Für das Schmähführen hat das freilich den Nachteil, dass die Verständigung mitunter massiv erschwert ist, was wiederum den beabsichtigten Schmäh erweitert, wie in diesem Fall, dessen Zeuge ich im Oktober 2014 im Café Frauenhuber wurde. Zwei Herren unterhalten sich über das Weltgeschehen. Der eine hat seine Ausdrucksweise politisch korrekt aufgerüstet, zumindest einen Moment lang. Er sagt: „Hosd g’head? – Bei de Schwoazn is a Seich ausbrochn.“ Der andere: „Naa, des is ma neu. Wos sogt’n da Kuaz dazua?“ Nun muss man wissen, dass Sebastian Kurz ein populärer Politiker der Österreichischen Volkspartei, der ÖVP, ist, der konservativen bürgerlichen Partei, die damals Schwarz als Fraktionsfarbe hatte 3, womit sie bei den Wienern nur „de Schwoazn“ hießen. Der erste der beiden Männer hatte indessen den Ausbruch der Ebola-Epidemie in Westafrika gemeint. Das Missverständnis lieferte dem Schmäh und damit dem Dialog Nahrung. Der erste: „Wiaso da Kuaz? Dea hod jo nix mit de Schwoazn z’ tuan.“ Der zweite: „Ah geh! Dea is do a Schwoaza!“ Der erste, endlich verstehend: „Na, net bei unsere Schwoazn, bei de Bloßfiaßign.“ Der zweite: „Ah so, bei de Nega. Jo, daun …“
Das Schmähführen auf dem Rücken der Schwarzafrikaner hat übrigens den FPÖ-Politiker Andreas Mölzer seinen Sitz im EU-Parlament gekostet. Mölzer, der dem deutschnationalen Flügel der Partei zugerechnet wird, hielt am 18. Februar 2014 eine Philippika gegen die EU, in deren Verlauf er diese unter anderem als „Negerkonglomerat“ bezeichnete. Die Wogen gingen hoch, Mölzer versuchte, sich herausreden, es half alles nichts; schließlich verzichtete er auf seine Kandidatur. Mölzer war ein absichtlicher Verstoß gegen eine politisch korrekte Ausdrucksweise durchaus zuzutrauen. Aber wieso sollte er einen europäischen Staatenbund als Konglomerat von Schwarzafrikanern bezeichnen? Die Beleidigung hatte weder Hand noch Fuß.
Das Geheimnis liegt in der Unterbedeutung des Wortes „Neger“. Der Wiener Dialekt (hoffentlich nur) früherer Tage nennt Schwarzafrikaner auch „Bloßfüßige“ und „Nackte“. Mag ja für einzelne Stämme stimmen, wer will sich, in der Vorstellung von Bewohnern gemäßigter Zonen, bei 40 und mehr Grad im Schatten nicht am liebsten die Kleider vom Leib reißen? Keine Schuhe bzw. kein Gewand zu besitzen ist andererseits ein Zeichen für Armut. „Neger sein“ hat somit, über ein paar Ecken, wie es beim Schmäh so ist, die Bedeutung angenommen, kein Geld zu haben. Mölzer meinte also nicht, die EU sei ein Konglomerat von Schwarzafrikanern, sondern sie sei ein Konglomerat von Staaten, die „neger“ sind, also pleite. Vor lauter Schmähführen hat sich der Politiker um seinen Posten geredet.
Und wie ich jetzt auf den Schmäh kam? Ich meine, wie ich zum ersten Mal als Schmähtandler eingestuft wurde? Ich hab’ Ihnen ja versprochen, ich erzähl’s, und zwar ganz ohne Schmäh, also schmähohne, wie das auf Wienerisch heißt. Im konkreten Fall, also in dem, der Ihre Augen gerade von Buchstaben zu Buchstaben führt, wirklich durch einen Anruf des Verlags. Aber es gibt da noch das andere G’schichterl, von dem die Rede war. Ich erzähl’s ja ungern, aber vielleicht hab’ ich wirklich was halb Unseriöses an mir. Sie erzählen das aber bitte nicht weiter, auch nicht schmähhalber, einverstanden?
Es war zu Beginn meiner Tätigkeit als Musikkritiker der „Wiener Zeitung“. Dieses Blatt schreibt sich auf die Fahnen, die älteste noch erscheinende Zeitung zu sein. Sie existiert seit 1703, und eine Unterbrechung im Erscheinen gab es nur im Nationalsozialismus, als sie von 1. März 1940 bis 7. April 1945 durch den „Völkischen Beobachter – Wiener Ausgabe“ ersetzt wurde. Die „Wiener Zeitung“ ist eine sogenannte Qualitätszeitung, unbedingt seriös, alle Artikel recherchiert und überprüft, genaue Linienziehung zwischen Bericht und Meinung. Mittlerweile ist sie auch wirklich gut geschrieben. Als ich aber vor nun schon etlichen Jahren im damaligen Kulturressort anfing, verstand man unter gut geschrieben: je trockner, desto besser. Das galt, bis zu einem gewissen Grad, auch für die Theater-, Opern- und Konzertkritiken. Die Trockenheit jener lange zurückliegenden Jahre hatte damit zu tun, dass die „Wiener Zeitung“ noch keine GmbH war. Sie war rein staatlich, das „Amt der Wiener Zeitung“. Die Angestellten waren keine Redakteure, sondern Beamte. Zum Lachen stieg man hinab in den Keller, in dem Druckerei-Gefahrengüter lagerten wie Papier und Chemikalien.
