„Der fühlt sich bestimmt wie neugeboren“, sagte Dan. „Muß schon ein verdammt lausiges Gefühl für den guten Mac gewesen sein. Und den Bauch kann er sich bestimmt auch seit sehr langer Zeit wieder mal richtig vollschlagen.“
„Bin gespannt, was die anderen sagen“, meinte Hasard.
„Die nehmen ihn sicher mit offenen Armen auf“, erklärte Dan. „Sogar mein Alter wird erfreut sein, wenn er die Geschichte hört. Aber ich glaube, er kennt Mac gar nicht. Aber für den Kutscher ist er ganz sicher eine große Hilfe.“
Vor dem „Red Lion“ standen zwei Pferdefuhrwerke. Die Gäule ließen die Köpfe hängen und standen da wie angenagelt. Den beiden Kutschern in der Kneipe ging es nicht viel anders. Sie hatten Humpen mit Dünnbier vor sich stehen und starrten auf die Platte. Nach ihrem stumpfen Blick zu urteilen, waren es schon etliche Humpen.
Hasard bestellte beim eilfertig heranwieselnden Wirt drei kräftige Mahlzeiten, dazu ebenfalls kühles Dünnbier, das der Wirt aus dem Keller holte. Die drei Mahlzeiten für zwei Personen gaben dem Wirt zwar anfangs ein Rätsel auf, doch später begriff er.
Es war, als hätte Mac es gerochen. Kaum stand das Essen auf dem Tisch, erschien er, und diesmal grinste der alte Sauertopf bis über beide Ohren.
Hasard und Dan blickten ihn lange an.
Mac war frisch rasiert, gebadet, hatte die Haare geschnitten, trug ein sauberes Leinenhemd und eine Leinenhose. Dazu hatte er sich ein Paar derbe Lederschuhe gekauft. Sie kannten ihn kaum wieder, so sauber und glatt sah er aus.
„Mann, bist du ein feiner Kerl geworden“, lästerte Dan, um nicht wieder in Macs Danksagungen ersticken zu müssen. „Frisch geplättet, frisch rasiert und keine einzige Laus im Gesicht.“
Mac grinste noch immer, das war bei ihm zwar reichlich ungewöhnlich, aber die Umstände waren nun einmal so.
„Recht so, Mac“, sagte Hasard. „Du siehst wirklich prächtig aus. Hier, nimm dir einen Humpen Bier und lang zu. Wenn das Essen nicht reicht, dann bestelle ich noch mal eine Portion.“
„Sir, ich weiß nicht …“, setzte Mac wieder an.
„Greif zu!“ forderte Hasard ihn auf. „Vom vielen Dankeschönsagen ist noch keiner satt geworden.“
Dann haute Mac rein. Man sah, daß er ausgehungert war weil es im Schuldgefängnis nichts weiter als ein Stück Brot und eine undefinierbare Brühe gegeben hatte.
„Ein Traum ist das“, sagte Mac Pellew anschließend, nachdem er sich satt gegessen hatte. „Ich kann es immer noch nicht so richtig glauben, es ist so unwirklich.“
Etwas später brachen sie auf und kehrten zum Hafen zurück, wo die „Pride of Galway“ und Ben Brightons Sambuke lagen.
Der Profos Edwin Carberry stierte sich fast die Augen aus. Anfangs hatte es so ausgesehen, als hätten Hasard und Dan den alten Hesekiel Ramsgate gefunden und brächten ihn nun zurück. Aber Ramsgate unterschied sich von diesem Mann doch beträchtlich, und so stierte der Profos weiter. Dann zuckte er zusammen.
„O Großlord“, sagte er andächtig und grinsend, „wenn das nicht der alte Affenarsch und Sauertopf Mac Pellew ist, dann soll mich doch gleich ein Eisbär am Hintern kratzen.“
„Mac Pellew?“ fragte Smoky. „Der hat sich doch längst in Essig verwandelt, du mußt dich täuschen, Ed.“
„Und ich sage euch, er ist es, ihr trübäugigen Kanalratten.“
Gespannte Gesichter sahen den drei Männern entgegen. Es gab jetzt keinen Zweifel mehr: Das frisch gewaschene Individuum war tatsächlich der gute alte Mac. Wo mochte Hasard den wohl aufgegabelt haben? Das war die Frage, die sich jeder neugierig stellte.
Sie alle hatten ihn viele Jahre lang nicht mehr gesehen, und keiner wußte, was aus ihm geworden war. Und jetzt war er da, frisch wie aus dem Ei gepellt, schicklich in helles Tuch gekleidet und mit gestutzten Haaren.
Er winkte schon von weitem, riß dann beide Arme hoch und brüllte schließlich vor Freude. Dabei schniefte er ständig und konnte nicht vermeiden, daß abermals Wasser in seine Augen trat.
