„Ich bin kein Nazi, aber …“
„Ich bin kein Rassist, aber …“
Unsere Propagandaabteilung hatte das richtige Gespür, dass einfache Sätze mit „Ich“ genau den Intellekt der Zielgruppe treffen würden.
Neuschwabenland, 6.1.5014
Damals, in den 80ern, brüllten wir bei den Stubenfeiern noch laut „You gotta fight for your right … TO PARTY!“
Heute denke ich mir bei einer Einladung zum Kameradschaftsabend: „Hoffentlich bleibe ich so lange wach.“
Neuschwabenland, 7.1.2015
Einladung zum 20-jährigen Klassentreffen der Wotan-Grundschule erhalten. Ich denke gerne an diese Zeit zurück – weniger an die Demütigungen durch meine Kameraden, sondern an die ruhigen Momente, wenn ich im Spind eingeschlossen wurde und stundenlang dort ausharren musste. Das vermisse ich heute sehr. Selbst kopfüber im Mülleimer zu stecken war besser, als zum x-ten Male auf dem Schulhof Frankreichfeldzug spielen zu müssen – man lief einfach nur ungehindert über ein freies Feld. Ein sehr sinnloses Spiel.
Letztendlich redet man sich Klassentreffen aber nur um der Nostalgie Willen schön. Die alten Schulkameraden sind andere Menschen geworden, denn:
Alle sieben Jahre erneuern sich menschliche Zellen.
Ergo: Nach sieben Jahren ist man ein völlig anderer Mensch.
Ergo: Klassentreffen sind sinnlos.
Die Absage geht morgen raus.
Persönliches Logbuch Tag 7, Colonel Bramsey
Langsam gewöhne ich mich auf der Basis ein. Das Leben hier ist anders, als unsere Informationen vermuten ließen. Man lebt in seiner eigenen Mythologie und Weltsicht, die aber weder mit der Historie, noch mit der Realität in Berührung kommt. In erster Linie verwalten die Neuschwabenländer sich selber und hoffen, dass der große Tag der Rückkehr kommen wird. Der „Alte“, wie der Führer hier genannt wird, lebt auf unerklärliche Weise immer noch. Er ist ein Untoter, der von einem Pinguin mit aufgesteckten Hundeohren begleitet wird. Nur zu besonderen Anlässen wird er aus seinem Quartier gelassen.
Bemitleidenswerte Gesellschaft – aber davon darf man sich nicht blenden lassen, es sind immer noch alles Nazis. Da gibt es keinen Zweifel.
Heute kam eine nordkoreanische Materiallieferung auf der Basis an, die meine Aufmerksamkeit erregte. Bei näherer Untersuchung meinerseits stellte sie sich als harmlos heraus. Es werden weder Waffen, noch geheime Dokumente gehandelt, sondern Videokassetten. Nordkorea hat aus den alten chinesischen Raubkopien ein einträgliches Geschäft mit dem Stützpunkt entwickelt und versorgt sich auf diese Weise mit Devisen, sowie dem einen oder anderen tanzenden Pinguin, um ihr Staatsballett aufzulockern.
Neben den Kameradschafts- und Heimatabenden sind Filme minderer Qualität die einzige Unterhaltung auf der Basis und werden sehr geschätzt.
Neuschwabenland, 8.1.5014
Ein kleines Update zu meinem Sportprogramm für 5014: Ich bin gerade beim Socken anziehen umgekippt.
Neuschwabenland, 9.1.5014
Gestern Abend habe ich, wie jede Woche, meine Großmutter in ihrem Heim „Germanischer Lebensabend“ besucht. Trotz ihres Alters ist sie immer noch sehr fit und leitet die Gruppe der Neuschwabendlandfrauen im Abwehrdienst. Diese fleißigen Kameradinnen häkeln Schoner für die FLAK-Geschütze der Basis oder schrubben in einem Wochenendeinsatz mal gründlich eine der Reichsflugscheiben. Gerade Letzteres ist extrem wichtig für die Moral der Truppe, denn was nützt die modernste Technik, wenn das Innere der Flugscheibe mehr einer sozialistischen Studentenkommune ähnelt, denn einem schwäbischen Treppenhaus?
Neben ihren Lieblingskeksen hatte ich meinen neuen Orden für besonders sauberes Abheften im Dienst mitgebracht und ihr diesen voller Stolz gezeigt. Ihre Antwort hat mich sehr berührt:
„Das ist aber schön geworden, mein Kleiner.“ *
*(Oma-Sprache für: „Du bist ein völliger Versager, aber ich akzeptiere dich in meiner Familie.“)
Neuschwabenland, 10.1.5014
Der Kamerad, mit dem ich mir das Büro teile, hat einen Ordnungszwang. Wenn ein Bild nicht gerade hängt oder ein Ordner zu weit aus dem Regal ragt, bringt ihn das zur Weißglut.
