Das subjektive Universum ist die Welt jedes fühlenden Wesens im Universum. Es gibt so viele subjektive Universen wie es fühlende Wesen gibt. Das subjektive Universum ist die partikulare Erscheinung von Bewusstsein innerhalb des Universums. Gewöhnlich gibt es eine Erfahrung des objektiven Universums lediglich als Information, die durch das subjektive Universum vermittelt wird. Erstaunlicherweise scheint das subjektive Universum nicht von denselben natürlichen/mechanischen/organischen Gesetzen wie das objektive Universum geleitet zu sein. Tatsächlich besteht darin der wesentliche Unterschied zwischen beiden. Das subjektive Universum hat die Möglichkeit, auf eine außernatürliche Weise – frei von den engen Grenzen der fünf Sinne und der drei Dimensionen – tätig zu sein.
An dieser Stelle sollte übrigens hervorgehoben werden, dass die Begriffe „objektiv“ und „subjektiv“ nichts mit der Unterscheidung von „richtig“ und „falsch“ oder „genau“ und „ungenau“ zu tun haben, wie es der umgangssprachliche Gebrauch dieser Worte nahelegen könnte. Das subjektive Universum ist einer weitaus größeren Genauigkeit und Mannigfaltigkeit seiner Handlungen als das objektive fähig. Ein gutes Beispiel sind etwa Ihre Lektüre und Ihr Verständnis des vorliegenden Textes, die darauf beruhen, dass Sie eine Fähigkeit Ihres subjektiven Universums anwenden. In einfachen grammatischen Begriffen gesprochen, ist das Subjekt der Leser (d. h. „dasjenige, was liest“), und das Objekt ist das Gelesene. Das subjektive Universum verfügt über ein gewaltiges Spektrum an Möglichkeiten, das von theoretisch absoluter Präzision bis zu völligem Wahnsinn reicht, weil es nicht an natürliche Gesetze gebunden ist. Der Fokus oder das „Epizentrum“ dieses außernatürlichen subjektiven Universums wird mit dem menschlichen Bewusstsein, der Seele oder dem Selbst identifiziert.
Der außernatürliche Aspekt dieser Seele zeigt sich eindeutig und gründlich in dem Drang der Menschheit, Strukturen, die künstlich im subjektiven Universum entstanden sind, auf das objektive zu übertragen. Alle auf künstliche Weise (also durch Kunstfertigkeit oder Handwerk) hervorgebrachten Strukturen sind per Definitionem vom natürlichen Kosmos getrennt und stehen außer ihm, seien sie Pyramiden, Gedichte oder politische Institutionen. Die Tiere hingegen, von denen viele über hochkomplexe Sozialverhältnisse verfügen, sind durch die Natur und ihr biologisches Programm determiniert. Das Wolfsrudel hat immer dieselben gesellschaftlichen Prinzipien, egal in welchem Teil der Welt, ob heute oder vor Millionen Jahren. Sie aber werden schwerlich auch nur zwei soziale Institutionen finden, die absolut identisch sind. Alles, was aus dem subjektiven Universum hervorgegangen ist, trägt den Stempel der Vielfalt.
Jeder einzelne Bestandteil der Seele – der Erscheinung des subjektiven Universums – verweist auf die Urform oder das Grundprinzip, von dem sich alle seine partikularen Manifestationen herleiten. In den philosophisch am subtilsten ausgebildeten Schulen des linkshändigen Pfades wird dieses Prinzip einer isolierten Intelligenz als „Fürst ( prince ) der Finsternis“ oder als höchste Gottheit des linkshändigen Pfades aufgefaßt. (Man beachte, dass Begriffe wie prince , „Fürst“, „ Prinz “, und Prinzip von dem lateinischen Wort princeps , „Herrscher“, „Führer“, abgeleitet sind, das dem Wortsinne nach denjenigen bezeichnet, der den ersten Platz einnimmt.) Es handelt sich um den Archetypus des Selbst, von dem alle anderen Selbste abstammen. Ebenso ist es ein Element des außernatürlichen Universums, das objektiv zum Universum selbst hinzugehört. In diesem Sinne kann der Fürst der Finsternis als unabhängiges fühlendes Wesen im objektiven Universum verstanden werden, da hierin das eigentliche Prinzip dieser Qualität des Universums liegt. Die Menschheit ist die einzige bekannte Spezies, die diese Qualität ebenfalls besitzt.
