Pedro bei seinem ersten Versuch. Aller Anfang ist schwer
Bisher habe ich immer gedacht, Pedro kann kein Wässerchen trüben, aber weit gefehlt. Komme ich doch letztens zur Koppel und was sehe ich da. Pedro müht sich mit aller Intensität und mit ungeheurer Ausdauer, „Liebe“ zu machen und seine Steffi zu bespringen. Ihr scheint das aber auch gefallen zu haben, denn sie hat sich nicht sonderlich gewehrt. Seine Mühen kamen auch in besonderen Tönen zum Ausdruck, er war also ganz bei der Sache. Und seine Ausdauer hat immerhin ca. 45 Minuten angehalten, beachtlich, oder?
Das Verhalten von Pedro und Steffi hat sich mit der Zeit auch verbessert. Sie werden mir gegenüber allmählich etwas zutraulicher. Wenn sie gute Laune haben, dann fressen sie schon mal einen Teil ihres Frühstücks aus der Schüssel, die ich ihnen vorhalte. Beim Vesper, also wenn es Äpfel gibt, ist das genau so. In diesem Fall kommen sie schon auf mich zugelaufen, zwar nicht so rasant wie Coya und Pablo, aber immerhin, sie kommen und fressen ihre Äpfel aus der Schüssel. Wobei hier nicht so eine Dominanz wie bei den beiden Großen zu bemerken ist. Mal frisst Steffi noch von Pedro und ein anderes mal umgekehrt.
Wenn ich die Schüsseln mit den Äpfeln halte, passiert es schon mal, dass Pedro mich in den Daumen beißt, so ganz leicht, als wollte er sagen: „Du, ich hab dich auch lieb.“ Und Steffi geht langsam auch mehr aus sich heraus. Ich habe auf der Koppel drei Apelbäume gepflanzt, von denen sie sich später einmal laben sollen. Zum Schutz habe ich sie mit einem Gitter umzäunt. Das ist aber für Steffi kein Hindernis. Sie klettert eben mal an dem Zaun hoch, indem sie mit den Vorderfüßen in die Maschen steigt und so über den Zaun an die Blätter des jungen Baumes kommt. Und neuerdings geht Steffi auch baden. Wenn ich mit dem Wasserschlauch bei hohen Temperaturen die beiden Alpakas mal nass spritzen will, dann laufen sie davon. Ich habe eine größere Wanne aufgestellt und mit Wasser gefüllt, damit die Laufenten drin schwimmen können. Diese Wanne wird aber eher von Steffi genutzt. Sie steigt mit den Vorderbeinen hinein und taucht dann ihr Gesicht in das Wasser. Na, so wird die Wanne eben von ihr genutzt.
Coya trägt ihre werdende Mutterschaft mit Stolz aus. Sie ist die Ruhe in Person. Man merkt ihr so richtig keine Aufregung an. Sie setzt wie üblich ihre Dominanz gegenüber Pablo durch, wenn es ums Fressen geht. Ansonsten vertragen sich beide ausgezeichnet. Pablo will zwar schon öfter mal an Coya ran, aber sie spuckt ihn ab und wenn ich dann auf die Koppel komme, dann stellt sie sich hinter mich und meint sicher, ich solle sie beschützen. Wenn ich dann in aller Ruhe eindringlich mit Pablo rede, dann schnauft er zwar, lässt aber brav von Coya ab.
In Vorbereitung der Geburt unseres kleinen Nachwuchses haben wir viel Literatur gelesen, um auch auf die Niederkunft vorbereitet zu sein. Haben wir alles gut beobachtet, dann ist Coya am 8. Juli 2006 von Vincenc gedeckt worden. Da die Literatur zur Zeit der Trächtigkeit unterschiedliche Angaben macht, habe ich mich auf eine breite Zeitspanne eingerichtet. Die einen schreiben, es kann von 330 bis 370 Tage dauern, andere wiederum meinen, die Zeit liegt zwischen dem 342-ten und dem 350-ten Tag. Also habe ich mir einen Kalender aufgezeichnet und alle Tage vom 333-ten bis zum 365-ten Tag gekennzeichnet und kann so jeden Tag abstreichen, an dem noch nichts passiert ist. Wir haben uns auch auf die Möglichkeit eingerichtet, dass Coya das Baby nicht annimmt und wir es mit der Flasche aufziehen müssen. So habe ich bereits im Vorfeld zwei Nuckelflaschen und zwei Spritzen gekauft und sie entsprechend präpariert.
Die Spritzen, so schreibt eine erfahrene Autorin, soll man nehmen, um die erste Kolestralmilch vom Muttertier abzupumpen. Die benötigt man nämlich, um beim Jungtier die biologischen Abwehrstoffe aufzubauen. Und so rückte der 342-te Tag immer näher und die Freude stieg auf das zu erwartende Ereignis unermesslich. Es konnte ja eigentlich alles nur gut gehen. Die Fachliteratur schreibt, dass 95 % aller Geburten in Ordnung sind und nur 5 % Komplikationen bringen könnten. Warum sollte ich mit meiner Coya nun gerade bei den 5 % sein?
