwürdiger Kauz“, fuhr Ferris Tucker fort.
„Wieso?“
„Na, er beschimpfte mich, ich sei ein verräterischer englischer Hurensohn“, sagte Ferris, „und später in der Fischerhütte hat er gesagt, daß er mich wegen meines Verrates wie ein Schwein aufhängen lassen würde.“
Der Seewolf grinste.
„Und das hast du alles verstanden?“
„Und ob!“ erwiderte Ferris Tucker stolz. „Ich habe schließlich einiges auf der ‚Mercure‘ gelernt.“
„Reisen bildet“, warf Roger Brighton grinsend ein.
Hasard begann nachzudenken. Was hatten Ferris Tuckers Worte zu bedeuten? Wieso nannten sie ihn einen Verräter?
„Da fällt mir noch was ein“, sagte Ferris. „Auf dem Weg von der Hütte ins Fischerdorf haben sich dieser Le-Testu und Servan unterhalten. Dabei ist oft das Wort ‚Hugenotten‘ gefallen, und Le Testu sprach immer wieder von katholischen Hundesöhnen.“
„Du meinst, dieser Le Testu gehörte gar nicht zu den Piraten, sondern ist ein Hugenotte?“
„Kann sein“, murmelte Ferris. „Ich weiß aber nicht, wie uns das weiterhelfen sollte.“
Der Seewolf erwiderte nichts. In seinem Kopf begann sich ein Gedanke zu bilden, der ihn nicht wieder losließ. Hatten die Piraten diesen Le Testu eingeseift? Hatten sie ihm vorgelogen, daß sie ebenfalls Hugenotten wären, damit sie mit Waffen versorgt wurden? Warum sonst hatten sie Ferris Tucker als Verräter beschimpft? Ein Hugenotte würde niemals einen Engländer einen Verräter nennen, wenn dieser nicht mit den Spaniern zusammenarbeitete. Hatte das der Pirat Servan etwa behauptet?
„Ferris“, sagte er, „was waren dieser Le Testu und der Mann namens Montbars für Kerle?“
Ferris schaute Hasard überrascht an.
„Hab ich dir doch schon gesagt“, meinte er. „Wenn es keine Piraten waren, dann eben andere Halsabschneider. Wenn einer von den beiden hier bei uns an Bord wäre, würde ich jede Stunde nachschauen, ob mein Hammer, meine Axt und mein Dechsel noch an Ort und Stelle liegen.“
„Du meinst nicht, daß man sie vielleicht gegen die Piraten ausspielen und zu Verbündeten machen kann?“
„Diese Schnapphähne zu Verbündeten?“ rief Ferris. „Dann können wir uns unsere Hälse gleich selber durchschneiden!“
Der Seewolf erwiderte nichts. Ferris schien nicht begriffen zu haben, mit welchem Gedanken er gespielt hatte.
Die beiden Hugenotten befanden sich jetzt an Bord der Piratengaleone, und mit aller Wahrscheinlichkeit waren sie schon irgendwo unter Deck eingesperrt, denn die mit den Spaniern zusammenarbeitenden Piraten und die Hugenotten mußten Todfeinde sein.
Aber was nutzen mir die beiden Hugenotten, wenn sie Gefangene der Piraten sind? fragte sich Hasard. Er schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, weitere Gedanken daran zu verschwenden. Er sah, daß Ferris Tucker mit der Arbeit am Sprietmast fertig war, und half ihm, die Stenge an Deck zu bringen.
Ferris Tucker war bereit, den neuen Bugspriet während der Fahrt anzubringen, aber Hasard verbot es. Er wollte keinen Mann durch einen Unfall verlieren.
Die beiden Piratenschiffe hatten den Abstand bisher ziemlich halten können, und das aufziehende Wetter war ihr Verbündeter.
Von der Sonne, die vor Stunden glutrot über der Küste aufgegangen war, war nichts mehr zu sehen. Dunkle Wolken hatten sich vor sie geschoben. Der Nebel begann, dichter zu werden, und der Wind hatte mächtig aufgefrischt. Gischtfahnen wehten über das Deck der „Hornet“.
