Doch hatte der alte Belladona nicht Recht, ihm zu misstrauen? Das fragten sich alle. Diesem arroganten Fremden zu misstrauen und ihm gleich zu Beginn die Regeln seines Hauses und seiner gesellschaftlichen Schicht aufzuzeigen? Bestimmt hatte sich der Alte gefragt – und alle stellten sich diese Frage –, wie es sein konnte, dass ein Mulatte, der behauptete, aus New York zu kommen, an einem Ort aufkreuzte, wo die letzten Schwarzen seit fünfzig Jahren verschwunden waren oder sich in Luft aufgelöst hatten und ein Teil der Landschaft geworden waren. Und dass er nie wirklich erklärte, was er eigentlich hier wollte, und nur vage andeutete, in einer Art geheimer Mission unterwegs zu sein. Später erfuhr man, dass sie irgendetwas zu bereden hatten an jenem Nachmittag, der Alte und Tony; anscheinend brachte Durán eine Nachricht oder hatte einen Auftrag, aber alles lief unter der Hand ab.
Der Alte bewohnte einen geräumigen Salon, der wie eine Pelotahalle wirkte. Man hatte die Zwischenwände eingerissen, um mehr Platz zu schaffen, so dass sich der Ingenieur zwischen seinen Tischen und Schreibtischen hin und her bewegen konnte, während er Selbstgespräche führte und durch das Fenster das tote Treiben auf der Straße jenseits des Parks beobachtete.
»Man wird Sie hier den Zambo nennen«, sagte der Alte zu Durán und grinste boshaft. »Während der Kolonialzeit gab es eine ganze Menge Neger am Río de la Plata, in den Befreiungskriegen haben sie ein Bataillon aus Mulatten und Farbigen gebildet, waren zu allem entschlossen, doch man hat sie alle getötet. Es gab sogar ein paar schwarze Gauchos, die an der Grenze dienten. Am Ende sind sie alle abgehauen und haben sich den Indianern angeschlossen. Und bis vor ein paar Jahren hat noch eine Handvoll Schwarzer in den Wäldern gelebt, aber nach und nach sind sie gestorben, und jetzt gibt es keine mehr. Wie ich hörte, wird in der Karibik zwischen zahlreichen Hautfarben unterschieden, aber hier nennt man alle Mulatten einfach nur Zambos. 5Verstehen Sie, junger Mann?«
Der alte Belladona war siebzig Jahre alt, schien jedoch so fern von allem zu stehen, dass er zu jedem männlichen Dorfbewohner »junger Mann« sagen konnte: Er hatte sämtliche Katastrophen überlebt, regierte über die Toten, regelte alles, was ihn betraf, verstieß die männlichen Mitglieder der Familie und blieb nur mit seinen zwei Töchtern zurück, während die beiden Söhne »ins Exil« gingen und zehn Kilometer weit nach Süden zogen, in die Fabrik, die sie an der Straße nach Rauch errichteten. Ohne große Umschweife erzählte der Alte Durán von seinem Vermächtnis. Er habe seine Besitztümer schon vor seinem Tod aufgeteilt und das Anwesen überschrieben. Dies sei jedoch ein Fehler gewesen, denn seither habe es nur noch Krieg gegeben.
»Nichts ist mir geblieben«, sagte er, »und die anderen haben angefangen, sich zu zanken, und bringen sich gegenseitig fast um.«
Die Töchter, fuhr er fort, hielten sich aus dem Streit heraus, doch seine Söhne seien auf ihn losgegangen, als ginge es um ein Königreich. ( Mich siehst du hier nicht mehr, hatte Luca geschworen. Ich werde dieses Haus nie wieder betreten. )
»Etwas hatte sich geändert nach Duráns Besuch und ihrem Gespräch«, sagte Madariaga, ohne sich an einen der Gäste im Besonderen zu wenden oder näher darauf einzugehen, worin diese Veränderung bestanden haben soll.
Zu der Zeit begannen die Dorfbewohner sich zu erzählen, er sei ein Kofferbote 6, der Geld bringe, das nicht sein eigenes sei, um heimlich die Ernte aufzukaufen, ohne Steuern bezahlen zu müssen. Es wurde behauptet, in dem Gespräch mit Belladona sei es um ebensolche Geschäfte gegangen und die Schwestern seien lediglich ein Vorwand gewesen.
Gut möglich, so etwas war keine Seltenheit, obwohl diejenigen, die das Schwarzgeld brachten oder abholten, in der Regel unsichtbar blieben. Es waren Typen, die aussahen wie Bankangestellte und mit einer Unsumme fremder Dollars in der Tasche unterwegs waren, um die Steuerbehörde auszutricksen. Es kursierten zahlreiche Geschichten über Steuerhinterziehungen und dubiose Devisengeschäfte. Darüber, wo das Geld versteckt und wie es befördert wurde und wer geschmiert werden musste – aber das war nicht das Problem, es spielte keine Rolle, wo sie das Geld bei sich trugen, denn wenn keiner sie verriet, konnten sie auch nicht erwischt werden. Und wer hätte sie verraten sollen, wenn alle an dem Geschäft beteiligt waren: die Bauern, die Großgrundbesitzer, die Viehauktionatoren, die Händler und die, die über die Preise in den Getreidesilos bestimmten?
