Die Seele einer Pflanze oder eines Tieres kann man nicht insgesamt als schlummernd bezeichnen – ihre Ausdrucksmittel sind lediglich weniger entwickelt als die eines menschlichen Wesens. Es gibt viel Seelisches in der Pflanze, viel Seelisches im Tier. Die Pflanze aber hat in ihrer Form nur das Vital-Physische entwickelt, daher kann sie sich nicht ausdrücken; das Tier hat ein vitales Mental und kann sich zwar ausdrücken, doch ist sein Bewusstsein begrenzt, seine Erfahrungen sind begrenzt, und daher verfügt die Seelenessenz über ein weniger entwickeltes Bewusstsein, eine weniger entwickelte Erfahrung als diejenige, die im Menschen vorhanden oder zumindest möglich ist. Und dennoch haben Tiere eine Seele und können bereitwillig auf die Seele im Menschen ansprechen.
Ein Geist (ghost) ist natürlich nicht die Seele. Er ist entweder der Mensch, der in seinem vitalen Körper erscheint, oder er ist ein Fragment seines Vitals, das von einer vitalen Kraft oder Wesenheit benützt wird. Unser vitales Wesen besteht normalerweise nach der Auflösung des Körpers eine Zeit lang fort und geht dann in die vitale Ebene ein, wo es bleibt, bis sich die vitale Hülle auflöst. Dann begibt sich die Seele, sofern sie mental entwickelt ist, in die mentale Hülle zur mentalen Welt, und schließlich verlässt sie auch ihre mentale Hülle und begibt sich zu ihrem Ort der Ruhe. Bei einem stark entwickelten Mental kann unser mentaler Teil auch bei der Seele bleiben, genau wie der vitale; Voraussetzung dafür ist, dass sie vom seelischen Wesen geformt und um dieses zentriert sind –, dann teilen sie die Unsterblichkeit der Seele. Andernfalls nimmt die Seele die Essenz von Mental und Leben in sich auf und begibt sich zu einer zwischengeburtlichen Ruhe.
SRI AUROBINDO (22:293)
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In der Erfahrung des Yoga ist das Selbst oder Wesen essentiell eins mit dem Göttlichen oder zumindest ein Teil des Göttlichen und im Besitz aller göttlichen Macht. Doch in der Manifestation nimmt es zwei Aspekte an, den des purusa und den der prakrti, das bewusste Wesen und die Natur. Hier in der Natur ist das Göttliche verhüllt und das individuelle Wesen der Natur unterworfen, die als niedere prakrti wirkt, als eine Kraft der Unwissenheit, avidya. Der purusa als solcher ist göttlich, doch in seiner äußeren Gestalt in der Unwissenheit der Natur ist er die scheinbare Individualität, unvollkommen durch ihre Unvollkommenheit. Daher birgt die Seele oder seelische Essenz – die der purusa ist, der in die Evolution eintritt und diese stützt – in sich alle göttlichen Möglichkeiten; doch das individuelle seelische Wesen, das die Seele vertritt, nimmt die Unvollkommenheit der Natur an und entfaltet sich in ihr, bis es seine volle seelische Essenz wiedergefunden und sich mit dem Selbst darüber, dessen individuelle Projektion in der Evolution es ist, geeint hat. Diese Dualität im Wesen auf all seinen Ebenen – denn dies trifft auf andere Art und Weise nicht nur für das Selbst und die Seele zu, sondern auch für den mentalen, vitalen und physischen purusa – muss erkannt und angenommen werden, bevor die Erfahrungen des Yoga voll verstanden werden können.
Das Wesen ist durch und durch eins, doch auf jeder Ebene der Natur wird es durch eine Form seiner selbst vertreten, welche jener Ebene entspricht, dem mentalen purusa auf der mentalen Ebene, dem vitalen purusa auf der vitalen Ebene, dem physischen purusa auf der physischen Ebene. Die Taittiriya Upanishad spricht von zwei weiteren Ebenen des Wesens, der Ebene des Wissens oder der Wahrheit und der Ananda-Ebene, jede mit ihrem purusa; diese sind jedoch, obwohl Einflüsse von ihnen herabkommen können, für das menschliche Mental überbewusst, und ihre Natur ist bislang hier noch nicht geformt.