„Ah, der Profos“, flennte er und umarmte Carberry. Die meisten von ihnen kannten sich noch von der „Marygold“ her, und Mac flitzte hin und her, flennte, umarmte, hockte sich dann an Deck und begrüßte die Männer, die er noch nicht kannte.
Dann erzählte er seine Geschichte, und als er damit fertig war, sagte der Profos: „Mac könnte doch an Bord bleiben, Sir. Wenn wir den Neubau fertig haben, brauchen wir noch einen guten Zweitkoch. Und kochen kann der alte Bursche, wirklich.“
„Deshalb haben wir ihn auch mitgenommen“, sagte Hasard. „Dasselbe schwebte nämlich Dan und mir ebenfalls vor.“
Damit war Mac Pellew in den Kreis alter und neuer Freunde aufgenommen. Anschließend lernte er die Zwillinge kennen und erfuhr auch die Geschichte dazu.
„Die sind dir wie aus dem Gesicht geschnitten, Sir“, sagte er, „das ist einfach unglaublich.“
Hasard beobachtete seine Söhne, ob sich auf deren Gesichtern Ablehnung abzeichnete, doch davon war nichts zu erkennen. Anders als bei dem alten Schlitzohr Ali Abdel Rasul, dem sie sofort mit allergrößtem Mißtrauen begegnet waren, benahmen sie sich. Sie waren freundlich, musterten Mac und fanden ihn in Ordnung. Auch Old Donegal hatte diesmal nichts auszusetzen, aber er glaubte, Mac Pellew schon einmal gesehen zu haben. Sicher war er sich seiner Sache allerdings nicht. Und wenn, dann war das schon verdammt lange her.
Nach und nach erfuhr Mac Pellew so alles, was in der Zwischenzeit passiert war, und er erfuhr auch, daß sie ein kleines Problem am Hals hatten, das ihnen Schwierigkeiten bereitete.
„Jetzt ist dieser Mann spurlos verschwunden“, beendete Ferris Tucker die lange Erklärung.
„Ramsgate kenne ich gut“, sagte Mac, „schon eine Ewigkeit, und Plymouth kenne ich bis in den letzten Winkel. Vielleicht hat man ihn aus irgendwelchen Gründen doch umgebracht und seine Leiche verschwinden lassen.“
Der Kutscher, Matt Davies, Smoky, Ben Brighton, Blacky, Bob Grey, Roskill, Bill, Roger Brighton, Finnegan, der alte Segelmacher Will Thorne, fast alle hockten sie herum und erzählten. Auf der „Pride of Galway“ herrschte eine beängstigende Enge, als alles an Deck versammelt war.
Dann erwies sich etwas später, welchen Goldfisch sie mit Mac Pellew an Bord gezogen hatten.
Nachdem die Begrüßungsfreude und das Erzählen wieder normales Maß angenommen hatten, wurde Pellews Gesicht zusehends faltiger und erinnerte sie wieder an den alten, ewig grämlichen Mac Pellew, auf dessen Schultern alle Last dieser Welt ruhte.
Er kratzte sich das sauber rasierte Kinn und sah mit Leichenbittermiene auf die Planken des Schiffes.
„Wenn sie den alten Hesekiel nicht umgebracht, sondern nur versteckt haben“, sagte er, „dann kenne ich eine Ecke, wo man jemanden unauffällig verbergen kann. Ich weiß ja nicht, wer dahintersteckt, ob es ein oder mehrere Kerle sind, aber das ist schließlich egal.“
„Dann sag schon, was du vermutest, Mac“, sagte Blacky, der früher ebenfalls auf der „Marygold“ gefahren war.
„Hm, ist nur ’ne Vermutung“, murmelte Mac und kratzte sich wieder das Kinn, weil er sich an die frische Rasur noch nicht gewöhnt hatte.
„Dann sag doch endlich deine Vermutung“, sagte Smoky.
Der ehemalige Koch sah die Männer der Reihe nach an. „Wie gesagt, es ist nur ’ne Vermutung.“
„Himmel“, sagte Carberry lachend, „jetzt brummelt er wieder genauso rum wie damals bei Drake. Verdammt, deine Vermutung ist vielleicht eine Menge Geld wert, Mac.“
„Also, da draußen, am Stadtrand, da gibt’s so ’ne uralte Windmühle. Die ist schon seit vielen Jahren außer Betrieb, und ich weiß auch nicht, wem sie gehört. Aber in dieser Mühle treibt sich manchmal Gesindel rum, Landstreicher übernachten da auch schon mal. Also, wenn ihr mich fragt und ich müßte jemanden verstecken, dann würde ich ihn zu der alten Mühle bringen.“
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