Der letzte Punkt, von dem ich denke, dass er in dieser neuen Repräsentationspolitik enthalten ist, hat mit dem Bewusstsein zu tun, dass die Erfahrung der Schwarzen eine Erfahrung der Diaspora ist und dass dies Konsequenzen für den Prozess des Durcheinanderwerfens, des Wiederzusammensetzens, der Hybridisierung und des ›Schneidens und Mixens‹, kurz, einen Prozess der kulturellen Diasporaisierung (um einen hässlichen Begriff zu prägen) mit sich bringt. Im Falle des hier diskutierten jungen schwarzen britischen Films und seiner Filmemacher/innen wird die Erfahrung der Diaspora sicherlich grundsätzlich gespeist und gestärkt durch die Herausbildung des Dritte-Welt-Films, die afrikanische Erfahrung, die Verbundenheit mit der afrokaribischen Erfahrung und das tiefverwurzelte Erbe komplexer Repräsentationssysteme und ästhetischer Traditionen der asiatischen und afrikanischen Kultur. Doch trotz dieser reichen kulturellen ›Wurzeln‹ arbeiten die neuen kulturellen Politikformen auf neuem, recht unterschiedlichem Terrain – insbesondere, was die Auseinandersetzung darüber angeht, was es heißt, ›britisch‹ zu sein. Die Verbindung dieser kulturellen Politikformen zur Vergangenheit, zu ihren unterschiedlichen ›Wurzeln‹ ist weitreichend, doch komplex. Sie kann nicht einfach oder unvermittelt sein. Wie uns das der Film Dreaming Rivers ins Gedächtnis ruft, ist sie durch Erinnerung, Phantasie und Verlangen komplex vermittelt und umgeformt; oder ihre Verbindung ist, wie uns sogar ein explizit politischer Film wie Handworth Songs klar verdeutlicht, intertextuell – vermittelt durch eine Vielfalt anderer ›Texte‹. Daher kann es auch keine einfache ›Wiederkehr‹ oder ›Wiederentdeckung‹ einer ursprünglichen Vergangenheit geben, die nicht durch die Kategorien der heutigen Zeit hindurch erfahren wird: Es gibt für kreative Aussagen keine Basis in einer einfachen Reproduktion von traditionellen Formen, die nicht durch neue Technologien und Identitäten der Gegenwart transformiert sind. Das wurde durch einen Film wie Blacks Britannica schon früh und kürzlich durch Paul Gilroys wichtiges Buch There Ain’t no Black in the Union Jack (1987) erneut signalisiert. Vor fünfzehn Jahren haben wir uns oder zumindest ich mich nicht darum gekümmert, ob im Union Jack schwarz vorkommt. Nun tun wir es nicht nur, wir müssen es auch tun.
Übersetzt von Joachim Gutsche und Dominique John
*Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag auf der Konferenz Black Film, British Cinema im Februar 1988, die vom Institute of Contemporary Arts in London organisiert wurde.
1Der Begriff Community bezeichnet im Englischen eine Gemeinschaft, die sich räumlich auf den gemeinsamen Stadtteil oder die Nachbarschaft beziehen kann. Gleichzeitig verweist er darüber hinaus auf einen sozialen, kulturellen und/oder politischen Zusammenhang. Siehe zum Beispiel die Black oder Gay Community. Im Folgenden wird der Begriff im Deutschen mit Gemeinschaft übersetzt, ein Ausdruck, der immer noch besser als Gemeinde, Gemeinwesen oder Stadtteil für die Wiedergabe des Englischen geeignet ist. (A. d. Ü.)
2Der Begriff des Stils stammt aus der Subkulturforschung des CCCS (vgl. Clarke u. a. 1979). Die verschiedenen subkulturellen Jugendstile, von den Teds und Mods bis zu den Skinheads und Punks, »wurden als symbolische Lösungen für das Problem der Generationen- und Klassenherrschaft und als ein Mittel interpretiert, einen kulturellen Raum für Jugendliche zu markieren und zu erobern.« (Willis 1991, 110) Stilschöpfung bedeutet in diesem Kontext die Aneignung und Neukodierung von Alltagsgegenständen, Symbolen und Waren, die von den Jugendgruppen zur Konstruktion eigener Stile verwendet wurden (Kleidung, Sprache, Musik), und die Verbindung der aktiven »Organisation von Objekten mit Aktivitäten und Ansichten, welche eine organisierte Gruppen-Identität in Form einer kohärenten und eigenständigen Daseinsweise in der Welt produzieren.« (Clarke u. a. 1979, 104f.) (A. d. Ü.)
