Die beiden Halunken hatten sich gesucht und gefunden, obwohl sie sich nicht richtig ergänzten, und Burton mußte den Übereifer und die Phantasie des ehemaligen Hauptmanns manchmal gewaltsam zügeln, denn der rückte mit den unglaublichsten Vorschlägen heraus.
Burton hatte ihn auch vor einer sehr „grandiosen“ Idee bewahrt. Bromley hatte vor, das Schiff der Seewölfe nachts anzubohren, alle Ausgänge schnell mit Brettern zu vernageln, damit keiner mehr herauskonnte, und dann zuzusehen, wie sie absoffen. Das war nur einer seiner merkwürdigen Einfälle. Ein anderer war der, in Plymsons Kneipe Löcher in die Wände bohren zu lassen, Musketen hindurchzustecken und die Seewölfe durch eine Handvoll ausgebildeter, guter Schützen abzuknallen. Samuel Taylor Burton hatte ziemlich lange gebraucht, um ihm diesen Unsinn auszureden.
Auch die Idee mit den tausend halbverhungerten Ratten, die er auf das Schiff schmuggeln wollte, hatte er abgelehnt.
„Wenn er heute nicht redet“, sagte Bromley eifrig, „dann erkläre ich ihm, wir hätten seine Frau geschnappt und würden sie umbringen.“
„Er hat doch gar keine Frau, Mark.“
„Ach ja, richtig. Er hatte aber mal eine.“
„Das nützt uns doch jetzt nichts mehr, sie ist längst tot“, sagte Burton geduldig und kratzte seinen grauen Bart.
„Ich weiß gar nicht, warum du auf die Pläne so versessen bist, Sam. Wir könnten ganz anders vorgehen, das dauert alles viel zu lange.“
„Es geht nicht nur um die Pläne, Mark, das habe ich schon hundertmal gesagt. Es geht auch um die Beute, die die Kerle mitgebracht haben. Sie besitzen Gold, Silber und Edelsteine, das ist sicher, sonst wären sie gar nicht in der Lage, ein solch großes Schiff zu finanzieren. Also sind sie reich. Und ich will nicht nur meine Rache, ich möchte mir für meine restlichen Tage in diesem Jammertal etwas zurücklegen, um nicht zu hungern. Du willst doch auch nicht hungern, oder? Mit dem Gold hättest du für alle Zeiten ausgesorgt.“
Damit hatte er Bromleys empfindlichsten Punkt getroffen.
„Hungern?“ sagte der entsetzt und mit flackerndem Blick. „Nein, ich will nie mehr hungern. Zwanzig Jahre habe ich gehungert.“
„Zehn waren es genau.“
„Mir kam es länger vor. Nein, du hast ganz recht, Sam. Ich habe mir soeben überlegt, daß ich mir mit dem Geld einen riesigen Bunker bauen könnte, in dem ich Lebensmittel einlagere, so viel, daß es bis an mein Lebensende reicht.“
Burton kannte diesen Spleen und konnte ihn Bromley nicht einmal verübeln. In gewisser Weise verstand er das.
„Die Pläne sind ebenso wertvoll“, erklärte er dem spinnerten Exhauptmann geduldig. „Einen Gegner, den man genau kennt, besiegt man besser als einen anderen. So ist es auch mit dem neuen Schiff, wenn es ihnen gelingt, es zu bauen. Dieses Schiff wird viele unbekannte Verstecke haben, aber sicher auch einige schwache Stellen, und es wird nach seiner Rückkehr wieder mit Gold und Edelsteinen beladen sein. Kennt man aber alle geheimen Gänge, Kammern oder Fallen, so kann man eine andere wohlüberlegte Strategie entwikkeln. Das ist so wie bei dem Einäugigen, der unter den Blinden König ist. Auf einem Schiff aber, das wir nur von außen sehen, können wir nichts ausrichten. Schon gar nicht bei dieser Mannschaft von lebenden Feuerteufeln.“
„Ja, Feuerteufel, das sind sie“, sagte Bromley voller Haß. „Denen habe ich das alles zu verdanken. Den Hunger, die Krankheiten, die Ratten, das schlechte Wasser. Sie sind an allem schuld.“
Auch das war Bromleys Philosophie. Natürlich waren die anderen schuld. Hätten sie ihn mit der Beute ziehen lassen, wäre seiner Meinung nach alles in Ordnung gewesen. Weshalb waren sie auch so knickrig, sie hatten ja genug von dem Zeug. Also trugen sie die Schuld an seinem Unglück.
„Gehen wir“, sagte Burton jetzt ungeduldig.
Diesen letzten Satz hörte auch Ramsgate, und die Angst stieg wieder in ihm hoch. Dann befanden sich die beiden Kerle vor ihm und glichen Riesen, die auf ihn niederschauten.