Der rechtshändige und der linkshändige Pfad
Nun stellt sich die entscheidende Frage: Auf welche Weise bezieht sich die freie, bewusste Seele auf das objektive Universum oder die Welt insgesamt, oder wie interagiert sie mit dieser? Der rechtshändige Pfad beantwortet diese Frage mit der Annahme, dass das subjektive Universum sich mit den Gesetzen des objektiven Universums in Einklang bringen müsse – ob man sich dieses nun als Gott oder als Natur vorstelle. Das eigentlich Menschliche besteht darin, nach Wissen von diesen Gesetzmäßigkeiten zu streben und sich ihnen sodann zu unterwerfen, um letztendlich die Einheit mit dem objektiven Universum, Gott oder der Natur, zu erlangen. Der rechtshändige Pfad ist der Weg der Vereinigung mit der universalen Realität (Gott oder Natur). Wenn dieses Ziel erreicht ist, wird das individuelle Selbst ausgelöscht werden; das Individuum wird eins mit der göttlichen oder natürlichen Ordnung des Kosmos. Auf dieser letzten Stufe wird das Ego in dem Augenblick, in dem es in den „Himmel“ eintritt oder (Nicht-)Existenz des Nirwana „erreicht“, vernichtet. Darin liegt erklärtermaßen das Ziel aller orthodoxen jüdischen, christlichen, muslimischen und buddhistischen Schulen.
Der linkshändige Pfad betrachtet die Stellung des Menschen wie sie ist; er erkennt den manifesten und tiefverwurzelten Wunsch jedes menschlichen Wesens an, ein freier, machtvoller und unabhängiger Akteur innerhalb seiner oder ihrer Welt zu sein. Freuden und Leiden, die aus einer selbstbestimmten Existenz resultieren, werden begrüßt und als die deutlichsten Zeichen des höchsten, edelsten Schicksals angesehen, das zu erlangen dem Menschen möglich ist – eine Art von unabhängiger Existenz auf einer Stufe, die gemeinhin als göttlich bezeichnet wird.
Ebenso wie die meisten Menschen, während sie durch ihr natürliches, alltägliches Leben gehen, nach allem streben, was ihnen möglichst viel Wissen, Macht, Freiheit, Unabhängigkeit und Ansehen in ihrer Welt verschafft, so erweitern diejenigen, die den linkshändigen Pfad beschreiten, dies logischerweise auf die außernatürlichen Gefilde. Sie weisen die Mahnungen des rechtshändigen Pfades zurück, solche spirituellen Bestrebungen seien „böse“, und sie sollten die allgemeine Ordnung (Gottes, der Natur usw.) bejahen und brave Mitglieder der Gemeinschaft werden. Die Gewißheit der Unabhängigkeit des Selbst wird von vielen als die grundlegende Wirklichkeit der menschlichen Natur verstanden: Man kann sie akzeptieren und leben oder zurückweisen und sterben . Wenn man diese innere, wohlbekannte Realität des menschlichen Bewusstseins annimmt, bejaht man eine ewig dynamische – ewig sich wandelnde und verändernde – Wirklichkeit; wenn man sie hingegen zurückweist und die äußere, unbekannte Realität Gottes oder der Natur vorzieht, wird man mit einem ewig beharrenden – ruhenden und unbeweglichen – Dasein vorliebnehmen. Aus einer gewissen aufgeklärten Perspektive sind beide Wege gleichermaßen gut und ausgezeichnet, und es hängt lediglich von der eigenen, bewussten Willensentscheidung ab, diesen oder jenen strikt und ohne Selbstbetrug zu befolgen.
Seinem Wesen nach ist der linkshändige Pfad derjenige der Nichtverschmelzung mit dem objektiven Universum. Er ist der Weg, das Bewusstsein innerhalb des subjektiven Universums zu isolieren und die Seele oder Psyche in der Weise einer selbst auferlegten Einsamkeit zu immer höheren Graden zu erheben. Das objektive Universum ist letztlich dazu geschaffen, mit dem Willen einer individuellen Psyche in Übereinstimmung zu gelangen, anstatt diesem seine Freiheit zu belassen. Während der rechtshändige Pfad theozentrisch ist (oder „alleozentrisch“, indem er den anderen in den Mittelpunkt rückt), ist der linkshändige psychozentrisch bzw. seelen- oder selbstzentriert. Wer auf dem linkshändigen Pfad wandelt, wird über das Wesen von Selbst, Ich oder Seele diskutieren, aber die Tatsache, dass das Individuum im Epizentrum dieses Pfades selbst steht, scheint eindeutig. Nach Auffassung des linkshändigen Pfades besteht eine ewige Trennung zwischen individuellem Geist und objektivem Universum. Daraus ergibt sich die Unsterblichkeit des unabhängigen Selbstbewusstseins, wenn es sich innerhalb des objektiven Universums bewegt und mit ihm nach seinem Willen verfährt.
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