3Die Stadt Dewsbury in Yorkshire geriet ins Zentrum der nationalen Aufmerksamkeit, als weiße Eltern ihre Kinder aus einer öffentlichen Schule mit hauptsächlich asiatischen Schüler/innen nahmen, mit der Begründung, dass ›englische‹ Kultur nicht mehr länger auf dem Lehrplan stehe. Der Auseinandersetzung um multikulturelle Erziehung von Seiten der Rechten lagen auch die Kontroversen um den Bradforder Direktor Ray Honeyford zugrunde (Gordon 1987).
4Buch und Regie: SANKOFA (the Black Film and Video Group), GB 1984/85, vgl. das Interview mit Isaac Julien in Framework 26/27 (1985), 2–9 (A. d. Ü.)
5Buch und Regie: SANKOFA, GB 1986, vgl. das Interview mit der Gruppe und den Artikel von Martina Attille in Framework 32/33 (1986), 92–103 (A. d. Ü.)
6Buch: Hanif Kureishi, Regie: Stephen Frears, GB 1985 (deutsche Fassung: Mein wunderbarer Waschsalon) (A. d. Ü.).
7Buch: Hanif Kureishi, Regie: Stephen Frears, GB 1987 (deutsche Fassung: Sammy und Rosie tun es) (A. d. Ü.)
8Mercer (1987), vgl. auch mehrere Artikel in der Zeitschrift Ten.8 , Nr. 22/1986 zu dem Themenschwerpunkt ›Black Experiences‹, herausgegeben von David A. Bailey.
9Buch und Regie: The Black Audio Collective, GB 1986, vgl. das Interview mit der Gruppe und den Artikel von R. Auguiste: Some Background Notes in Framework 35/1988, 4–18. (A. d. Ü.)
Kulturelle Identität und Diaspora
Ein neuer karibischer Film ist im Entstehen, der das Genre des ›Dritte-Welt-Films‹ ergänzt. Er ähnelt den pulsierend-lebendigen Filmen und anderen Formen visueller Repräsentation afrokaribischer (und asiatischer) ›Schwarzer‹ – den neuen postkolonialen Subjekten – in der Diaspora des Westens, und doch unterscheidet er sich von ihnen. Alle diese kulturellen Praktiken und Formen der Repräsentation rücken das schwarze Subjekt in ihr Zentrum und stellen das Thema der kulturellen Identität in Frage. Wer ist dieses sich entwickelnde, neue Subjekt des Films und von wo aus spricht es? Tätigkeiten der Repräsentation schließen immer Positionen ein, von denen aus wir sprechen oder schreiben: Positionen der Artikulation (enunciation) . Während wir meinen, sozusagen in ›unserem eigenen Namen‹, von uns selbst und unserer eigenen Erfahrung zu sprechen, legen neue Artikulationstheorien nahe, dass der Sprechende und das Subjekt, über das gesprochen wird, niemals identisch sind und niemals exakt den gleichen Platz einnehmen. Identität ist weder so vollkommen transparent noch so unproblematisch, wie wir denken. Statt Identität als eine schon vollendete Tatsache zu begreifen, die erst danach durch neue kulturelle Praktiken repräsentiert wird, sollten wir uns vielleicht Identität als eine ›Produktion‹ vorstellen, die niemals vollendet ist, sich immer in einem Prozess befindet und immer innerhalb – nicht außerhalb – der Repräsentation konstituiert wird. Diese Sichtweise hinterfragt die Autorität und Authentizität, die der Begriff der ›kulturellen Identität‹ für sich beansprucht.
Wir versuchen hier, einen Dialog, eine Untersuchung zum Thema kulturelle Identität und Repräsentation zu eröffnen. Selbstverständlich muss auch das ›Ich‹, das hier schreibt, selbst als ein ›artikuliertes‹ gedacht werden. Wir alle haben einen bestimmten Ort, eine bestimmte Zeit, eine spezifische Geschichte und Kultur, von denen aus wir schreiben und sprechen. Was wir sagen, steht immer ›in einem Kontext‹ und ist positioniert . Ich wurde in Jamaika geboren und verbrachte dort meine Kindheit und Jugend in einer Familie der unteren Mittelschicht. Als Erwachsener habe ich in England, im Schatten der schwarzen Diaspora – ›im Bauch der Bestie‹ – gelebt. Ich schreibe vor dem Hintergrund einer lebenslangen Beschäftigung mit Cultural Studies . Wenn der Eindruck entsteht, der vorliegende Text sei von den Erfahrungen der Diaspora und von ihren Erzählungen über Verschleppung bestimmt, dann sollten wir uns daran erinnern, dass jeder Diskurs ›platziert‹ ist, und somit auch das, woran das eigene Herz hängt, seine Gründe hat.
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