Die Tür zu Mr. Marshs Büro öffnete sich abrupt und der Chef der Weltraumbehörde und Weltsicherheitsbehörde trat ihnen freudestrahlend und mit ausgestreckter Hand entgegen. »Miss Lee! Nick! Tom! Xutl! Wie schön, Sie wiederzusehen. Ich hoffe, Sie hatten einen erholsamen Urlaub.«
»Danke«, erwiderte Nick stellvertretend für die anderen, »zwei Monate länger als vorgesehen, da kann man mehr als gründlich ausspannen.« Mit verstohlenem Blick auf seine Freunde fügte er etwas verhalten hinzu: »Es ist uns schon richtig langweilig geworden und ich weiß gar nicht mehr, wie ein Raumschiff von innen aussieht und ob ich es überhaupt noch steuern kann.«
»Dafür kennst du dich hervorragend im Hover-Surfen aus – und im Generieren von Dienst- und Animierprojektionen«, spottete Jane; schnippisch ergänzte sie mit einem leichten Seitenhieb auf ihren Gefährten: »Besonders von attraktiven und leicht bekleideten jungen Damen.«
Nicks Gesicht rötete sich ein wenig.
Tom grinste. »Oho, unsere verliebte Dame ist wohl eifersüchtig, was?«
Janes Augen weiteten sich und sie schleuderte giftige Blicke auf den amüsierten Biologen. »Halt du dich da raus, Tom! Das geht nur Nick und mich etwas an!«
Tom war über ihre Worte so verblüfft, dass er mit offenem Mund vor ihr stand und keine Silbe mehr über seine Lippen brachte.
Nick versuchte zu besänftigen. »Du weißt, Jane, dass ich Freude an technischen Spielereien habe. Aber bei unserer nächsten Expedition nehme ich andere Geräte mit. Versprochen!«
Schließlich unterbrach Mr. Marsh die Kabbelei. »Ihre persönlichen Dispute können Sie privat weiter austragen. Jetzt fordere ich Sie auf, mich in mein Büro zu begleiten. Es erwartet Sie eine Überraschung.«
Sofort war die kleine Auseinandersetzung vergessen. Neugierig betraten sie das Allerheiligste und richteten ihre Augen staunend auf die Gäste ihres Vorgesetzten. Dort saß nicht nur eine Überraschung, sondern es waren gleich zwei .
»Oh!«, entfuhr es Nick. Um einen ovalen Sitzungstisch mit grandioser Aussicht auf das imposante Glas- und Stahlgebirge der Millionenmetropole saßen Prof. Raskin und André Coomb*. Nick erinnerte sich lebhaft: André war schon auf der ersten Sternenschiffexpedition dabei gewesen und hatte sich als einer der fähigsten und zuverlässigsten Techniker und Piloten der terranischen Raumflotte bewährt. Unvergesslich war Nick das gemeinsame Abenteuer auf einem fernen Planeten, dessen Zivilisation durch einen Krieg untergegangen war, während nur ihre maschinellen Hinterlassenschaften noch reibungslos funktionierten. Warum war der Gefährte früherer Abenteuer zu diesem Gespräch geladen? Nicks fragenden Blick richtig deutend, blieb der Chef der Weltraumbehörde die Antwort nicht lange schuldig: »Sie kennen André aus vergangenen Einsätzen schon sehr gut. Seine Kompetenzen sind unbestritten und er wird Ihnen auf der geplanten Mission in hoher Verantwortung zur Seite stehen.« Mit einer Kopfdrehung zu Prof. Raskin ergänzte er: »Und Ihren Freund, den Professor, brauche ich ja nicht mehr vorzustellen.«
Herzlich begrüßten sich alle Anwesenden per Handschlag und nahmen dann in aufgelockerter Stimmung und fröhlicher Wiedersehenslaune ihre Plätze an dem mit mehreren Raumschiffmodellen drapierten und sehr nüchtern wirkenden Tisch ein. Mr. Marsh griff zu einer Karaffe, die Gäste richteten neugierig ihre Blicke auf den gelblich-grün schimmernden Inhalt, der sich unter seiner vorsichtigen Bewegung perlend in ziselierte Metallkelche mit Ornamenten interstellarer Früchte ergoss.
»Etwas Besonderes«, erklärte er seinen Gästen und verwies auf das würzig duftende Getränk.
