Der Profos räusperte sich verlegen und mampfte weiter.
„Eigentlich bist du ein feiner Kerl, Kutscher“, sagte er dann, was man wohl als so eine Art Entschuldigung auffassen konnte.
Der Kutscher seufzte tief.
„Eigentlich“, sagte er, „bin ich manchmal ein richtiger Sauhund. Aber ich muß das mit Köpfchen wieder ausgleichen, was die anderen mit roher Kraft tun, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Ja, ich verstehe“, sagte Ed spontan, obwohl er gar nichts verstand, denn er wußte nicht genau, was der Kutscher überhaupt meinte.
„Äh – entschuldige, wenn ich dich vorhin so angebrüllt habe, Kutscher.“ „Mistbock hast du mich genannt“, sagte der Kutscher schwer. „Entschuldige, alter Junge.“
„Und Kombüsenwanze.“
„War nicht so gemeint, Kutscher.“
„Und mickriger Seewurm.“
„Das sind so meine Ausdrücke“, murmelte Ed.
„Und geteerte Kanalratte.“
„Geteerte Kanalratten gibt’s gar nicht“, sagte Ed. „Das brauchst du nicht auf dich zu beziehen.“
„Jedenfalls war ich ziemlich traurig, als ich das hörte. Dabei habe ich es doch nur gut gemeint“, sagte der Kutscher leicht schluchzend.
Das wiederum rührte den Profos, und sein weiches Herz kam zum Vorschein. Er legte dem Kutscher den Arm um die Schultern und nickte ihm beruhigend zu.
„Nun kotz mal hier keine Knochen“, sagte er burschikos. „Ein Kerl wie du, der nimmt doch mir nichts übel.“
„Dann nimmst du mir auch nichts übel?“
„Kein bißchen“, versicherte Ed. „Und von nun an hast du jede Woche eine Kakerlake bei mir gut. Sollte dir also mal eine ins Essen fallen, dann werde ich nicht einmal husten. Und wirklich, Kutscher: Es ist schade, daß wir diese ägyptischen Gewürzkaker …, äh, -spinnen über Bord gekippt haben.“
Der Kutscher zwinkerte dem Profos zu.
„Ich habe noch ein paar“, sagte er vertraulich. „In der Kombüse sieht noch eine andere Kruke.“
„Dann ist ja alles in Ordnung, du verdammtes Schlitzohr.“
Das mit dem Schlitzohr hörte der Kutscher gern, es ging ihm runter wie Honig mit Milch. Aber ein schlechtes Gewissen hatte er doch, wenn auch nur ein ganz klein wenig.
Aber hätte er sich wegen dieser lausigen, tiefäugigen irischen Kakerlake vom Profos verprügeln lassen sollen? No, Sir! Da mußte man schon ein wenig mit kühler Intelligenz nachhelfen, damit man nicht zu Schaden kam.
Der Profos fragte sich nur beklommen, warum die Kerle alle so merkwürdig starre Gesichter hatten. Bestimmt hatten sie die orientalische Gewürzspinne im Essen vermißt.
Ja, so war das wohl. Zum Glück satte der Kutscher ja noch welche.
Auf dem staubigen Absackboden der alten Mühle, weit draußen vor der Stadt herrschte stickige, dumpfe Hitze. Die Sonne heizte die alte Mühle wie einen Backofen auf.
Hesekiel Ramsgate lag auf dem Absackboden, in Schweiß gebadet, nach Luft schnappend.
Der alte Schiffbaumeister war zäh, hart und ausgemergelt, und in seinen langen Jahren hatte er so manches erdulden müssen. Aber das hier schaffte ihn fast. Die staubige Hitze, der Durst, der Hunger und dann die vielen Schläge und Tritte der üblen Kerle, die es darauf anlegten, die Pläne der neuen „Isabella“ in ihren Besitz zu bringen.
Die Mühle war nicht mehr in Betrieb, schon lange nicht mehr. Innen hatten sich Schaben und Mäuse eingenistet und fraßen die letzten Reste Kleie aus den Ritzen. In einer der Schütten raschelte es wieder, obwohl da kaum noch etwas zu holen war.
Ramsgate war an einen Eichenbalken gekettet und konnte sich nur ein wenig bewegen.
Immer wieder sah er sich in seinem Gefängnis um, obwohl er es nun schon zur Genüge kannte. Er war noch nie hier gewesen, auch dann nicht, als die Mühle noch in Betrieb war. Weil ihn die Langeweile plagte, sah er sich jedoch immer wieder um. Staub, Spreu und verpappte Kleie bedeckten den Absackboden bis zur Schroterei. Die geriffelten Schrotwalzen waren verkleistert. Der Sichter war zusammengebrochen oder zerstört worden, und auch der Teil, wo der Grieß einstmals durch die Glattwalzen gelaufen war, war nur noch Schrott.
