Cover
Titel
Vorwort
EINS
Eine Geschichte aus zwei Städten – von Bonn nach Wien
ZWEI
Das Erhabene und das »umgekehrte Erhabene«
DREI
Beethoven in Heiligenstadt
VIER
Der Weg zur Eroica
FÜNF
Leonore, der »Engel der Freiheit«
SECHS
Von Grätz über Wagram nach Leipzig
SIEBEN
Ein doppeltes Frösteln: Beethoven im Wien Metternichs
ACHT
Damals und heute: Die neunte Sinfonie
Anhang
Impressum
Seit Langem gilt er als einer der größten Komponisten aller Zeiten: Ludwig van Beethoven. Übersehen wurde dabei oft, dass er auch ein ausnehmend politischer Künstler war. Die Französische Revolution, die Schreckensherrschaft, Aufstieg und Fall Napoleon Bonapartes, die Schlachten bei Wagram und Leipzig, der Wiener Kongress und die darauffolgende Ära politischer Unterdrückung: Es waren einige der turbulentesten Epochen europäischer Geschichte, die Beethoven miterlebte. Er war von der großzügigen Unterstützung adeliger Mäzene abhängig, dennoch zertrümmerte er 1806 eine Büste seines Förderers Fürst Lichnowsky und hielt kühle Distanz zu Kaiser Franz I. von Österreich. Eine Aussöhnung mit Napoleons Absolutismus oder jenem in Österreich unter Metternich, der bis über den Tod des Komponisten 1827 hinaus andauerte, war für Beethoven undenkbar.
Heute, zwei Jahrhunderte später, erfreut sich Beethovens musikalisches Vermächtnis einer erstaunlichen Strahlkraft. Während wir 2020 das Beethovenjahr feiern und bereits wieder darüber hinausdenken, scheint es an der Zeit, die politische Bedeutung des Komponisten genau zu untersuchen. Denn es ist das politische Narrativ seiner Werke, das zu deren bemerkenswerter Beständigkeit beiträgt. Im Zusammenhang steht das mit Ereignissen, die größer sind als jeder Einzelne. Beethoven, der im politisch progressiven Bonn aufwuchs, immatrikulierte sich 1789 an der neu gegründeten Bonner Universität – genau in jenem Jahr, als im nahen Frankreich die Revolution ausbrach. Als er 1792 seine Karriere als Musiker in Wien fortsetzte, traf er dort auf eine künstlerisch reiche, politisch jedoch extrem reaktionäre Situation. Beethovens in diesem Umfeld riskante Bewunderung für Napoleon Bonaparte, der damals Erster Konsul der Republik Frankreich war, kühlte bald ab. Trotzdem faszinierte ihn der spätere Kaiser der Franzosen weiterhin und in seiner kulturellen Welt sah er sich als eine Art Rivale – als ein »Generalissimus« im Reich der Klänge. In späteren Jahren, als seine Welt mit dem zunehmenden Gehörverlust immer stiller wurde, schuf er jene Werke, die bis heute nachhaltigen Einfluss haben. Darunter die neunte Sinfonie, deren Ursprünge bis in Beethovens Jugendjahre in Bonn zurückreichen.
J. S. Lyser: Beethoven in Heiligenstadt.
Zeitgenössische Zeichnung. © akg-images/ picturedesk.com
Wie Mozart war auch Beethoven ein versierter Improvisator, für den sprunghafte Spontaneität, dramatische Überraschungen und ästhetische Risikobereitschaft wesentlich waren. Beethovens Ziel war es, starke Gefühle im Hier und Jetzt zu vermitteln. Die Glut des Augenblicks, die Momentaufnahme intensiver menschlicher Empfindungen erscheinen in jeder Hinsicht ewig. Wenn Leonore dem schändlichen Pizarro die Worte »Töt erst sein Weib!« entgegenschleudert, wenn der Bariton die orchestralen Turbulenzen der Neunten mit »O Freunde, nicht diese Töne!« beruhigt, dann tragen diese Gesten eine weit über den unmittelbaren Kontext hinausreichende, substanzielle Geisteshaltung in sich.