Immer wieder verschwanden die Piratenschiffe in dichten Nebelfeldern, aber noch hatten die „Hornet“ und die „Fidelity“ sie nicht aus den Augen verloren.
Der Seewolf ließ zu Terry hinübersignaliseren, daß sie dichter zusammenbleiben sollten. Es dauerte eine Weile, bis Hasard Antwort erhielt, und er wußte, daß Terry sich wieder einmal schwertat, einen Befehl hinzunehmen. Aber das war ihm gleichgültig. Er hatte sich geschworen, mit Easton Terry keine Geduld mehr zu haben. Er mußte einsehen, daß nur einer das Kommando des Unternehmens haben konnte, und das war er, Philip Hasard Killigrew.
„Du wolltest dir doch diesen Hugenotten vornehmen“, sagte Servan zu Yves Grammont.
„Das werde ich auch“, stieß der bärtige Pirat hervor. „Und er wird alles ausspucken, was er weiß. Meinst du, daß er weiß, wer dieser schwarzhaarige Teufel ist, der uns zusammengeschossen hat?“
Pierre Servan schüttelte den Kopf.
„Niemals“, sagte er entschieden. „Du hättest ihn und den Korsen mal gegen die Engländer kämpfen sehen sollen, als wir sie im Wald in die Falle gelockt hatten. Nein, der Kerl hat mir alles abgenommen, was ich ihm von den englischen Verrätern, die mit spanischen Spionen zusammenarbeiten, erzählt habe.“
Yves Grammont brummte etwas in seinen Bart. Der Gedanke an den schwarzhaarigen Engländer ließ ihn nicht los. Ein harmloser Kauffahrer war er bestimmt nicht, dafür wollte Grammont seine Seele verwetten. Und wenn es stimmte, was er Saint-Jacques gegenüber geäußert hatte, daß die Engländer ein Kommando losgeschickt hatten, die gegen die französischen Piraten kämpfen sollten, die immer wieder englische Schiffe im Kanal kaperten, dann hatte man bestimmt keinen unbekannten Mann geschickt.
War es vielleicht sogar Drake?
Yves Grammont schüttelte den Kopf. Er hatte Männer von Drake erzählen hören. Er sollte ein mittelgroßer, unscheinbarer Mann sein, der schwarzhaarige Teufel auf dem Achterdeck der „Hornet“ hatte jedoch ausgesehen, als sei er mindestens sechs englische Fuß groß.
Wen gab es noch? Frobisher? Nein, der mußte inzwischen fast sechzig Jahre alt sein. Der schwarzhaarige Teufel war wesentlich jünger gewesen.
Yves Grammont schüttelte die Gedanken ab. Er durfte sich nicht verrückt machen lassen.
Als er das Deck wieder betrat, sah er, daß sich das Wetter innerhalb einer halben Stunde wesentlich verschlechtert hatte. Von der Sonne war nichts mehr zu sehen. Nebelbänke stiegen aus dem Meer auf und verschluckten dann und wann die Verfolger, die in gleichbleibendem Abstand hinter ihnen hersegelten.
Yves Grammont wußte, daß es ein glatter Fehler gewesen wäre, hätte er die Herausforderung der Engländer angenommen. Sie hatten nach dem Bericht Servans beim nächtlichen Angriff durch die sieben Jollen gezeigt, daß sie mächtig auf der Hut waren und sich nicht so leicht überrumpeln ließen.
Er wußte, daß er die „Louise“ und die „Coquille“ auch noch aufs Spiel setzte, wenn er ein zweites Gefecht mit den Engländern wagte.
Nein, dachte er, ich muß mir etwas anderes einfallen lassen. Allein sind wir den Engländern nicht gewachsen. Wir können sie nur packen, wenn wir sie von allen Seiten gleichzeitig angreifen.
Aber wie?
Er hatte nur noch zwei Schiffe, und die Engländer waren ebenfalls zu zweit.
Ich brauche Verstärkung, dachte Yves Grammont.
Wie ein Blitz zuckte der Gedanke durch sein Hirn, und sofort wußte er, was er zu tun hatte.
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