Wieder betrachtete Madariaga den Kommissar im Spiegel, der nervös im Raum auf und ab lief, die Reitgerte in der Hand, bis er sich schließlich an einem der Tische niederließ. Saldías, sein Assistent, bestellte eine Karaffe Wein und eine Kleinigkeit zu essen, während Croce weiter Selbstgespräche führte, so wie er es immer tat, wenn er versuchte, ein Verbrechen aufzuklären.
»Er hatte eine Menge Geld bei sich«, sagte Croce, »deshalb wurde er ermordet. Sie haben dafür gesorgt, dass ihn die Pferderennen und besonders dieses Pferd aus Luján in den Bann zog.«
»Das mussten sie gar nicht, er war schon von Pferderennen begeistert, als er hier ankam«, bemerkte Madariaga lächelnd.
Manche behaupten, man habe ein Pferderennen nur für ihn organisiert, von dem er völlig besessen gewesen sei. Es stimmt wohl eher, dass man dieses Rennen, das bereits seit Monaten geplant war, vorverlegt hatte, damit Tony es besuchen konnte, und einige wollten darin eine Fügung des Schicksals erkennen.
Tony fand schnell heraus, dass es mehrere Sorten ausgezeichneter Reitpferde in der Provinz gab. Im Grunde genommen waren es drei: die kleinen, außergewöhnlichen Polopferde, die vor allem in der Gegend von Venado Tuerto gezüchtet wurden, die kreolischen Vollblüter aus den Stallungen an der Küste und die Pajarero -Rennpferde, die rasch beschleunigen, ungewöhnlich schnell, kurzatmig und ziemlich nervös sind und meist zu zweit gegeneinander antreten. Nirgendwo sonst auf der Welt findet man derartige Pferde oder Rennen.
Mit der Zeit lernte Durán die Geschichte der lokalen Pferderennen kennen. 7Er begriff schnell, dass in dieser Gegend mehr Geld gesetzt wurde als beim Kentucky-Derby. Die Großgrundbesitzer setzten auf Teufel komm raus, und die Landarbeiter verwetteten ihren gesamten Lohn. Die Rennen werden lange im Voraus organisiert, und die Leute sparen ihr gesamtes Geld für diesen Anlass. Es gibt Pferde, die ein hohes Ansehen genießen, jeder weiß, dass sie soundso viele Rennen an den und den Orten gewonnen haben, und dann setzt man auf sie.
Das Dorfpferd war ein Grauschimmel von Payo Ledesma, ein sehr gutes Pferd, das jedoch keine Rennen mehr lief, wie ein ungeschlagener Boxer, der die Handschuhe an den Nagel gehängt hatte. Seit einiger Zeit schon versuchte ein Großgrundbesitzer aus Luján, der einen unbesiegten Rotbraunen besaß, es herauszufordern. Zuerst schien Ledesma nicht darauf eingehen zu wollen, doch am Ende fand er Gefallen an der Sache, er schlug ein, wie es so schön heißt, und nahm die Herausforderung an. Und irgendwie wurde Tony in die Sache verstrickt. Das andere Pferd, das aus Luján, hieß Tácito und hatte eine recht seltsame Vergangenheit. Es war ein Englisches Vollblut, das sich irgendwann verletzt hatte und seitdem nicht mehr als dreihundert Meter laufen konnte. Seine Karriere hatte auf dem Hippodrom von La Plata begonnen, und später hatte es das Derby der Jungpferde gewonnen. Doch eines Tages, an einem regnerischen Samstag, erlitt es während des fünften Rennens von San Isidro einen Unfall. Es stürzte und brach sich den linken Vorderfuß, der nie wieder richtig verheilte. Das Pferd war ein Nachkomme eines Nachkommens von Embrujo, weshalb es als Zuchthengst zum Verkauf angeboten wurde, doch der Jockey des Pferdes – und der Pfleger – nahmen sich seiner an und pflegten es so lange, bis es wieder laufen konnte, trotz der Verletzung und allem. Offensichtlich konnten sie den Großgrundbesitzer aus Luján davon überzeugen, das Pferd zu kaufen, und seitdem hat es noch kein einziges Zweier-Rennen verloren. Das war die Geschichte, die man sich erzählte, und das Pferd war in der Tat beeindruckend, ein Fuchs mit weißen Füßen, widerspenstig und verschlagen. Es hörte auf niemanden außer seinen Jockey, der mit ihm sprach wie mit einem Menschen.
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