Wie konnte ein Komponist »Symbole des Vortrefflichen« (um es mit Schillers Worten zu formulieren) ersinnen, die eine Freiheit und soziale Reformen abbilden, die sich in der damaligen Realität kaum erreichen ließen – weder in den autokratischen deutschsprachigen Ländern noch in der chaotischen Republik Frankreich und wahrscheinlich nicht einmal in unserer Gegenwart? Wie konnte die fünfte Sinfonie zum Widerstand gegen den Faschismus wachrütteln und die Pastorale, die sechste Sinfonie, in den Dienst unserer zeitgenössischen Umweltschutzbewegung treten?
Die Globalisierung der Gesellschaft lässt der Musik Beethovens eine neue, frische Wahrnehmung angedeihen. Seit Adrian Leverkühn, der Protagonist aus Thomas Manns Doktor Faustus, versucht hat, das Versprechen, das Beethovens Neunte birgt, zu zerstören, ist viel Zeit vergangen. Mann, der sein Buch nach der Flucht vor Hitlers Regime im kalifornischen Exil schrieb, platzierte seine verzweifelte Botschaft vor dem Hintergrund von Beethovens leuchtender letzter Sinfonie. Wie wir noch sehen werden, nahm Beethoven in seinen Entwürfen positiver Symbole (unter denen An die Freude das am meisten gefeierte ist) diese dystopischen Schatten bereits vorweg. Seit damals hat der Traum der Neunten den Globus umschlungen – von den rituellen Masseninszenierungen Japans bis zu einem Flashmob im katalonischen Sabadell, dessen Videoaufzeichnung mittlerweile mehr als 85 Millionen Menschen auf YouTube gesehen haben. Dieser aufregende Weg, der noch lange nicht zu Ende ist, ist ein Resultat unserer Historie, eine sehr menschliche, von Schmerz und Opfer, Standhaftigkeit und Mut geprägte Geschichte.
EINS EINE GESCHICHTE AUS ZWEI STÄDTEN – VON BONN NACH WIEN
»Es steckt was Revolutionäres in der Musik!«
Diese Reaktion auf Beethoven stammt angeblich von jenem habsburgischen Monarchen, der während der gesamten Zeit, in der Beethoven in Wien lebte – von 1792 bis 1827 –, regierte. Kaiser Franz spürte etwas in Beethovens Musik, das ihm verdächtig erschien und sein Misstrauen weckte. »Es steckt was Revolutionäres in der Musik!« weist auf eine Qualität in der Musik, die dem Kaiser Unbehagen verursachte.
Auf derartige Beiklänge reagierte der Monarch alarmiert. Immerhin war er der Neffe von Marie-Antoinette, jener österreichischen Erzherzogin, die als Ehefrau König Ludwigs XVI. Königin von Frankreich wurde. Im Jahr 1793, vier Jahre nach dem Ausbruch der Französischen Revolution und bald nach Beethovens Ankunft in Wien, waren Ludwig und Marie-Antoinette eingekerkert worden, bevor man beide in Paris enthauptete. Angesichts dieses Schreckens war es vordringliche Priorität des Habsburgerkaisers, während seiner Regentschaft jede derartige Revolution in Österreich zu verhindern.
Mit starrköpfiger Beharrlichkeit überdauerte Franz schließlich seinen weitaus brillanteren französischen Rivalen Napoleon Bonaparte. Anders als der erbliche Kaiser von Österreich war der Korse aus bescheidenen Verhältnissen gekommen und hatte sich während der Aufstände im Jahrzehnt nach der Französischen Revolution nach oben gearbeitet. Seine bemerkenswerten militärischen Erfolge machten Napoleon berühmt, 1799 wurde er Erster Konsul der Französischen Republik.
Leidenschaftlich hoffte Beethoven zu jener Zeit, der Einfluss dieser französischen Leitfigur würde positiv auf Politik und Kultur wirken. Doch so viel Zuversicht war in Österreich nicht realistisch. Anders als sein Vorgänger Kaiser Joseph II. in den 1780er-Jahren war Kaiser Franz kein progressiver Lenker seines Staates, sondern fühlte sich durch Napoleons soziale und politische Reformen bedroht. 1794 war des Kaisers »Grauen vor ›Demokratie‹ ebenso krankhaft geworden wie seine Feindseligkeit gegenüber jeder Art von Veränderung«. Ein Historiker wies darauf hin, dass der Kaiser »überall Verschwörung roch« und sich seine Angst vor Revolution zu einer »institutionalisierten Paranoia« verfestigte.
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