Mr. Marsh angelte sich den Eiscrusher vom Beistelltisch, entnahm einem gläsernen Kübel mehrere Würfel und zerkleinerte sie, bevor er die kristallenen Stücke mit einem silbernen Löffel in die Becher seiner Gäste beförderte. »Der Fruchtcocktail heißt ›Schamon‹. Er wird aus der Schamone, einer Frucht von Eden*, gewonnen. Der Geschmack ist unübertrefflich.« Er hob seinen Becher. »Zum Wohl.« Nick atmete tief durch und sog das Aroma des exotischen Getränks tief in sich hinein, dann leerte er seinen Kelch genussvoll in einem Zug. »Das schmeckt wie eine Mischung aus Agaven- und Limettensaft mit Ingwer gewürzt, dazu eine weitere Geschmackskomponente, die ich von keiner Frucht auf der Erde kenne. Ein vorzügliches Gebräu.« Die anderen nickten bestätigend. »Aber nun spannen Sie uns nicht länger auf die Folter. Um was geht es und warum durften wir ohne erkennbaren Grund zwei Monate länger Urlaub machen als ursprünglich geplant?«
Mr. Marsh lehnte sich mit durchgedrücktem Rücken weit in seinem Sessel zurück, seine Haltung deutete auf einen bedeutungsvollen Augenblick hin, aber die Gesichtszüge blieben entspannt.
»Zunächst zu Ihrem Urlaub: Ich habe Ihnen einen längeren verordnet, weil Sie möglicherweise in den nächsten Jahren keine Gelegenheit mehr zur Erholung haben werden.«
»Wie?« Nicks Kinnlade klappte nach unten.
Ungläubige Blicke.
»Ich schicke Sie auf eine Mission, die in der Geschichte der Menschheit und wahrscheinlich aller Völker des Universums einmalig sein dürfte.«
Angespannte Neugierde.
»Dieses Unternehmen wurde durch eine epochemachende Erfindung von Prof. Raskin möglich.«
Absolute Stille.
»Der Professor hat einen neuen Raumschiffantrieb erfunden.«
Ungeteilte Aufmerksamkeit.
»Seine Arbeiten waren so geheim, dass er nicht einmal mit Ihnen Kontakt aufnehmen durfte.«
Knisternde, unerträgliche Spannung. Worauf wollte ihr Chef hinaus? Mr. Marsh zögerte einen kurzen Augenblick, dann brachte er die Bombe zum Platzen:
»Mit diesem Antrieb können Sie das gesamte Universum durchqueren, und genau das ist Ihre Aufgabe.«
»Was?«
Grenzenloses Erstaunen.
Erstarrte Mienen.
Ungläubige Verwunderung.
Mr. Marsh war barmherzig. Nach einer kurzen Pause fuhr er mit seinen Erläuterungen fort: »Prof. Raskin wird Ihnen gleich in aller Kürze erklären, worauf seine Erfindung beruht, dann werde ich Ihnen noch wichtige Einzelheiten für das Unternehmen unterbreiten.«
Marshs Blick richtete sich auf Raskin. »Bitte, Herr Professor!«
»Ich kann Ihre Verblüffung verstehen, auch Ihren Unglauben«, begann dieser ohne Umschweife. »Ich selbst hielt es bis vor Kurzem kaum für möglich, so etwas Bahnbrechendes zu erfinden. Aber ich sollte der Reihe nach erzählen: Seit der Konstruktion des Hyperantriebs habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob es nicht auch möglich sein könnte, Energie aus dem Hyperraum zu gewinnen und nutzbringend anzuwenden. Und genau das ist mir nach monatelanger – eigentlich jahrelanger – Forschung gelungen. Ich habe einen Hyperenergiekonverter entwickelt, kurz HEK genannt, der unbegrenzt Energie des Hyperraums in Energie unseres vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums umwandeln kann, und zwar in jeder beliebigen Menge. Die Energievorräte in diesem übergeordneten Raum sind unbegrenzt. Momentan habe ich nur ein Verfahren für die Nutzung bei Antrieben entwickelt, aber wenn wir diese neue Technologie auch für die Energieversorgung auf der Erde und anderer Planeten anwenden könnten, wären unsere Energieprobleme für alle Zeiten gelöst.«
Auf Nicks Stirn bildeten sich steile Falten. »Kann das nicht gefährlich werden?«, warf er zweifelnd ein. »Angenommen, es kommt zu einem unkontrollierten Energieausbruch. Könnte damit nicht die ganze Welt zerstört werden?«
Raskin schüttelte den Kopf. »Nein. Das haben wir doch bei der Atomkraft auch schon befürchtet, aber nach dem Absturz des Übungsbombers über London 1972* wurde sie nur noch friedlich genutzt. Es ist uns gelungen, so perfekte Sicherheitssysteme zu entwickeln, dass bei Kernkraftwerken nie etwas passiert ist. Selbst das Problem der Entsorgung des Atommülls konnten wir ein für alle Mal lösen. Wie Sie wissen, werden Raumschiffe damit beladen und in die Sonne gelenkt.«
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