Dinge, die ich daher gerne tue:
2) Listen umsortieren
1) Monitore verrücken
4) Nichts zu Ende bringen
3)
Neuschwabenland, 11.1.5014
Bei der monatlichen Untersuchung war der Mannschaftsarzt mit meiner Gesundheit sehr unzufrieden. Zum einen solle ich mich von Bier fernhalten und zum anderen müsse ich mich unbedingt weniger Stress aussetzen.
Jetzt habe ich ein weiteres Problem, das mich nicht schlafen lässt. Woher bekomme ich einen wirklich langen Strohhalm?
Neuschwabenland, 12.1.5014
Jahrzehnte sind vergangen, doch es gibt immer noch einige Dinge, welche die Politiker von heute in Deutschland von uns gelernt haben und mit viel Erfolg einsetzen.
Man sichert sich die eigene Stimmenbasis, in dem man die Bildung massiv unterfinanziert und schon hat man ein gesundes Wahlvolk über Generationen erschaffen, die genau tun, was sie gesagt bekommen.
Die Methode ist zeitlos.
Persönliches Logbuch Tag 12, Colonel Bramsey
Weiteres Einleben auf der Basis. Ich bin zum Wachdienst eingeteilt. In Realität bedeutet dies nicht, eine streng geschützte Militäranlage bewachen zu müssen, sondern mit einigen anderen Pinguinen auf einer Eisscholle die Küste entlang zu dümpeln und dabei kalte Füße zu bekommen. Aber ich lerne auf diese Weise die anderen Pinguine kennen. Jeder für sich ein aufrechter Kerl, der einfach nur helfen möchte. Die Bewohner von Neuschwabenland sind derart hilflos und in ihre Ideologie verbohrt, dass sie auf die Hilfe der Ureinwohner angewiesen sind. Als Entlohnung für ihre Hilfe erhalten die Pinguine frischen Fisch und Jägermeister: Nahrung und ein Mittel gegen die brennenden Kopfschmerzen, welche die Ideologie der Besetzer mitgebracht hat.
Bei einem dieser Wachdienste habe ich Manfred näher kennengelernt. Seine Familie lebt seit über 60 Jahren in der Kolonie, was Spuren hinterlassen hat. Statt seinen durchtrainierten Pinguinkörper mit Stolz in der Antarktis zu zeigen, neigt Manfred zu Bauchansatz und hat auf dem Kopf einiges an Federn gelassen. Nur ein kleiner Kranz zeugt noch von der früheren Federpracht. Manfred ist für das Gebäudemanagement auf der Basis verantwortlich. Ich erhoffe mir viel von ihm und werde diese Beziehung über die Zeit ausbauen. Das Empire muss an die Technik dieser fliegenden Scheiben kommen!
Neuschwabenland, 13.1.5014
Ich habe heute die Rede des Basisleiters für den kommenden Montag vorbereitet. Eine ritualisierte Veranstaltung, welche die Moral der Truppe erhalten soll. Aber nach so vielen Jahrzehnten in völliger Isolation von der Außenwelt ist es schwierig, immer wieder neue und mitreißende Themen zu finden. Im Gegensatz zu den montäglichen Redenschwingern in Dresden kann man auf der Basis mit altbekannter Rhetorik niemanden mehr begeistern – eher im Gegenteil. Die Reihen lichten sich schnell, wenn das Thema auf den Untergang des Abendlandes und die Gründe dafür kommt. Wir kennen das alle und wir wissen auch, wohin das geführt hat.
Daher orientiere ich mich an den modernen Rednern, zum Beispiel dem Regierungssprecher in der alten Heimat. Für die nächste Rede habe ich, Kommas an, merkwürdigen Stellen, eingebaut, damit der, Leiter sie liest wie, mein Vorbild. Ich bin, mir sicher, damit große, Erfolge feiern zu können.
Neuschwabenland, 14.1.5014
Manche Menschen sollten gesetzlich dazu verpflichtet werden, jeden ihrer Sätze mit „Ich habe keine Ahnung von dem Thema, aber …“ zu beginnen.
Neuschwabenland, 15.1.5014
Ich nehme an einem wissenschaftlichen Feldversuch teil, der untersuchen soll, ob die Arbeit im heimischen Quartier effektiver ist, als im Büro. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Besondere Aufmerksamkeit werden die Forscher dem Phänomen widmen, dass im „Home Office“ die Grenze zwischen „in Klamotten schlafen“ und „Schlafklamotten“ sehr fließend und kaum erkennbar ist.
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