Scheinwerferlicht. Standing Ovations. Blumen. Kate Glory Lie ist Dragqueen, eine funkelnd-glamouröse Kunstfigur von fast zwei Metern Körpergröße, mit 15-Zentimeter-Absätzen und Wahnsinnskostümen. Mal schlüpft sie in die Rolle einer Geisha, mal in die der Cinderella, Schuhgröße 47 hin oder her. Im Alltag würde sie sich am ehesten als femininer Mann beschreiben, aber warum festlegen? Sie ist »Mann und Frau und alles dazwischen«. Seit fünf Jahren feiert sie ihren 37. Geburtstag, raucht zwei bis drei Schachteln am Tag, trinkt Champagner wie Wasser und sagt zu den farbenfrohen Pillen nicht Nein, mit denen ihre besten schwulen Freunde Fabio und Sebastião das WG-Leben aufmischen. Als Fabio jedoch einen riskanten Plan ausheckt, der um eine Pille namens »Monde de l’amour« kreist, Kate für ein Broadway-Theaterstück in die Staaten fliegt und zwischen der LGBT*-, Voguing- und Drogen-Szene New Yorks hin und her flattert, drohen die Kulissen des Theaters zusammenzustürzen, das ihr Leben ist.
Inhalt
Das Publikum erhebt sich für die Queen …
Im Land der Träume
Halbschlaf
Nach ein paar Stunden
Meditation
Am nächsten Morgen
Acht Minuten später
Nach tausend Tänzen, viel zu viel Alkohol und sieben Sonnenaufgängen
Kurze Zeit später
Am Abend
Viel später, als ich gedacht habe
Wir halten an
Am nächsten Tag
Donnerstag
Eine Stunde später
Dreißig Minuten später
Der letzte Schluck. Die Kanne ist leer
Der große Tag: Karneval
Währenddessen im Kopf von Fabio
Fabio und Sebastião machen sich für den Überfall bereit
Zwei Stunden später. Fabio und Sebastião auf dem Weg zur Charité
Wieder im Kopf von Kate Glory Lie
Eine Woche später
1. Juni
18. Juni
Ein Flirt mit dem Piloten, viele angefangene Filme, eine Rotweinflasche und zwei Tavors später
Eingewöhnungsphase
Der große Ball
Die Show beginnt
Der Tag der Übergabe
Nach einer schweigsamen Autofahrt kommen wir endlich an
Der Tag der Premiere – Broadway Baby!
Die Vorbereitungen sind in vollem Gange
Das Publikum erhebt sich für die Queen. Standing Ovations. Blumen. Oh Gott, nein. Womit hab ich das nur verdient? Ach, ich liebe es. Ich liebe das Publikum. Und ganz besonders liebe ich mich. Wer könnte diesen Job schon so gut machen wie ich? Niemand! Lächle, winke dem Publikum zu und denke mir meinen Teil. Die samtroten Vorhänge werden zugezogen. Das war’s! Stehe im Dunkeln. Vor dem Vorhang noch tosender Beifall. Mein Lächeln aber, verschwunden. Schaue mich um. Das Bühnenteam wuselt um mich herum. Sie wollen möglichst schnell abbauen und dann in den Feierabend. Kann ich verstehen. So geht’s mir auch.
»Miss Glory Lie! Mal wieder die Bühne zum Beben gebracht. Was für ’n Wunder! Kommst du mit? Wir machen ’ne Koksparty in Lorenzos Büro.«
Sie starrt mich ungeduldig an.
»Nee, Süße. Ich hab für heute die Nase voll. Vielleicht ein anderes Mal.«
»Wie du meinst. Wenn du was Besseres vorhast.«
Sie ist sichtlich verärgert. Lorenzo und seine Kokspartys. Die bringen mich noch um. Mein Ego ist so schon viel zu groß. Wo würde das hinführen? Anne zwinkert mir zu und dreht sich genervt weg. So liebevoll gehen wir miteinander um. Jedenfalls wenn wir gemeinsam Drogen konsumieren. Sonst hält sich das alles in Grenzen. Ist ja nicht so, als hätten wir das unbedingt nötig. Gebe noch sieben Personen Küsschen auf die Wange, von denen ich fünf Namen vergessen habe, und laufe zur Umkleidekabine. Ich bin ständig von Menschen umgeben. Tag und Nacht. Wie soll ich mir da noch alle Namen merken können? Ich brauch ’ne Pause. Ein wenig runterkommen. Vielleicht ein Erholungswochenende in irgendeinem Kaff, weit weg von Berlin. Nein, das würde ich vermutlich nicht überleben. Viel zu öde. So ein Hippie bin ich dann auch wieder nicht. Drücke mich gegen die Tür mit dem größten Stern und verdrehe die Augen. Nicht schon wieder. Simon hat Sex mit Olivia. Olivia hat dabei noch Sex mit Emma. Emma hält einen Dildo in der Hand, der mich an ein Laserschwert erinnert. Dann ist da noch jemand, dessen Namen ich nicht kenne. Ich glaube aber, dass er auch hier arbeitet. Hinter der Tür springt plötzlich Benjamin hervor. Der sieht ja mal wieder gut aus. Nur eine rote Fliege trägt er um den Hals. Zum Anbeißen! Olivia entdeckt mich. Benjamin kreist um mich herum. Ich kann mich kaum mehr konzentrieren.