SRI AUROBINDO (22:284)
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1Die citta und der seelische Teil sind ganz und gar nicht das gleiche. Citta ist ein Ausdruck aus einer völlig anderen Kategorie; in ihr werden die hauptsächlichen Funktionen unseres äußeren Bewusstseins koordiniert und geordnet, und um sie zu erkennen, brauchen wir nicht hinter unsere Oberfläche oder äußere Natur zu gehen. „Kategorie“ bedeutet hier eine andere Klasse psychologischer Faktoren, tattva-vibhaga. Die Seele gehört zu einer Klasse – Supramental, Mental, Leben, Seele, Körper – und bezieht sowohl die innere als auch die äußere Natur mir ein. Citta gehört einer ganz anderen Klasse oder Kategorie an – buddhi, manas, citta, prana usw. –, dies ist die Klassifikation der gewöhnlichen indischen Psychologie des äußeren Wesens. In dieser Kategorie werden von den indischen Denkern nur die Hauptfunktionen unseres äußeren Bewusstsein koordiniert und geordnet; citta ist eine der hauptsächlichen Funktionen dieses äußeren Bewusstseins, wir brauchen daher, um sie zu erkennen, uns nicht hinter unsere äußere Natur zu wenden.
2Mit Solarplexus meint die Mutter die Herz- (nicht die Nabel-) Region. Das geht aus einer anderen Äußerung hervor, wo sie sagt: „Im Allgemeinen ist es im Herzen, hinter dem Solar-Plexus, wo man diese leuchtende Gegenwart findet. Siehe auch die Antwort zu der Frage: „Ist das seelische Wesen im Herzen?“ (S. 146)
Kapitel 2
Atman, Jivatman und die Seele
Es ist notwendig, den Unterschied zwischen der sich entfaltenden Seele (dem seelischen Wesen) und dem reinen atman, dem Selbst oder Spirit klar zu verstehen. Das reine Selbst ist ungeboren, es durchläuft weder Tod noch Geburt und ist unabhängig von Geburt oder Körper, von Mental, Leben oder dieser manifestierten Natur. Es wird durch diese Dinge weder gebunden noch eingeschränkt, noch beeinträchtigt, obwohl es sie annimmt und stützt. Im Gegensatz hierzu ist die Seele etwas, das in die Geburt herabkommt und den Tod durchläuft – obwohl sie selbst nicht stirbt, da sie unsterblich ist – und von einem Zustand zum anderen, von der Erdebene zu anderen Ebenen und wieder zurück zum Erdendasein wandert. Sie schreitet von Leben zu Leben durch eine Evolution fort, die sie zum menschlichen Zustand emporführt, und entfaltet in all dem ein Wesen ihrer selbst, das wir das seelische Wesen nennen, welches die Evolution stützt; sie entwickelt ein physisches, vitales und mentales menschliches Bewusstsein als ihre Instrumente der Welterfahrung und eines verhüllten, unvollständigen, doch wachsenden Selbstausdrucks. All dies tut sie hinter dem Schleier und offenbart von ihrem göttlichen Selbst nur soviel, wie es die Unzulänglichkeit des instrumentalen Wesens zulässt. Es kommt jedoch eine Zeit, in der sie sich darauf vorbereiten kann, hinter dem Schleier hervorzutreten, die Führung zu übernehmen und die gesamte instrumentale Natur einer göttlichen Erfüllung zuzuwenden. Dies ist der Beginn des wahren spirituellen Lebens. Die Seele ist nunmehr fähig, sich für eine höhere Evolution des verkörperten Bewusstseins als die des mentalen menschlichen bereit zu machen – sie kann vom mentalen zum spirituellen und über Abstufungen des spirituellen zum supramentalen Zustand fortschreiten. Bis dahin aber gibt es keinen Grund, warum sie sich vom Geborenwerden abkehren sollte, und tatsächlich ist sie hierzu gar nicht in der Lage. Erst nach Erreichung des spirituellen Zustandes kann sie die Erdmanifestation verlassen; es ist aber auch eine höhere Manifestation möglich – im Wissen und nicht in der Unwissenheit.
SRI AUROBINDO (22:438)
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Der Ausdruck „zentrales Wesen“ wird in unserem Yoga gewöhnlich für jenen Teil des Göttlichen in uns angewendet, der alles übrige stützt, und der Tod und Geburt überdauert. Dieses zentrale Wesen hat zwei Formen – über uns befindlich ist es der Jivatman, unser wahres Wesen, dessen wir uns bewusst werden, sobald das höhere Selbsterkennen eintritt; darunter [in uns] ist es das seelische Wesen, das hinter Mental, Körper und Leben steht. Der Jivatman befindet sich über der Manifestation im Leben und ist ihr übergeordnet; das seelische Wesen steht hinter der Manifestation im Leben und stützt sie.
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