Das wüste Land … Das wüste Land … Das wüste Land , dachte Alex immerzu. Ab und an sah sie eine nackte Lilli, die sich in dieser leeren Landschaft räkelte. Und da war sie mit einem Mal tatsächlich. Lilli schob die Tür einen Spalt auf und schaute zu Alex hinein. „Wie geht’s dir, Alex?“, flüsterte sie.
Alex hob ihre tonnenschwere Hand und streckte einen frierenden Finger zum Fenster aus: „Zu hell … Zu hell …“, krächzte sie und zog die Hand in ihr Schneckenhaus aus aufgebauschter Decke zurück. Lilli verstand sie erfreulicherweise, ging zum Fenster und zog die langen, weißen Vorhänge zu, wodurch alles im Zimmer überraschend gut gedämpft wurde; zumindest genug, um Alex’ momentan übersteigerte Wahrnehmung nicht schmerzhaft zu gestalten.
„Geht’s dir schon ein bisschen besser?“
Alex öffnete die Augen einen Spalt, um Lilli fragend und auf ihrem Piercing kauend anzusehen. „Nicht gut … schwer … wüstes Land …“, gab Alex ausführlich zur Antwort.
Sie fühlte sich, als hätte sie sich in den vielen unzusammenhängenden Gedanken verheddert und hinge nun schwerfällig wie eine tote Kuh in einem riesigen asymmetrischen Spinnennetz. Wie ein tragischer, griechischer Held litt sie, eingemummelt in diese Decke, nur mit einem T-Shirt und einer Boxershorts bekleidet. Sie zitterte, zog sich so eng zusammen, wie es ging, alle Gliedmaßen zum Torso hin. Obwohl sie sich fühlte wie ein toter Esel auf einem Klavier, schaffte es die angenehme Schummrigkeit im Raum, sie zum Einschlafen zu bewegen. Sie träumte von Reisen durch surreale Landschaften und welkte leicht, als sie diese Dalischen Welten durchschritt, mit den Cowboy-stiefeln an den Füßen, die wie die Stiefel eines verwundeten Soldaten neben ihrem Bett standen.
Schließlich fand sie sich in einer merkwürdigen, wuchtigen Landschaft voller Häuser wieder, wo sie mit einem breiten Malerpinsel und einem Eimer voll Tapetenkleister Comichefte, die sie aus ihrer Kindheit kannte, auf die Straße klebte. Als ob das nicht schon schwer genug wäre, passierte etwas, das die Navigation fast völlig unmöglich machte. Sie schrumpfte auf eine abnorme, detailüberflutete, hyperrealistische Größe zusammen und in der nächsten Sekunde schoss sie bohnenstangengleich in die Höhe, sodass die gesamte Stadt und die dumme comicgepflasterte Straße weit unter ihr zurückblieben. Alex jammerte und wälzte sich hin und her, verwirrt bis in die Substanz, nicht in der Lage, sich aus dieser kafkaesken Situation zu befreien.
„Ist alles okay? Alex, was ist los?“, fragte Lilli plötzlich neben ihr.
Alex, desorientiert und halbwegs wach, sagte nur: „Ich gebe auf, ihr habt gewonnen! Ich will nicht mehr!“
„Was ist los?!“
Langsam ebbte der Fiebertraum ab und Alex sah schwitzend zu Lilli auf. Es war nun stockdunkel im Raum, bis auf das Licht, das durch die offene Tür hineinfiel und Lilli beleuchtete. „Lass mich schlafen … Geht wieder … Schlafen … Lilli“, keuchte Alex und schlief wieder ein. Dieses Mal traumlos.
Mal ging es ihr besser, dann wieder schlechter. Alex schwankte hin und her und erreichte doch kein Ziel. Immer wieder sah sie Bilder, in denen irgendetwas fehl am Platz war, oder sie widerstrebte; was sie im gesunden Wachzustand kein bisschen gestört hätte, raubte ihr nun fast den Verstand.
Es ereignete sich eine widerliche Begebenheit, die sie in Todesangst versetzte. Alex lag wie tot im Bett und obwohl dieses mit dem Kopfende an der Wand stand, stand dazwischen eine unheimliche, dunkle, pelzige Kreatur, ähnlich eines archaischen Werwolfs, der an ihrer Seele und ihrer Existenz zog. Doch sie dachte nicht daran, zu sterben. Alex würde nicht sterben. Sie hatte so viel Verrücktes erlebt und war noch lange nicht satt. Stattdessen wollte sie schnell gesund werden, um mit Lilli um die Häuser zu ziehen. Mit diesem simplen, lebensfrohen Gedanken entzog sie ihrer Seele die unwirkliche Kreatur, die daraufhin verschwand und nie zurückkehrte.
Irgendwann erreichte sie die Far Lands. Diese einfache Graslandschaft mit dem wie von gigantischen Holzwürmern zerfressenen Bergmassiv, das sich wandgleich vor ihr auftat. Die unzähligen Furchen und Ritzen führten viele, viele Meter tief schnurgerade hinein und hinten in die Leere hinaus, die genauso blau wie ihr Ford war. Überall hoppelten lebensfrohe braune Karnickel herum und mümmelten Löwenzahn. Alex schritt mit ihren spitzen Stiefeln durch diese von Naturgesetzen befreite Endzone der Realität. Sie wusste, dass ab jetzt alles wieder gut werden würde.
Daraufhin verbesserte sich Alex’ Zustand. Sie schlief lange und traumlos, trank Wasser und aß trockenes Weißbrot, schleppte sich ab und an im Halbschlaf auf die Toilette, pisste ihre Blase leer und kroch ins Bett zurück, auf die gleiche Weise, wie sie es verlassen hatte, mummelte sich ein und schlief behaglich weiter.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.