»Hey, Kate! Da bist du ja. Wir haben schon die ganze Zeit auf dich gewartet.«
Ach, wie ich meine Arbeit liebe.
»Kinder! Danke für die süße Einladung, aber ich passe. Mir ist heute nicht danach.«
Sie schauen mich alle entsetzt an. Benjamin verzieht das Gesicht und sieht nun aus wie ein Bonobo-Affe, der sich gleich auf mich stürzen will. Ich mach lieber die Biege. Mache einen Schritt in die Umkleidekabine, schnappe mir meine Tasche und schlängele mich gekonnt an diesen kiloschweren Muskeln vorbei. Pah! Da soll mir noch mal jemand sagen, ich wäre nicht beweglich. Von wegen. Laufe durch den Flur zum Tor in die weite Welt, drücke mich gegen die Tür und bin draußen.
»Halleluja!«
Die Luft da drin bringt einen ja schier um. Aber das Leben ist nun mal kein Zuckerschlecken. Auch wenn wir uns das alle einreden. So, was passiert jetzt mit mir? Ziehe mein Handy aus der Tasche und checke meine Messages. Es sind 99+ Nachrichten. Die meisten davon sind aus Chatgruppen von irgendwelchen Veranstaltungen. Ich habe längst aufgehört mitzulesen. Überfliege mein Sozialleben und merke, dass ich heute überhaupt keine Lust darauf habe. Ich will niemanden sehen. Nur meine zwei süßen Mitbewohner, und die sind mir schon chaotisch genug. Halte das nächstbeste Taxi an und steige ein. Die Augenbrauen des Taxifahrers sind zusammengewachsen. Er starrt mich verwirrt an. Noch hat er Schwierigkeiten, mich mit seinem kleinen Gehirn einzuordnen. Dieser Hinterwäldler. Wohl noch nie so was Schönes wie mich gesehen. Dass die Menschen selbst in Berlin so von gestern sind.
»Wohin!?«
Ganz schön harter Ton, der Kerl.
»Einfach zum Monbijoupark. Bei der Tram dort.«
Wir fahren los. Draußen beginnt es zu regnen. Das Wetter ist wie immer ein Segen in dieser Stadt. Man gewöhnt sich daran. Die bunten Lichter verschwimmen. Freitagabend, 23:27. Die Straßen füllen sich. Nun fallen die Alkoholiker nicht mehr auf, weil jeder trinkt. Überall Flaschen. Das Geschäft der Woche für jeden Pfandflaschensammler. Es ist laut. Menschen springen über die Straßen. Mein Taxifahrer dreht durch. Hupt wie ein Bekloppter und faselt in irgendeiner Sprache vor sich hin. Mir kann’s egal sein. Es vibriert in meiner Tasche. Reagiere blitzschnell. Es ist Beatrix. Bestimmt möchte sie wissen, warum ich so schnell abgehauen bin. Das ist mir jetzt zu viel. Schalte das Handy aus und werfe es zurück in die Tasche. Oh Mann! Wie mich dieser Blick nervt.
»Hab ich was im Gesicht oder warum starrst du mich die ganze Zeit an wie ’ne Ziege?«
Er schaut wieder nach vorne und drückt aufs Pedal. Spinner! Selbst im Taxi fühlt man sich wie ein Außerirdischer. Als ob die U-Bahn nicht schon schlimm genug wäre.
Wir sind fast da. Noch um die Ecke. Geschafft. Die Anzeige sagt: Achtzehn Euro. Durchforste meinen Geldbeutel und sammle angewidert all meine Fünf-Euro-Scheine zusammen.
»Der Rest ist für dich.«
Eigentlich hätte er das nicht verdient. So bin ich aber wenigstens das Geld los. Die Vorstellung macht mich verrückt, in wie vielen Nasen diese Scheine schon drin waren. Kleine, große, krumme, spitze, stumpfe, breite, einfach jegliche Art von Nasen. Er bedankt sich, doch in seinen Augen sehe ich, er ist gegen mich. Das nennt man Diskriminierung. Schnappe meine Tasche, ziehe den Kopf ein, verlasse das Auto und knalle die Tür so stark zu, wie ich nur kann. Es wackelt. Er schreit. Ich lache.
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