Drei Tage später war Manuel bereits wieder ganz gut auf den Beinen und fing an, Carinas Worte analytisch zu durchforsten. Er wollte denjenigen kennen lernen, in den sich Carina verliebt hatte. Neutral. Ohne hasserfüllte Emotionen.
Einige wenige Stichworte reichten aus, um im weiten Umfeld des Internets den Mann zu finden. Manuel staunte nicht schlecht, als er ihn vor sich sah. Ein von vielen Sorgen gezeichnetes Gesicht blickte ihn aus vielen Bildern an.
Nun kannte Manuel seine Carina aus vielen Episoden. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann musste sie es haben. Egal wie, egal wen und wie viele sie dabei verletzte, egal ob es für sie gut oder schlecht war. Sie ließ in der Zeit, in der sie von einer Sache begeistert war, nichts über ihren Wunschtraum kommen. Also hatte es auch keinen Wert, mit logischen Argumenten an Carina heran zu treten. Das konnte Manuel stecken lassen. Carina meldete sich eh nicht mehr bei ihm, sie hatte sich abgeschottet, wollte den Neunen wahrscheinlich ganz für sich genießen.
Fest stand nun, dass er sich gänzlich von Carina zurückziehen würde und die beiden sich selbst überlassen musste. Alles andere wäre im jetzigen Zustand schlecht für sein Nervenkostüm. Darauf bestanden die Ärzte. Und wie gesagt, der liebe Gott würde ja auch noch mitsprechen …
Damit begann sich Manuel ein wenig von dem Problemkreis um seine Carina zu entfernen. Und das tat richtig gut.
Obwohl er es eigentlich nicht machen sollte, checkte Manuel täglich seine Emails. Unter allerlei Spams und unwichtigen Nachrichten stach eine deutlich hervor. Eine Einladung zu einer Geburtstagsfete. Von einem alten Schulkameraden, der es in München ganz weit nach oben geschafft hatte. Über viele Jahre hatten sie nichts mehr voneinander gehört. Und nun plötzlich diese Einladung. Rolf war in der Schulzeit und auch während des Studiums immer ein witziger, gut gelaunter Kerl gewesen. Was hatten sie nicht miteinander gelacht. Tränen über Tränen. Und Rolf schien dem Einladungstext nach – trotz seiner dramatischen Karriere – noch immer derselbe zu sein.
Das war es, was Manuel fehlte. Lebensfreude. Er hatte sie über viele Monate hinweg nur noch zusammen mit Carina wahrgenommen. Und nachdem sie nun weg war kam diese Einladung genau richtig.
Manuel hatte Zeit. Weil er sich Zeit nehmen musste. Schließlich beanspruchte sein Körper eine Auszeit. Also schrieb Manuel sofort zurück, dass er kommen würde. Da Rolf Manuels Adresse erst kürzlich gefunden hatte, war die Einladung schon für den nächsten Tag ausgestellt. Die alte Truppe zu Studienzeiten war stets für das Spontane eingetreten. Keine Frage, dass man kam, wenn es irgendwie ging!
Zu der Einladung gehörte die Unterbringung in einem Hotel der ganz noblen Klasse. Das war eine geniale Sache dachte sich Manuel und packte sofort, nachdem er seine letzten Behandlungen hinter sich gebracht hatte, seine Sachen.
Manuel kannte die Hoteladresse. Wow. Das würde etwas werden. Und es kam noch dicker.
Manuel checkte ein. Der elektronische Schlüssel eröffnete ihm kurz darauf eine faszinierende Welt. Ein großes Zimmer mit etwas schwülstigen Möbeln. Ein riesiges Blumengedeck auf der Kommode. Obst und Süßigkeiten auf dem Tisch. Eine persönliche Begrüßung erschien auf dem Bildschirm des überdimensionalen Fernsehapparates.
Das Schlafzimmer beherbergte ein übergroßes Bett. Und im Anschluss daran öffnete sich eine luxuriöse Bäderwelt. Eine Erlebnisdusche und ein Whirlpool standen zur Verfügung.
Sofort dachte Manuel voll Wehmut an seine Carina. Wie viel Spaß hätte man in diesem Zimmer miteinander haben können.
Manuel packte seine Kleidungsstücke in den riesigen Schrank. Dann ließ er sich ein Bad ein und saß beinahe eine Stunde lang in dem warmen blubbernden Wasser des Whirlpools. Immerhin in einer Wanne, die für vier Personen ausgelegt war.