Sein Blick wanderte weiter über den Absackboden zur Sichterei und Putzerei mit dem Separator, wo Dreck und Spreu entfernt worden waren, wenn das Getreide hier eintraf. Nein, nirgendwo lag etwas herum, womit er sich aus seiner üblen Lage befreien konnte. Schon gar nicht in seiner Nähe.
Er lehnte sich wieder zurück und schloß die Augen. Durch das Binsendach fiel Sonnenlicht herein. Mäuse raschelten, und ein leichter Wind ließ die alte Mühle leise ächzen und stöhnen, als besänne sie sich auf alte, bessere Zeiten, wo sich das Mühlrad noch im Wind gedreht und die schweren Mahlsteine in Bewegung gesetzt hatte. Mitunter knarrte auch das alte Holz, dann hörten die Mäuse auf zu rascheln, und minutenlang kehrte absolute Stille ein.
Nach einer endlos langen Zeit hörte er ferne Stimmen und schrak hoch.
Die Halunken kehrten wieder zurück, um ihn zu piesacken, um ihn auszuhorchen, denn bisher hatte er sein Geheimnis noch nicht preisgegeben. Er schätzte den Seewolf und seine Männer und wollte nicht, daß ihnen Schaden entstand. Es war schon bedauerlich genug, daß die Arbeiten an dem neuen Schiff nicht vorangingen.
Er versuchte, auch die Stimmen zu unterscheiden, doch er vernahm nichts weiter als ein undeutliches Murmeln und Raunen, das aus allen Ecken zu ertönen schien.
Draußen unterhielten sich tatsächlich zwei Männer. Sie hatten sich lange und ausgiebig umgesehen, ob ihnen auch niemand gefolgt war.
Der eine der beiden Kerle war Samuel Taylor Burton, ein Todfeind des Seewolfs, der vor zwölf Jahren einen Schlaganfall erlitten hatte. Burton war ehemals Friedensrichter von Plymouth gewesen, bis Hasard seine Machenschaften aufgedeckt hatte. Er hatte sich an dem Kronschatz bereichern wollen, an der unermeßlichen Beute der Seewölfe, und war gescheitert. Lange Jahre siechte er dahin, doch er genas wieder, ging nach Plymouth zurück und nahm ein undurchsichtiges Leben auf. Man sagte ihm nach, daß er die Hände in allerlei dunklen Geschäften habe und auf irgendwelchen miesen Wegen Rüstungsgüter und Ausrüstungen der britischen Flotte verschiebe. Wie, das war ihm nicht nachzuweisen, Burton hing jedenfalls in dem Geschäft mit drin.
Der andere war der ehemalige Tower-Hauptmann Mark Bromley, der damals ebenfalls klebrige Finger gehabt hatte. Er wurde erwischt und zu zehn Jahren schweren Kerkers verurteilt. Bis auf den letzten Tag hatte er sie absitzen müssen.
Seitdem hatte der ehrenwerte Exhauptmann einen leichten Knacks weg, denn die zehn Jahre Tower hatten sein Leben geprägt. Er sah ständig Gespenster, hörte Ratten in seiner Nähe umherhuschen und litt ewig unter Hunger, selbst wenn er übersättigt war. Das war auch so eine Marotte von ihm, sich ständig vollzufressen, bis nichts mehr in ihn hineinging. Doch selbst dann noch plagte ihn die Vorstellung eines leeren Magens. Er nahm auch nicht zu, er blieb so dürr und mager wie eh und je.
Mark Bromley hatte auch noch einen anderen Fimmel, ebenfalls eine Auswirkung von damals. In seinem Haus in Falmouth hortete er Lebensmittel, und zwar in solchen Mengen, daß er damit eine ganze Kriegsgaleone hätte ausrüsten können. Vieles von dem gehorteten Proviant war verschimmelt und stank entsetzlich, doch das störte Bromley nicht. Die Hauptsache, das Zeug war da und er brauchte nie mehr Hunger zu leiden, denn das war eine seiner übelsten Erfahrungen im Tower gewesen.
Seit er vor zwei Jahren entlassen worden war, hegte er nur noch fiebrige und wirre Rachegedanken gegen die Seewölfe. Jahrelang hatte er sich ausgemalt, was er alles mit jedem einzelnen tun würde, sollte er ihnen jemals wieder begegnen. Bromley war also ein Wirrkopf, vom Haß zerfressen, von unglaublichen Vorstellungen geplagt und gepeinigt und von Gespenstern erschreckt, die ständig hämisch kichernd um ihn herum waren. Er hatte unsägliche Angst vor totaler Finsternis, und er scheute andererseits aber auch das grelle Sonnenlicht, das er so lange vermißt hatte.
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