„Hoffentlich hast du heute deine Sprache wiedergefunden, Alter“, sagte Burton anstelle einer Begrüßung. Er ging in die Hocke und sah Ramsgate in die Augen. Bromley stand mit verkniffenem Gesicht daneben und wartete ungeduldig.
„Durst“, sagte der alte Schiffbauer mit schwacher Stimme, und diesmal brauchte er sich wirklich nicht zu verstellen, denn er hatte Durst.
„Durst“, wiederholte Burton höhnisch. „Du wirst noch viel mehr Durst haben, viel mehr. Der Durst wird dich auffressen und in deinen Eingeweiden wühlen. Aber ich kann dir frisches Wasser bringen, kühles, gutes Brunnenwasser. Du brauchst nur das zu erzählen, was wir gern wissen möchten. Willst du klares, kaltes Wasser?“
Ramsgate wußte, daß er wirklich nur dann etwas zu trinken erhielt, wenn er den Kerlen alles verriet. Er fragte sich nur, was dann anschließend wohl mit ihm geschehen würde.
Vor seinem geistigen Auge tauchte die sehnige Gestalt des Seewolfs auf, der Mann mit den langen schwarzen Haaren, der Narbe über der Stirn, den weißen Zähnen, dem verwegenen Lächeln. Ein Mann, der weiträumig dachte, grundanständig und ehrlich war, nicht wie diese abgetakelten Halunken, gar kein Vergleich. Den sollte er wegen einer Muck voll Brunnenwasser verraten?
Er lächelte abwesend, schloß die Augen und lehnte sich an den Eichenbalken zurück.
„Wo bin ich eigentlich?“ fragte er heiser. „Seid ihr die Teufel aus der Hölle? Und wer ist die alte Frau dort?“ Er kicherte laut und öffnete die Augen. „Satans Großmutter!“ schrie er, so daß Bromley entsetzt zurückzuckte.
„Der ist ja verrückt“, sagte Bromley gepreßt. „Der hat wirklich nicht mehr alle da oben drin.“
„Oder er tut nur so“, meinte Burton und gab dem Alten einen Tritt.
Ramsgate ließ auch das über sich ergehen. Er hatte schon so viele Tritte erhalten, daß er sie nicht mehr zählen konnte.
„Die Teufel aus der Hölle piesakken mich!“ rief er laut mit schriller Stimme und begann hämisch zu lachen.
Diesmal zuckte auch Burton zurück und betrachtete Ramsgate voller Entsetzen. Vielleicht hat sich doch der Geist des Alten verwirrt, dachte er. Ein Schlag zuviel nur, das brachte mitunter einiges im Oberstübchen durcheinander.
„Hör zu, Alter!“ brüllte er den Gefangenen an. „Überlege dir das alles lieber genau. Du kannst hier krepieren, und du bleibst so lange in dieser – äh – Ecke, bis dich die Ratten fressen. Und nachher schicke ich deinen rothaarigen Freund, der wird dich ein bißchen mit einer glühenden Zange zwicken, bis dein Geist wieder klar wird.“
„Lieber Gott, steh mir bei!“ kreischte Ramsgate. „Ich habe viel gesündigt in meinem Leben, aber nimm diese Teufel weg. Und fort mit dem alten, fürchterlichen Weib da!“
Sein Gekreische fuhr Mark Bromley so in die Knochen, daß er sich zitternd an einen Balken lehnte und Ramsgate aus weit aufgerissenen Augen voller Entsetzen anstarrte.
Vor Leuten, deren Geist umnebelt war, fürchtete er sich auch, denn alle, die nicht ganz richtig im Kopf waren, standen auf geheimnisvolle Weise mit dem Satan im Bunde. So jedenfalls hatte er es damals im Kerker immer gehört. Diese Leute verstanden es auch, sich mitunter in Luft aufzulösen oder durch die Luft zu fliegen.
Burton war zwar auch durch das Geschrei etwas beeindruckt, aber er behielt wenigstens die Übersicht.
„Kreisch nur, du alter Kerl“, drohte er, „das wird dir bald vergehen. Spätestens morgen wirst du winseln und dir wünschen, nie geboren zu sein.“
Dann wandte er sich verärgert an Bromley.
„Aus dem kriegen wir heute nichts mehr heraus. Das soll John übernehmen. Gehen wir.“
„Er – er hat den bösen Blick“, stammelte Bromley. „Vielleicht verhext uns der Kerl.“
„Quatsch!“ sagte Burton grob, aber so ganz sicher war er sich seiner Sache auch nicht. Er warf einen Blick auf Ramsgate und schluckte. Zum Fürchten sieht der Kerl wirklich aus, dachte er. Unrasiert, schmal, mit verkniffenem Gesicht und keifender Stimme saß der Mann vor dem Balken und rollte mit den Augen. Dazwischen lachte er schrill, daß es Burton kalt über den Rücken rann.
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