2011, einige Monate nach dem Besuch einer Rettungsorganisation im Bestattungsinstitut, meldete sich deren Leiter bei mir. Er sagte, der Einblick ins Bestattungswesen habe seinen Mitarbeiterinnen aus dem Rettungs- und mobilen Pflegedienst gut gefallen und vor allem für ihre Arbeit sehr viel gebracht. Er fragte mich, ob ich nicht für sie ein Tagesseminar im Sinne einer Fortbildung veranstalten könnte. Ich entgegnete, dass ich keine Ahnung hätte, was ich einen Tag lang tun beziehungsweise was ich eventuellen Teilnehmerinnen anbieten sollte. Doch der Leiter blieb hartnäckig und ich stimmte letztendlich zu, entwickelte ein Konzept.
Das Seminar kam zu meiner Freude, aber auch zu meiner Verwunderung, sehr gut an. Daraufhin traute ich mich, es auch anderen Organisationen anzubieten. Ich konzipierte einen Flyer, nannte das Seminar „An der Seite der Toten“ und kontaktierte vornehmlich Berufsgruppen, welche in ihrer Tätigkeit sehr intensiv mit dem Tod in Berührung kommen, die mit dem Leichnam und in einem ersten Moment mit den hinterbliebenen Angehörigen umgehen müssen. Das Seminar stieß sehr rasch auf reges Interesse. Ich machte mich selbstständig, arbeitete aber zunächst nebenher immer noch in einer Bestattung.
Sehr schnell lud man mich auch zu Abendvorträgen in Gemeinden ein, wo ich vor einer interessierten Öffentlichkeit referieren durfte. Nach solchen Vorträgen kamen dann immer viele Zuhörerinnen zu mir und meinten: „Das, was du da erzählst, muss man einmal gehört haben, das braucht ja jeder!“ Und sie sagten, sie würden auch ein Tagesseminar absolvieren wollen. Anfangs winkte ich immer ab, denn das Seminar war in erster Linie für die genannten Berufsgruppen gedacht. Doch die Nachfrage wurde immer größer, und es war klar, ich musste ein Seminar für alle Interessierten anbieten. Doch dafür musste ein anderer Seminartitel erdacht werden: So entstand der „Letzte-Hilfe-Kurs“.
WARUM WIR ALLE EINEN LETZTE-HILFE-KURS BRAUCHEN
Dass wir alle einen Erste-Hilfe-Kurs brauchen, ist klar und wird kaum in Abrede gestellt. Auch wenn es gar nicht so unwahrscheinlich ist, dass man das darin Erlernte nie in seinem Leben anwenden muss. Aber, so mein Argument: Einen Letzte-Hilfe-Kurs brauchen wir zu hundert Prozent. Denn es kann gar nicht sein, dass man mit dem Thema Tod nicht konfrontiert wird. Weil man im eigenen Familienkreis geliebte Menschen an den Tod verliert oder Mitmenschen, die einen schweren Verlust zu betrauern haben, begegnet. Wir können überall auf akut Trauernde treffen: die beste Freundin, deren Bruder sich kürzlich das Leben nahm, der Nachbar, dessen Frau vor wenigen Tagen verstarb, die Arbeitskollegin, deren Sohn einen tödlichen Unfall hatte. Und wir begegnen ihm nicht erst irgendwann vielleicht einmal, sondern oft sogar täglich.
Ich bezeichne mich übrigens nicht als Psychologe oder Bestatter, sondern als Thanatologe. Die Thanatologie versteht sich als die Wissenschaft vom Tod, Sterben und von der Bestattung in ihren soziologischen und psychologischen Aspekten. Es handelt sich um kein eigenes Studienfach. Immer, wenn sich Sozial- oder Kulturwissenschaftler intensiv damit forschend und lehrend beschäftigen, kann man das als Thanatologie beziehungsweise diese als Thanatologen bezeichnen. Folgen Sie mir in die Welt des Letzte-Hilfe-Kurses. Ich hoffe sehr, dass Sie für sich vieles mitnehmen können – einfach nur, weil wir Menschen und vor allem Mitmenschen sind.
Dazu darf ich Sie gleich zum Leichnam hinführen, den wir mit mindestens zwei Brillen betrachten können. Die erste ist die rational-sachliche, die biologisch-medizinische: Wann ist überhaupt jemand tot? Ich möchte Sie aber einladen, zunächst die andere Brille aufzusetzen, die phänomenologisch-psychologische: Was macht der tote Körper mit uns Lebenden? Diese Brille ist notwendig, um uns und andere in der Begegnung mit dem konkreten Tod voller Verständnis betrachten zu können. Um schon eine erste Spur zu legen, was damit gemeint sein könnte: Manche kennen das Gefühl, dass man ganz anders in einen Raum hineingeht, in dem ein Verstorbener liegt. Viel ruhiger, leiser, andächtiger.
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