Meinem ersten Chef, Norbert Tschulik, bin ich sehr dankbar, nicht nur, weil er mich unerfahrenen Jungspund überhaupt schreiben ließ, sondern, weil er nicht vom Versuch abließ, mir beibringen zu wollen, ein guter Kritiker zu sein, obwohl wir über den Einsatz von Humor unvereinbar unterschiedliche Meinungen vertraten. Tschulik war dagegen, ich war dafür. Dementsprechend war ich über die Versuche eines Pianisten mit beklagenswerter Tastentrefferquote ein Wortspiel losgeworden. Als ich Tschulik meine Kritik vorlegte, zog er, wie es seine Art war, wenn er etwas einzuwenden hatte, den Kopf zur linken Schulter und knurrte: „Net wern s witzig.“
Jener Norbert Tschulik schickte mich eines Tages zu einem Symposion über Denkmalschutz. Zumindest die Wörter kannte ich – nämlich sowohl Symposion als auch Denkmalschutz. Viel tiefer war ich zuvor in die Thematik nicht eingedrungen. In Vor-Google-Zeiten war das über einen Tag kaum möglich. Ich war zum Denkmalschutz gekommen wie zum Schmäh, also wie die Jungfrau zum Kind. Noch dazu sollte der Artikel der Seitenaufmacher werden. Ich wehrte mich, fürchtete, mich mit der fremden Materie zu blamieren und mir gleich am Anfang meiner vielversprechenden Karriere deren sofortiges Ende herbeizuschreiben. Es war sinnlos. Tschulik ließ nicht locker: „Sie werden da schon was G’schmackiges schreiben.“ Auf dem Gipfel meiner Verzweiflung entfuhr es mir: „Wieso ausgerechnet ich?“
Tschulik musterte mich mit einem verständnislosen Blick und sagte: „Weil Sie in meiner Abteilung der beste Schmähtandler sind.“
Und ich hatte mich bisher für einen völlig seriösen Kulturjournalisten gehalten. Schlimmer: Ich hatte geglaubt, auch die anderen würden mich dafür halten. Dabei war ich – ein Schmähtandler. Irgendwie muss da was dran sein an der Jungfrau, dem Kind, dem Schmäh und mir.
Schmähohne.
INTERMEZZO: AUF DEM GANG IM STIEGENHAUS
Auf dem Gang im Stiegenhaus an der der Stelle, wo früher die Bassena 4war.
- Ham s scho ghört von Hean Watzek?
- Wos denn?
- No, von eam und da Schwesta Eani.
- Naa. Sogn s jo net …
- Doch.
- Na sowas. Deaf s denn des iwahaupt?
- Sowieso. Sie is ja ka Schwesta net.
- Ah, net?
- Doo, owa hoed ka Schwesta net, oiso ka richtige. A Kraunkenschwesta is in AKH 5, owa ka Schwesta, oeso ka Geistliche, vastengan s mi? Sie deaf.
Von unten ertönt eine Männerstimme: Aufzug bitte!
- Des is a eh, da Hea Watzek.
- Woens net de Aufzugtia zuamochn?
- Naa, I foa jo glei weida! I muaß eana des nua dazöön.
- Daun gschwind, Frau Schuller, sunst wiad a grantich. No, sogn s: Wean s heiradn? I maan, is ea scho gschiedn?
- Ah, gschiedn is ea do scho laung. Sie is ledig, hod a ma dazööt. Owa ob s glei heiradn? Wea waaß …
- Miassen s jo a net. I vasteh nua net … I maan, sie is a fesche Beason, und ea … Wüvü is sie jinga?
Von unten ertönt abermals die Männerstimme: Aufzug bitte!
- ( laut nach unten gerichtet :) Kummt glei! Wo woa ma?
- Wüvü sie jinga is. Wos wiadn Sie schätzn?
- Zehn Joa.
- Mea. Zwanzg!
- Naa, sicha net. Sie schaut nua so jung aus. Die is guat heagricht. Goa so jung is die nimma. A guade Paatie is jedenfoes.
- Oes Kraunknschwesta?
- Eanare Ötan san gstopft wia de Ganseln, da Vota Primaa in ana Privatglinich, und sie is des anziche Kind. Zumindest hod ea mia des so gsogt.
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