Total entspannt und innerlich wie äußerlich aufgewärmt machte er sich für die Fete fertig. Ein wenig Rasierschaum half, die Härchen an den intimsten Stellen zu entfernen. Die im Gesicht waren schon längst rasiert. Deo, Duft, dann rein in die Klamotten. Und ab ins Taxi.
In einem großen Kellergewölbe, unterteilt in viele Vorräume und in einen Hauptraum, in dem mehrere hundert Leute Platz hatten, waren Buffets aufgebaut, standen allerlei Getränke bereit, in einem Kaminzimmer gab es sogar Rauchwaren der Luxusklasse.
Um das alles erleben zu können wurde Manuels Einladung registriert. Und schon kam Rolf ums Eck. Ein Gesicht wie vor vierzig Jahren. Immerhin war er heute fünfundfünfzig Jahre alt geworden. Das Grinsen hatte er nicht verlernt. Die beiden fielen sich in die Arne und begrüßten sich wie in alten Zeiten. Laut. Mit viel Umarmung und harten Schlägen auf den Rücken. Selbst das alte Zeremoniell des Hände-ineinander-Greifens klappte noch wie am ersten Tag. Rolf war der alte geblieben. Keine Frage.
„Schau Dich um. Lass es Dir erst mal gut gehen. Zwei von uns sind schon da. Wirst sie sicherlich gleich treffen. – Wir sehen uns später.“
Und schon war er weg, um weitere Gäste zu begrüßen.
Tatsächlich. Die zwei Schulkameraden standen an einem Stehtisch und unterhielten sich angeregt. Manuel stellte sich dazu. Und schon ging es ab. Man machte Witze, scherzte über die Erlebnisse in den alten Zeiten, rührte Geschichten wieder auf, an die man längst nicht mehr gedacht hatte.
Die drei am Stehtisch fielen auf, weil sie so viel gute Laune verbreitete. Nach und nach gesellten sich weitere Leute dazu. Die Unterhaltung blieb auf einem hohen Niveau sehr lustig. Angeregt unterhielt man sich über Rolfs anfängliche Schwierigkeiten, eine Frau zu finden. Und welcher Klimmzüge es bedurfte, diesen Mangel endlich abzustellen. Heute, als gemachter Manager eines Konzerns, konnte er eine Frau an seiner Seite aufweisen. Aber der Weg dorthin war steinig. Und für alle eine herrliche Vorlage für allerlei Scherze.
In der Zwischenzeit füllte sich das Gewölbe mehr und mehr. Eine international bekannte Bluesband spielte den ersten Titel. Sofort riss sie die im Saal anwesenden mit. Für alle Nicht-Blues-Fans bestand in zwei weiteren Gewölbekellern die Möglichkeit, sich nach anderen Klängen zu bewegen.
Den Freunden – zwischenzeitlich fünf aus der alten Zeit – war eher nach reden. Also verlegten sie ihre Unterhaltung ein paar Räume weiter. Dort gab es auch schon die besten Meerestiere in allerlei raffinierten Soßen. Wie für uns geschaffen.
Die Unterhaltung erreichte ihren Höhepunkt als Rolfs Frau hinzu stieß und sich erst mal vorstellte. Und sofort darauf hinwies, dass sie real wäre und dass sie auch wüsste, dass sie nun Rolfs Frau wäre. Damit spielte sie auf die alten Zeiten an, in denen der arme Kerl immer behauptete er hätte eine Freundin. Die wusste aber in aller Regel nichts davon. Rolfs Frau war auch kein Kind von Traurigkeit. Sofort setzte das Lachen ein und sie verbrüderten sich allesamt sofort im Geiste.
Bianca, so hieß Rolfs Frau, hatte Manuels Mail gelesen als sie die Antworten auf die Einladungen durchsah. Sie sprach ihn sofort auf seine gesundheitliche Situation an. Manuel hatte auch reingeschrieben, dass er heftigen Kummer wegen einer soeben beendeten Liebschaft hätte.
„Sag mal, was ist denn mit deiner Liebschaft?“, wollte sie wissen.
Manuel erzählte von Carina, seiner Geliebten, die er nun beinahe drei Jahre kannte. Er hätte es nie geschafft, sie seiner Lebensgefährtin vorzuziehen, mit der er einen liebevollen Umgang pflegte, die aber wegen ihrer Wechseljahre keinen Sex wollte. Das Arrangement wäre die Duldung der Geliebten.
Bianca verstand.
„Rolf hat schon viel von Dir erzählt.“
„Hoffentlich nichts Schlechtes.“
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