An dieser Stelle habe ich überlegt, ob ich weitererzählen soll oder die Geschichten beenden. Denn was ich jetzt berichten muss, ist nicht lustig oder erfreulich, aber das Leben ist ja auch nicht immer nur lustig und deshalb werde ich weitererzählen.
Der 15. Juni 2007 war herangekommen und damit für unsere Coya der 342-te Tag ihrer Schwangerschaft. Nun war es bald an der Zeit, dass sie ihr Baby bekommen musste. Wir hatten uns auch schon Namen ausgedacht, damit wir das Alpaka-Junge (ein Cria) auch beim richtigen Namen nennen können. Wie schon angedeutet, der Tag wird traurig enden.
Ich habe in der Erwartung der Geburt bereits früh um 6 Uhr nach Coya gesehen und noch alles in Ordnung befunden. So gegen 7 Uhr haben beide, Coya und Pablo, auf der anderen Weide natürlich auch Steffi und Pedro wie üblich ihr Frühstück bekommen. Alles war also in Ordnung. Sie haben wie immer gefressen. Nun habe ich gedacht, wenn es mit Coya losgeht, dann nicht vor 10 oder 11 Uhr, denn um 8 Uhr war ja auch noch alles in Ordnung.
Und so habe ich für den Trainings-Pen für Steffi und Pedro noch eine Besorgung gemacht und war so gegen 9 Uhr wieder vor Ort. Nachdem ich alles ausgeladen hatte, habe ich sogleich nach Coya gesehen und konnte zu diesem Zeitpunkt noch erfreut feststellen, dass die Geburt bei Coya gerade eingesetzt hatte. Es war so, wie in der Literatur beschrieben, zuerst war der Kopf und die beiden Vorderfüße zu sehen. Ich habe gleich meinen Nachbarn gerufen, weil ich ganz aufgeregt war. Er kam auch sogleich und das Alpaka-Junge lag schon auf dem Erdboden.
Also am Zeitablauf und vom Bewegungsablauf eine ganz normale Geburt. Aber nun fing das Drama an. Coya und Pablo sind ganz aufgeregt um das Kleine herumgelaufen und haben es intensiv beschnuppert. Wir sind auch gleich hin, um nach dem Rechten zu sehen. Da mir aber gleich alles so komisch vorkam, habe ich Frau Dr. Grohmann angerufen, denn der kleine Kerl, es war nämlich ein kleiner „Carlos“, hat nach der Geburt nur kurz geatmet, auch die Beinchen einmal kurz bewegt, aber dann lag er ganz still da. Nun bin ich laufend zwischen Telefon und Carlos hin und her gependelt, habe mir Ratschläge von Frau Dr. Grohmann geben lassen.
Ich sollte den kleinen Kerl kräftig an der Brust massieren, ihn trocken reiben und ihm kaltes Wasser über den Kopf gießen, damit er erschrickt und die Atmung richtig einsetzt. Ich habe noch große Handtücher geholt, um ihn darauf zu legen, damit er nicht im Schmutz auf der blanken Erde liegt. Erst mit Heu und dann mit Handtüchern habe ich ihn trocken gerieben. Und dann die ganze Zeit kräftig die Brust massiert. Diese Bemühungen haben wir so lange fortgesetzt, bis Frau Dr. Grohmann eingetroffen ist.
Und immer war Coya um uns herum, hat mich immer angestupst, so als wollte sie mir sagen: „Nun mach doch und bringe bitte, bitte mein Kind zum Leben.“ Sie hat die ganze Zeit gejammert und auch verzweifelt versucht, ihr Baby auf die Beine zu bringen. Auch Pablo war sehr aufgeregt und besorgt. Er hat wie Coya den kleinen Kerl immerfort beschnuppert und angestoßen. Mit Frau Dr. Grohmann haben wir dann noch Mund zu Mund Beatmung gemacht. Alle Bemühungen haben zu keinem Erfolg geführt. Frau Dr. Grohmann sagte noch: „Fassen Sie dem Kleinen an die Pupille und sehen, ob er das Augenlied schließt.“ Auch dabei keine Reaktion.
Unser kleiner Carlos wollte einfach nicht auf diese Welt. Ich war völlig verzweifelt und konnte in der Folgezeit meine Tränen nicht mehr zurückhalten, als Frau Dr. Grohmann mir beigebracht hat, dass Carlos nicht mehr lebt. An den Bemühungen von Coya habe ich gemerkt, dass sie eine sehr gute Mutter gewesen wäre. Ihr konnte man deutlich anmerken, wie verzweifelt sie war. Das Gleiche war auch von Pablo zu bemerken. Ich glaube, auch er wäre ein guter und besorgter Vater für Carlos gewesen.
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